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Montag, 16. April 2012

Generalstreik in Indien

Viele Millionen indischer ArbeiterInnen haben am 28. Februar 2012 gestreikt. Sie folgten damit dem Aufruf von elf großen Gewerkschaftsverbänden und behinderten mit ihrer Aktion den normalen Ablauf von Finanzwesen, Bildung, Verkehr, Kohleförderung, Energieversorgung und der verarbeitende Industrie.

In der Hauptstadt Delhi brachten streikende Taxi- und RikschafahrerInnen den Verkehr zum Erliegen. In Mumbai, dem größten Finanzplatz des Landes, war der Bankensektor lahm gelegt. Die Waffenfabrik in Nagpur erlebte ihren ersten Streik seit vielen Jahren. Der militanteste Teil der Bewegung befand sich aber in der südindischen Provinz Kerala.
Die Polizei attackierte Streikposten und DemonstrantInnen, v.a. in Dschammu, Kaschmir und Westbengalen. Sie nahm während der Proteste über 5.000 ArbeiterInnen fest. Die Regierung von Westbengalen griff sogar zu Notstandsmaßnahmen gegen den Streik und drohte den Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes mit Abzügen bei den Pensionen – 35% der Beschäftigten streikten dennoch.
In den letzten Jahren mussten die Beschäftigten in Indien auf Grund gestiegener Lebensmittelpreise massive Reallohnverluste hinnehmen. Derzeit liegt die Inflationsrate bei ca. 9%; die Lebenshaltungskosten sind um fast ein Drittel angestiegen. Die Industrie expandiert – gleichzeitig sind hier prekäre Arbeitsverhältnisse quasi der Normalzustand. Einige Industriekonzerne beschäftigen sogar mehr als doppelt so viele LeiharbeiterInnen wie Stammpersonal. Mit vollem Recht fordern die Gewerkschaften daher für die rund 50 Millionen Betroffenen dauerhafte Arbeitsplätze.
Das Problem wird durch den weit verbreiteten Missbrauch von JungarbeiterInnen verschärft, die zwar einen befristeten Vertrag auf zwei Jahre erhalten, aber trotzdem nur auf dem Niveau der LeiharbeiterInnen bezahlt werden – unter dem Vorwand, sie müssten erst ausgebildet werden, obwohl viele von ihnen Berufserfahrung und zwei bis drei Jahre berufsbildende Schulen hinter sich haben ...
Abgesehen davon, dass die Pensionen in Indien grundsätzlich sehr gering ausfallen, haben auch nur die Stammbelegschaften und Staatsbedienstete einen Anspruch darauf.
Die Bewegung fordert daher u.a. einen gesetzlichen Mindestlohn von 10.000 Rupien (ungefähr 150 Euro). Gegenwärtig liegen die Bezüge je nach Provinz oder Branche bei 5.500 bis 6.500 Rupien. Weitere Forderungen der Bewegung sind:
  • ein nationaler Absicherungsfonds für unorganisierte ArbeiterInnen
  • keine Leiharbeit
  • keine Ausgliederungen
  • keine weiteren Privatisierungen
  • Anhebung aller Löhne und Sozialleistungen auf ein einheitliches Niveau
  • garantierte Pensionen für alle, sowie
  • die sofortige Anerkennung von Gewerkschaften.
Schon in den vergangenen Jahren hat es eine Reihe von mehrtägigen Aktionen und einen eintägigen Generalstreik gegeben, um dieser menschenunwürdigen Situation Einhalt zu gebieten. Im Verlauf dieses lang andauernden Kampfes haben die arbeitenden Menschen in Indien zunehmend an Selbstbewusstsein gewonnen. Der letzte Generalstreik zeigte, dass aus einer zunehmenden Unruhe mittlerweile Widerstand geworden ist. Wichtig für einen Erfolg ist aber auch die Einbeziehung des riesigen Heeres von Beschäftigten im informellen Sektor; teilweise selbstverwaltete ArbeiterInnenzentren die sich um Wohnraum und Kindererziehung kümmern, zeigen den Weg dafür auf. Diese können der Ausgangspunkt für eine demokratische Führung des Kampfes werden und auch gleichzeitig die Basis für die Vernetzung mit Fabriks- und Aktionskomitees legen, sodass eine einheitliche nationale Koordination des Kampfes erfolgen kann – alleine die Tatsache, dass es elf große Gewerkschaftsdachverbände – zumeist den politischen Parteien nahestehend – gibt, zeigt wie dringend notwendig eine solche wäre.
Auf dieser Grundlage könnte nicht nur der Kampf für die bereits genannten gerechtfertigten Forderungen der aktuellen Bewegung erfolgreicher geführt werden, sondern auch eine Diskussion darüber beginnen, wie eine Gesellschaft aussehen muss, in welcher solch entwürdigende Arbeitsbedingungen für die breite Masse erst gar nicht mehr entstehen können.

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