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Montag, 27. März 2006

Von Nowotnys alten Geschichten und Verzetnitschs Nichtverantwortung

Nur wenige Monate nach dem Refco-Betrugsskandal ist die gewerkschaftseigene BAWAG wegen dubioser Geschäfte erneut in die Schlagzeilen geraten. Diesmal soll es gar um eine Milliarde Euro oder mehr gehen.

Aber der Betrag ist für die politische Einschätzung dieser sogenannten Karibik-Geschäfte gar nicht wirklich ausschlaggebend. Vielmehr stellen sich eine ganze Reihe Fragen zum Verhältnis von ÖGB und Wirtschaft, die wirklich entscheidend sind.

Fakten


Mit dubiosen Spekulationsgeschäften in den Steuerparadiesen der Karibik dürfte die BAWAG in der zweiten Hälfte der 1990er insgesamt weit über eine Milliarde Euro verspekuliert haben. Wenn nun die offizielle Sprachregelung des ÖGB behauptet, dass niemand dadurch Schaden genommen habe, so ist die schlicht und einfach falsch.
Erstens handelt es sich dabei um eine Summe, die die angeschlagenen Gewerkschaften gut gebrauchen hätten können, wo doch in den letzten Monaten permanent über die finanziellen Probleme dieser wichtigsten Organisation der Lohnabhängigen gesprochen wurde. Selbstverständlich hätte dieses Geld in Form einer Gewinnausschüttung an den Eigentümer ÖGB gehen können und auch müssen. Die Mitglieder des ÖGB sind also sehr wohl um Leistungen in Höhe der verspekulierten Summe umgefallen – und das in Zeiten, in denen permanent bei den Leistungen für die Mitglieder gespart wird. V.a. hat in den letzten Monaten in einer Reihe von Teilgewerkschaften ein beträchtlicher Personalabbau bei den sogenannten SekretärInnen statt gefunden, wodurch nun die Betreuung der Mitglieder noch weiter herunter gefahren werden musste, insbesondere auch die der BetriebsrätInnen und von politischen Aktivitäten.
Zweitens musste der ÖGB die Haftung für die bei der BAWAG aufgelaufenen Verbindlichkeiten übernehmen, und das tat er auch. Die Verbindlichkeiten wurden mit dem Streikfonds bedeckt. Auch wenn die Haftung nicht in Anspruch genommen wurde, so war doch damit der Streikfonds langfristig gebunden! Müssen wir uns also noch wundern, wenn die streikenden KollegInnen beim Postbus ewig auf ihr Streikgeld warten mussten? Müssen wir uns also noch wundern, wenn es in der Zeit der größten sozialpolitischen Angriffe und Erfolge (Pensionsreform!) der Bürgerlichen seit 1945 kaum Streiks und andere Kampfaktionen zur Verteidigung unserer Lebenssituation gegeben hat? Nein, denn der ÖGB konnte sich diese gar nicht leisten.
Diese beiden bedeutenden Tatsachen zeigen, wie weit sich der ÖGB schon lange von einer kämpferischen Organisation zur Verteidigung unserer Arbeitsbedingungen entfernt hat. Er funktioniert wegen seines Wirtschaftsimperiums und seiner reformistischen Ideologie wie ein profitorientierter Betrieb, der er ja in Wirklichkeit – was gerade auch die BAWAG mit ihren schlechten Arbeitsbedingungen sehr deutlich zeigt – auch schon längst ist.

Der Ruf nach Konsequenzen


Wenn Verzetnitsch und Finanzchef Weninger behaupteten, dass sie nicht alles über die dubiosen Geschäfte der BAWAG gewusst haben, so ist das Wasser auf die Mühlen der Bürgerlichen, die sagen, dass die Gewerkschaft nicht dazu taugt, Unternehmen zu führen. Denn die VertreterInnen des Eigentümers im Aufsichtsrat und erst recht der Eigentümer selbst (also der ÖGB, vertreten durch seinen Vorsitzenden) müssen immer Bescheid wissen über die Verwendung ihres Eigentums. Sonst sind sie schlicht und einfach untaugliche VertreterInnen des Eigentümers, die sich vom Vorstand der BAWAG auf der Nase herumtanzen ließen. Und warum soll das plötzlich anders werden? Und: Wer von uns hat bitte keine Verantwortung für sein eigenes Eigentum?
Und wenn sie sagen, dass sie keine Verantwortung für das Handeln von den ManagerInnen in einem Unternehmen im vollständigen Besitz des ÖGB haben, fragen wir: Wer bitte hat diese sonst? Die Mitglieder des ÖGB hatten schließlich bei den dubiosen Geschäftspraktiken der BAWAG nichts mitzureden. Herr Verzetnitsch und Herr Weninger, die seit Jahren ihre Spitzengehälter auf Kosten unserer Mitgliedsbeiträge verteidigen, als Vertreter des Eigentümers aber schon!
Wenn Verzetnitschs heute früh (26.3.2006) als Chef des ÖGB zurück getreten ist, so muss der Druck innerhalb der Gewerkschaften gewaltig gewesen sein. Dass nun ausgerechnet der Vorsitzende der GdG, aus der auch der wohl hauptverantwortliche Finanzchef des ÖGB Weninger kommt, zu seinem interimistischen Nachfolger gemacht wurde, spricht nicht gerade für den Wunsch nach einer politischen Wende im ÖGB. Noch dazu wurden all diese Schritte wieder einmal im stillen Kämmerchen von der Gewerkschaftsspitze ausgemauschelt – die Mitgliedschaft hatte selbstverständlich nichts mitzureden! Warum aber soll bitte in Österreich nicht möglich sein, was in so vielen anderen Ländern alltäglich ist? Warum soll der neue ÖGB-Chef nicht von der gesamten Mitgliedschaft gewählt werden?
Wenn der neue Vorstandsvorsitzende der BAWAG Nowotny im Zusammenhang mit einer Million Euro von „alten Geschichten“ spricht, so ist das schlicht und einfach ein Skandal. Hier wurde eine Million aus dem Besitz des Vereins ÖGB und damit all seiner Mitglieder verspekuliert. Wenn hier etwas eine alte Geschichte werden sollte, dann ein hochbezahlter BAWAG-Chef, der diese Summe aus den Löhnen von zumeist schlecht bezahlten Lohnabhängigen als „alte Geschichte“ bezeichnet: Rücktritt bitte – aber schnell!
Wenn der ÖGB in einer Presseaussendung vom 24.3.2006 schreibt, dass eine „rasche Klärung der vergangenen Vorkommnisse und Prüfung der rechtlichen Verantwortung von früheren und gegenwärtigen Vorstandsmitgliedern“ nun der klare Auftrag sei, so geht das an den zentralen politischen Fragen vorbei. Selbiges gilt auch für die Aufforderung des ehemaligen Vorsitzenden der GPA Sallmutter, dass Verzetnitsch zurücktreten soll; diese zeugt zwar davon, dass Sallmutter im Gegensatz zu so manch anderen noch über ein politisches Gewissen verfügt, aber auch an den eigentlichen Problemen vorbeigeht.
Eigentlich geht es nämlich nicht um die Frage, ob einzelne Personen falsch gehandelt haben. Das Grundproblem ist die Art und Weise, wie die Gewerkschaften derzeit funktionieren und ihre Wirtschaftsbetriebe führen. Und diese Frage wurde leider bisher von niemandem gestellt!

Die Konsequenzen der ArbeiterInnenbewegung


Die Grundfrage lautet also: Sollen Gewerkschaften überhaupt Wirtschaftsbetriebe führen? In unserer derzeitigen Gesellschaft müssen solche nämlich immer auf Gewinn ausgerichtet sein. Und das bedeutet auch auf Kosten der Beschäftigten agieren. Die Antwort auf die Frage lautet also: Nein!
Jetzt kann mit Recht gefragt werden, was denn nun aber mit den Wirtschaftsbetrieben passieren soll, die die Gewerkschaften nun einmal im letzten Jahrhundert angesammelt haben. Sollen diese – zumeist unter Wert – verkauft werden? Auch hierauf lautet die Antwort: Nein.
Tatsächlich müsste in den Betrieben des ÖGB das gleiche gelten wie in diesem selbst. Und damit meinen wir nicht nur gute Arbeitsbedingungen, die es weder da noch dort gibt. Der ÖGB muss endlich unter die Kontrolle seiner Mitglieder gestellt werden:
  • Wahl aller FunktionärInnen durch die Mitglieder
  • Möglichkeit der jederzeitigen Abwahl von FunktionärInnen durch die Mitglieder
  • FunktionärInnen dürfen nicht mehr verdienen als die Mitglieder, die sie vertreten
  • Urabstimmungen über wesentliche Entscheidungen durch die Mitglieder

All diese Grundsätze müssten auch für Betriebe im Besitz des ÖGB gelten. Vor etwa 60 Jahren hat ein Großteil der österreichischen Wirtschaft unter ArbeiterInnenkontrolle gestanden. Weite Teile des ÖGB haben dies nicht nur befürwortet, sondern sogar aktiv dafür gesorgt, dass dies der Fall war. Heute gibt es in ganz Lateinamerika eine täglich wachsende Bewegung, die Betriebe unter die Kontrolle der Beschäftigten zu stellen. Ausgehend von Argentinien und heute am Stärksten in Venezuela hat diese Bewegung stillgelegte Betriebe ebenso übernommen wie die Firmen von korrupten BesitzerInnen, wo dies zur Sicherung der eigenen Arbeits- und Lebensbedingungen erforderlich war.
Daran sollten wir uns ein Vorbild nehmen! Wenn die ArbeiterInnenbewegung in Gestalt des ÖGB schon im Besitz zahlreicher Unternehmen ist, sollte es doch viel einfacher sein, diese unter die Kontrolle der Belegschaften zu stellen, als wenn zuvor erst politische Widerstände und die Repression von Polizei und BesitzerInnen überwunden werden müssen.
Und das wäre dann genau das, was wir unter ArbeiterInnenkontrolle meinen: Die Entscheidung der Belegschaften, die ohnedies die Unternehmen des ÖGB als seine Mitglieder (mit)besitzen, über die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dieser Unternehmen. Was in Lateinamerika möglich ist, wir doch wohl auch in Österreich zu verwirklichen sein.
Konkret heißt das: Die EigentümerInnen – also die Gewerkschaftsmitglieder und nicht ungewählte hochbezahlte SpitzenmanagerInnen – entscheiden demokratisch über die Ausrichtung und Strategie der BAWAG und der sonstigen Unternehmen im Besitz unserer Gewerkschaft. Wo es erforderlich ist, das Tagesgeschäft durch spezielle Beschäftigte führen zu lassen, werden diese von der Belegschaft gewählt und sind auch jederzeit wieder abwählbar. Sie verdienen nicht mehr als der Rest der Belegschaft.
Ein Vorgehen, welches diesen Vorschlägen nicht entspricht, wäre ein Schlag ins Gesicht von uns Gewerkschaftsmitgliedern, denn schon viel zu lange wurden mit unseren Mitgliedsbeiträgen das profitorientierte Wirtschaften der ÖGB-Unternehmen und die von SpitzenmanagerInnen verursachten Defizite finanziert, für die wir sicherlich nicht Mitglied des ÖGB geworden sind.

  • Schluss mit der Politik des Verbergens und des Lügens – Offenlegung aller Geschäftsinformationen für die Gewerkschaftsmitglieder und Beschäftigten der BAWAG!
  • Schluss mit der Verschwendung von Gewerkschaftsgeldern– Nutzung von Mitgliedsbeiträgen für Mitgliederbetreuung, politische Aktionen und den Kampf gegen Sozialabbau!
  • Demokratische Kontrolle der Beschäftigten und Gewerkschaftsmitglieder über alle Unternehmen im Besitz des ÖGB jetzt sofort!

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