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Freitag, 25. Oktober 2013

Cordoba

Wenn wir von Cordoba schreiben, dann geht es nicht um das geschichtsträchtige 3:2 gegen Deutschland bei der WM 1978 in Argentinien. Es geht aber sehr wohl um die Stadt, in welcher dieses stattgefunden hat – Cordoba in Argentinien also. Aber die Geschichte beginnt erst 24 Jahre später.

Im Dezember 2000 waren in Argentinien die sog. revolutionären Tage ausgebrochen, als die Regierung die Sparguthaben eingefroren hatte. Die Wirtschaft lag am Boden und innerhalb von nur zwei Monaten wurden drei Präsidenten im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Amt gestreikt bzw. demonstriert. Wir GewerkschafterInnen in Österreich hätten uns auch solch eine Streikwelle gewünscht, um die verhasste schwarzblaue Regierung loszuwerden, doch leider blieb die legendäre Donnerstagsdemonstrationsbewegung ohne Unterstützung aus den Betrieben.
Doch in Argentinien haben viele Menschen ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen. In Betrieben, wo es nicht mehr so weitergehen konnte, wie bisher, haben sie die Bosse verjagt und die Betriebe unter eigener Kontrolle und Verwaltung fortgeführt – heute sind es über 300 in Argentinien, doch die Welle der Betriebsbesetzungen unter ArbeiterInnenkontrolle hat nahezu ganz Lateinamerika erfasst. Meist waren die betroffenen Betriebe von den Bossen fast in den Konkurs geritten worden – unter der demokratischen Leitung der Beschäftigten geht es fast allen davon nun deutlich besser.
Und genau solch einen Betrieb gibt es auch im Sozial- und Gesundheitsbereich – das Krankenhaus von Cordoba. Dieses war ursprünglich im Privatbesitz und wurde dann von den Beschäftigten angeeignet. Heute funktioniert die „Cooperativa de Trabajo de la Salud Junín“ als Gesundheitsgenossenschaft mit sozialmedizinischem Ansatz. Als 2002 die Schließung der Klinik drohte wurde diese Genossenschaft von den Angestellten gegründet.
Das Missmanagement des Unternehmens und der gezielte Entzug von Kapital durch die BesitzerInnen hatten die Klinik in eine tiefe Krise gestürzt. Sie hatte enorme Schulden und sah sich zahlreichen Konflikten und Gerichtsverfahren mit LieferantInnen wegen nicht erfolgter Zahlungen ausgesetzt. In dieser Situation ergriff das Management Maßnahmen, die auf eine Schließung des Krankenhauses abzielten. Gleichzeitig sollte damit die Auszahlung der ausständigen elf Monatsgehälter der Angestellten vermieden werden.
Mehrere Verhandlungen im von der Belegschaft eingeschalteten Arbeitsministerium der Provinz führten zu keiner Lösung. Angesichts der Haltung des Unternehmens und der Notsituation der Beschäftigten beschlossen diese daher, dem Beispiel anderer Lohnabhängiger in Argentinien in einer ähnlichen Situation zu folgen.
Tausende von ihnen entschlossen sich nämlich, nachdem sie tagtäglich die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze erleben mussten, ihre Betriebe zu besetzen und sie als Kooperativen wieder funktionsfähig zu machen. Auch die Belegschaft der Clïnica Junín, sah darin einen Ausweg aus ihrer schwierigen Situation. Ab 13. Juni 2002 wurden schließlich medizinische Leistungen in dieser neuen Rechtsform angeboten.
Parallel dazu wurden juristische Schritte gegen die BesitzerInnen eingeleitet, die dem Krankenhaus bewusst Kapital entzogen hatten und dadurch Arbeitsplätze vernichteten. Es wurde also ein Strafverfahren wegen betrügerischer Misswirtschaft eingeleitet. Ebenso klagten die KollegInnen ihre ausstehenden Gehälter ein und pfändeten das Gebäude als Bürgschaft dafür. Darüber hinaus wurde dem Provinzparlament ein Gesetzesentwurf zur Enteignung vorgelegt. Schließlich erreichten die KollegInnen, dass der Gemeinderat das vom Klinikunternehmer auf der Flucht verlassene Gebäude 2005 als gemeinnützig erklärte und infolgedessen seine Enteignung beschloss.
In der Folge ist den KollegInnen die operative Weiterentwicklung des Projekts gelungen, so dass es heute den Lebensunterhalt von ca. 100 Familien sichert. Die demokratisch gewählte Unternehmensführung, die auf Transparenz basiert, hat die Zahlungsfähigkeit des Betriebes wiederhergestellt und das Angebot erweitert. Infolgedessen besteht momentan eine weit gefächerte medizinische Grundversorgung: Sprechstunde mit ÄrztInnen aller Fachrichtungen, inkl. PsychologInnen- und ZahnärztInnen-Praxis, Physiotherapie, Krankenpflege, Suchtberatung (Alkoholismus, Tabaksucht, Drogensucht), Notdienst rund um die Uhr und darüber hinaus auch eine juristische Beratungsstelle.
Folglich besteht jetzt eine unbürokratische und kostengünstige Alternative für Menschen, die sich sonst keine oder aber nur eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung leisten könnten. Die KollegInnen habe auch eine Art eigener Krankenversicherung etabliert. Dieser „Gesundheitstarif“ ermöglicht es Familien für 15 Pesos (ca. vier Euro) pro Monat alle Angebote des Krankenhauses in Anspruch zu nehmen und berechtigt weiters zu Rabatten in Apotheken, bei OptikerInnen u.ä. Dieser Tarif beträgt nur 10-15% der bei Versicherungsgesellschaftlichen üblichen Preise und ist mithin sehr günstig.
Ohne die Unterstützung aus der Gesellschaft wäre die so geschaffene Versorgung von 4.000 PatientInnen im Monat aber nicht möglich gewesen. Sie alle tragen dazu bei, dass das Motto der Beschäftigten „Zur Verteidigung von Gesundheit und Arbeit“ kein leeres Versprechen bleibt, auch wenn noch immer weite Teile des Gebäudes ungenutzt sind, die künftig für die stationäre Behandlung genutzt werden sollen. In ihrem Kampf haben die KollegInnen aber auch erkannt, dass es sich bei dem, was sie tun, um keine karitative Aufgabe, sondern um einen politischen Akt handelt. Sie haben erkannt, dass das herkömmliche private Gesundheitsmodell überhaupt erst zu ihrer Situation geführt hat und wollen daher eine Alternative zu diesem aufbauen!
Das zeigt sich z.B. daran, dass Gesundheitsversorgung im Wesentlichen auch als Prävention verstanden wird. Weiters werden die Einnahmen nach dem Grundsatz der Gleichheit (Deckung der Lebenshaltungskosten) verteilt, es werden keine ManagerInnengehälter bezahlt. Darüber hinausgehende Einnahmen werden in den Ausbau des Angebotes und damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze gesteckt. Laufende Fort- und Weiterbildung für alle Beschäftigten im Sinne der Qualitätssicherung ist selbstverständlich.
Der Kulturbereich der Kooperative dient sowohl als alternativer Kulturraum für jene Gesellschaftsschichten, die sonst keine Möglichkeit zur Verbreitung ihrer kreativen Erzeugnisse haben, als auch für therapeutische Zwecke im Sinne der Prävention und Genesung. Doch auch die erhaltene gesellschaftliche Unterstützung soll zurückgegeben werden. So werden z.B. Risikogruppen unterstützt und es gibt Spenden für Volksküchen aus den Einnahmen.
Besonders wichtig für die Beschäftigten der Klinik in Cordoba (wie für zigtausende Beschäftigte in anderen Betrieben unter ArbeiterInnenkontrolle) ist aber die Erfahrung, dass sie in der Lage sind, ihre Unternehmen ohne ChefInnen zu führen und das meistens sogar deutlich besser – ein Modell, das auch in weiten Teilen der Gesellschaft auf positive Resonanz stößt.

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