Wenn wir uns vorstellen, dass es in Havanna einen praktischen Arzt bzw. eine praktische Ärztin auf ungefähr 100 EinwohnerInnen gibt, dann wundern wir uns. Die WienerInnen würden das als Traum ansehen. Am Land ist das hierzulande komplett unvorstellbar. In Österreich ist es nämlich ein Arzt bzw. eine Ärztin aller Fachrichtungen auf über 200 EinwohnerInnen – und das ist eines der besten Verhältnisse weltweit, aber eben weit entfernt von Cuba.
Dass die Kindersterblichkeit auf Cuba niedriger und die Lebenserwartung höher ist als in Österreich, glaubt niemand. Doch es stimmt. Wieso schafft es ein wirtschaftlich unterentwickeltes Land, das seit Jahrzehnten unter einem Boykott der USA leidet, der insbesondere medizinische Güter betrifft, trotzdem unser Gesundheitssysteme um Längen abzuhängen?
Eigentlich ist die Antwort ganz einfach. Es gibt keinen privaten Gesundheitssektor. Alle Gesundheitsleistungen sind dazu da, Menschen zu helfen, nicht Profit für einige wenige zu schaffen. Und dieser Widerspruch zwischen zwei Gesundheitssystemen ist es, welcher das öffentliche Angebot in den meisten anderen Staaten Schritt für Schritt verringert.
Doch diese Erklärung alleine ist zu wenig präzise. Schon 1999 hatte Cuba 23 medizinische Universitäten (Österreich hat fünf) mit 2.200 AbsolventInnen im Jahr, die bei der Ablegung ihres hippokratischen Eides schwören, nicht privat zu praktizieren. Selbst in den Zeiten der wirtschaftlichen Katastrophe nach der Wiedereinführen des Kapitalismus in der ehemaligen Sowjetunion, als die gesamte Außenhandelsstruktur Cubas zusammenbrach, wurde der Schwerpunkt der öffentlichen Ausgaben auf das Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssystem gelegt. Statt dort, wurden Einsparungen in anderen Bereichen vorgenommen.
Die Ausbildung an diesen Unis ist extrem praxisorientiert und v.a. Auf die Grundversorgung ausgerichtet. Die Mehrzahl der ÄrztInnen arbeitet dementsprechend im Bereich der Primärversorgung und kümmert sich auch um Prävention und Gesundheitsvorsorge. Dazu machen sie gemeinsam mit diplomiertem Pflegepersonal regelmäßige Hausbesuche, um gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen oder Probleme in den Wohnungen festzustellen.
Cuba definiert Medizin als Teil der Sicherheitspolitik. Vor allem aber ist es das einzige Land weltweit, dass die Ottawa Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO) tatsächlich umzusetzen versucht. Im Mittelpunkt der Anstrengungen steht nicht das Heilen von Krankheiten, sondern das Ziel, dass Menschen erst überhaupt nicht krank werden. Gesundheit wird dementsprechend nicht als Abwesenheit von Krankheit, sondern als Zustand allumfassenden Wohlbefindens definiert. Folglich arbeitet das kubanische medizinische Personal auch mit den Gemeinden, um umweltbezogene und gesellschaftliche Faktoren der Gesundheit nachhaltig zu fördern.
Selbstverständlich ist auch auf Cuba nicht alles perfekt. Aber der Weg stimmt. Und wenn wir wollen würden, könnten wir viel davon lernen. Für kubanische ÄrztInnen, die auch in über 60 anderen Ländern arbeiten, ist ihr Beruf eine moralische Frage. Sie wollen zeigen „that health care can flourish, not through massive remuneration but through promising good medical services that are politically valued, morally just ...“ (S. 70). Stellt euch mal vor, wie viele ÄrztInnen in Europa das so sehen?
Gleichzeitig bildet Cuba an der Escuela Latinoamericana de Ciencas Medicas (ELAM) Studierende aus rund 120 Nationen aus. 2013 waren es rund 20.000. Hier können jedes Jahr also tausende junge Menschen aus anderen Ländern ihr Medizinstudium beginnen und das vollkommen kostenlos. Cuba übernimmt sogar die Kosten für den Aufenthalt und gibt allen Studierenden ein bescheidenes Stipendium! Dem Land geht es dabei schlicht und einfach um Solidarität!
Sehr wohl ist aber erwünscht, dass die AbsolventInnen nach Abschluss ihres Studiums in ihre Heimatgemeinden zurückkehren, die oft in benachteiligten Gegenden Lateinamerikas, Afrikas oder auch Pakistans zu finden sind. Und dabei kommt es nicht selten zu Problemen, weil die Gesundheitssysteme dieser Länder nicht darauf eingestellt sind, dass ÄrztInnen nur öffentlich angestellt für ein normales Einkommen arbeiten wollen, dafür aber eine Ausstattung auf möglichst hohem Standard einfordern. Oft kommt es dabei auch zu politischen Konflikten, da es für die AbsolventInnen der ELAM ein „moral commitment“ ist, „to refuse to accept health inequalities that result from rampant socioeconomic inequalities“ (S. 150). Und das in einer Zeit, in der die Ungleichheiten weltweit – auch im Bereich der medizinischen Versorgung – permanent größer werden.
Aber Cuba hilft auch direkt. So wurden z.B. nach dem schweren Erdbeben auf Haiti 2010 sofort über 600 ÄrztInnen auf die Insel geschickt. Im Rahmen der Misión Milagro wurden mittlerweile über zwei Millionen Menschen operiert, die sonst wahrscheinlich ihr Augenlicht verloren hätten. Auch das alles kostenlos. Aktuell arbeiten über 15.000 kubanische ÄrztInnen in Venezuela. Ohne sie wäre es unmöglich gewesen, innerhalb von weniger als zehn Jahren aus einem der schlechtesten Gesundheitssysteme der Welt eines zu machen, wo es zumindest kostenlose medizinische Grundversorgung für alle gibt. Und das sind nur einige Beispiele des medizinischen Internationalismus Cubas. Die Liste ließe sich um viele Länder erweitern.
Fragen wir noch einmal: Wie viele österreichische ÄrztInnen arbeiten gerade von der Republik finanziert in Venezuela? In Pakistan? In Honduras? Südafrika? Irgendwo auf der Welt in benachteiligten Gegenden? Wie vielen Studierenden aus armen Ländern ermöglicht Österreich derzeit ein vollkommen kostenloses Medizinstudium? Wie vielen Menschen in Österreich steht keine kostenlose medizinische Versorgung unmittelbar in der Nähe ihres Wohnortes zur Verfügung? Warum ist in Österreich die Gesundheitsversorgung einzig ein unwillkommener Kostenfaktor solange dadurch kein privater Profit ermöglicht wird?
Fazit: Für alle, die sich für unser Gesundheitssystem interessieren oder dieses gar zum Positiven verändern wollen ein Muss.
Huish, Robert (2013): Where No Doctor Has Gone Before. Cuba's Place in the Global Health Landscape. Waterloo.
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