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Montag, 30. Oktober 2017

Die Rolle der Gewerkschaften bei Privatisierungen und Ausgliederungen

Im fünften Teil einiger älterer und leicht aktualisierter Texte beschäftigte ich mich mit der Rolle der Gewerkschaften bei Privatisierungen und Ausgliederungen, insbes. damit, was diese dagegen tun können. In Anbetracht einer unter SchwarzBlau2 anrollenden Sturmflut der Unterwerfung bisher noch nicht nach der Profitlogik funktionierender Bereiche der Wirtschaft unter diese, werden die Gewerkschaften in den nächsten Jahren eine entscheidende Rolle spielen oder wir alle werden darunter leiden, wenn sie es nicht schaffen, zu ihren Wurzeln als Kampforganisationen zurückzukehren.

Die IdeologInnen der angeblich aktuell neuen Produktionsweise "Dienstleistungsgesellschaft" gehen davon aus, dass mit dem Internet bzw. der Digitalisierung, der "Dienstleistungsgesellschaft" selbst, dem Fall des 'Ostblocks' und einer Reihe anderer Veränderungen, der Kapitalismus, der heute selbst von Linken verschämt Neoliberalismus genannt wird, nicht mehr existiert. Wie tief die Ideologie von der angeblich nachkapitalistischen Produktionsweise selbst in die Kernbereiche der ArbeiterInnenbewegung eingedrungen ist, zeigt folgendes Zitat:
"Mit der Entwicklung der Dienstleistungsgesellschaft ist ein ebenso fundamentaler Wandel der Unternehmensorganisation, der Produktivitätsentwicklung, der Arbeit, der tradierten Lebensentwürfe und der dazu gehörigen gesellschaftlichen Institutionen und Regelungen verbunden. [...] Die wirtschaftlichen Erfolgsfaktoren der Industriegesellschaft werden in der Dienstleistungsgesellschaft durch neue Leitbilder ersetzt – Kundenorientierung, Flexibilität, Individualität, und Geschwindigkeit."(DGB-Bundesvorstand(2000): Zukunft der Arbeit – Zukunft der Gesellschaft: Strategien zur Modernisierung der Arbeitsgesellschaft, Berlin)
Wenn schon die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung nicht verstehen, dass wir nach wie vor im alten Kapitalismus, der im Lauf seiner Geschichte immer wieder scheinbar neue Formen angenommen hat, leben, wie sollen es dann die arbeitenden Menschen können, wenn sie ständig mit klassenfremder Ideologie gefüttert werden? Wie sollen wir die richtigen Kampfformen zur Verteidigung unserer Interessen finden können, wenn uns vorgemacht wird, der Gegner sei ein anderer, insbes. wenn uns eingeredet wird, wir wären alle Mittelstand und nicht mehr ArbeiterInnenklasse?

Gerade auch in Anbetracht dieser falschen Analyse der gegenwärtigen Klassengesellschaft ist es um so wichtiger, in der ArbeiterInnenbewegung gegen diese Ideologie anzukämpfen, welche in den Herzen und Hirnen der Lohnabhängigen nur dazu führen kann, dass scheinbar Interessengleichheit zwischen den Bossen und uns besteht.

So kann es auch nicht verwundern, dass in zahlreichen Ländern die Rechte der Gewerkschaften unter dem Deckmäntelchen des Neoliberalismus dramatisch eingeschränkt wurden. In England z.B. wurde das Recht auf Streiks mit einer ganzen Reihe von gesetzlich vorgeschriebenen Abstimmungen vor deren Ausrufung dramatisch eingeschränkt, so dass es heute Monate dauert, einen Streik auszurufen und dann meistens der Grund dafür schon längst vom Tisch ist, also die UnternehmerInnen ihre Interessen bereits durchgesetzt haben.

Wie immer schon spiegeln sich auch die Veränderungen des Kapitalismus und seiner Ideologie in den letzten Jahrzehnten in den Massenorganisationen der Lohnabhängigen, insbes. in den Gewerkschaften, wider. Diese Orientierung an einer falschen oder oft überhaupt nicht mehr vorhandenen Klassenanalyse ist um so stärker, je mehr durch die Angriffe des Kapitals die Machtpositionen der Bürokratie der ArbeiterInnenbewegung in Frage gestellt werden. Aber erst dann reagieren die BürokratInnen.

Einerseits versuchen sie, die alten Positionen zu verteidigen und die neue bedrohliche Entwicklung zu bremsen, anderseits passen sie sich dem Druck der Umstände, den "Sachzwängen des Marktes" und dem Profitstreben des Kapitals an und suchen nach einer neuen Rolle für sich. Es ist üblich geworden, die VertreterInnen dieser beiden Richtungen als "TraditionalistInnen" bzw. "ModernisiererInnen" zu bezeichnen. Oft genug aber sind beide Tendenzen in demselben gewerkschaftlichen Organ oder Betriebsrat, oft sogar in derselben Person sichtbar.

Ausgliederungen und Privatisierungen sind oft das Mittel, um die Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaft zu unterlaufen, in den neuen, ausgegliederten Bereichen schlechter zu bezahlen, längere Arbeitszeiten einzuführen usw. Insgesamt soll also die Produktion dadurch verbilligt werden. Selbstverständlich läuft dies den Interessen der Gewerkschaften eigentlich zuwider. Geschwächte und gespaltene, oft auf mehrere Gewerkschaften und Kollektivverträge aufgeteilte Belegschaften verringern die gesellschaftliche Macht jeder Gewerkschaft insgesamt. Trotzdem spielen viele Gewerkschaften dabei im verzweifelten Ringen um ein wenig Einfluss immer wieder mit.

Durch Ausgliederungen und Verselbständigungen von Werksteilen oder aber ehemaligen Teilen der öffentlichen Verwaltung werden also Kollektivverträge bzw. Betriebsvereinbarung unterlaufen. Ausgegliederte Unternehmensteile fallen danach unter einen anderen oder gar keinen Kollektivvertrag. Betriebsvereinbarungen kann es erst recht keine geben, gibt es doch noch keine Betriebsratskörperschaften. In solch rechtsfreien Zeiten werden dann zumeist die Arbeitsbedingungen dramatisch verschlechtert. In Anbetracht des Rechtsinstituts der "betrieblichen Übung" (Gewohnheitsrecht) gilt alles fort, was die einzelnen Beschäftigten ohne betriebliche Vertretung akzeptieren, solange es nicht den Gesetzen und 'guten Sitten' widerspricht. Wenn dann doch irgendwann ein Betriebsrat gewählt wird, ist dieser bei Verbesserungen oft völlig auf den Goodwill der ManagerInnen angewiesen, solange die Belegschaft nicht bereit ist, für ihre Interessen zu kämpfen, was oft viel Zeit braucht.

Ähnliches spielt sich im öffentlichen Dienst ab, wo es besonders dramatisch ist, da hier die Hochburgen der gewerkschaftlichen Organisierung sind, wenn z.B. angesichts der (kampflos hingenommen) Privatisierung bei den Wiener Stadtwerken ein neuer Kollektivvertrag für danach eingestellte Beschäftigte an Stelle der besseren Regelungen des Magistrats eingeführt wird, um gegen die Konkurrenz der privaten Buslinien anzutreten. Dies geschieht dann meist im Namen der Sicherung von Arbeitsplätzen oder mit Hinweis auf die Richtlinien zur Erbringung und Vergabe von Dienstleistungen der EU.

Es geht aber auch anders, wie Beispiele aus Deutschland zeigen. Wenn das Unternehmen nicht dem ArbeitgeberInnenverband beitritt, kann ein sog. Haustarif erstreikt werden, denn dann herrscht auch keine Friedenspflicht mehr. So ein Haustarifvertrag kann als Inhalt die einfache Anerkennung aller gültigen Tarifverträge der Branche haben. Dies gelang zum Beispiel bei CTS, einem Gemeinschaftsunternehmen von DaimlerChrysler und Porsche (Cabriodächer), das als Neugründung nicht dem UnternehmerInnenverband beigetreten ist.

Bei Werner + Pfleiderer konnte vor einigen Jahren mit einem Streik die Absicht des Besitzers durchkreuzt werden, durch Erpressung bzw. Neugründung des Unternehmens die Kollektivvertragszugehörigkeit aufzulösen. Hier wurde endlich einmal wieder beispielhaft gezeigt, dass die Verteidigung eines Kollektivvertrages nicht nur die Sache derer ist, die direkt betroffen sind, sondern aller Beschäftigten der Branche. Sie alle haben ein Interesse an der Verteidigung des Lohnniveaus und der Arbeitsbedingungen, sonst werden irgendwann auch ihre Löhne und Arbeitsbedingungen unter Druck kommen. In diesem Fall wurden die KollegInnen bei Werner + Pfleiderer in Dinkelsbühl durch tägliche Solidaritätsbesuche aus dem gesamten süddeutschen Raum gestärkt.

Das Problem ist nicht nur, dass die BürokratInnen unfähig sind zu kämpfen, obwohl auch das oft der Fall ist. Es liegt in ihrer Politik der Unterwerfung unter die Profitinteressen des Unternehmens und unter die Logik der Wettbewerbsfähigkeit im Allgemeinen.
"Aus der gemeinsamen Verantwortung für die Arbeitnehmer und die Betriebe der deutschen chemischen Industrie bekräftigen die Tarifvertragsparteien der chemischen Industrie ihren Willen, die Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsbereitschaft der deutschen chemischen Industrie als Grundvoraussetzung für die Sicherung der Beschäftigung zu stärken"
heißt es so z.B. im Vorspann zum Tarifergebnis (Kollektivvertragsverhandlungsergebnis) der deutschen chemischen Industrie im Jahr 2000. In Österreich wird z.B. im kurz vor Jahresende 2004 abgeschlossenen Sozialplan für den Postbus betont, dass die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens ÖBB eine der Grundlagen der Vereinbarung ist.

In dieser Logik ist der Kampf gegen die Beschäftigten in anderen Ländern enthalten. Dieses Gift verbreiten die reformistischen GewerkschaftsführerInnen seit langem. Dem können wir nur die Angleichung der Löhne und Arbeitsbedingungen in allen Ländern entgegenstellen; Lohndumping gegen KollegInnen egal wo auf der Welt lehnen hingegen alle bewussten BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen ab.

Immer schon ist der Reformismus – die Ideologie, welche heute leider die Führungen aller Teile der ArbeiterInnenbewegung zutiefst durchdrungen hat – treu an der Seite der eigenen Bourgeoisie gestanden. Die verschärfte internationale Konkurrenz hat den Spielraum für diese reformistischen Bürokratien aber noch weiter verringert.

Dabei ist es eine Überlebensfrage für die Gewerkschaftsbewegung aller Länder, ob sie auf die verschärfte internationale Konkurrenz gemeinsam reagieren kann: Ob sie die Idee der Gewerkschaft, durch kollektives Handeln gemeinsame Standards zu sichern, realisieren kann, oder ob sie durch – wie auch immer geartete Deals – mit einzelnen oder Gruppen von KapitalistInnen, Einzelinteressen fördert, die dem Interesse aller Lohnabhängigen zuwiderlaufen.

Die Veränderungen in der heutigen Produktionsorganisation erzwingen eigentlich zur Verteidigung unserer Arbeitsbedingungen eine Internationalisierung des Klassenkampfes. Die Ansätze eines Internationalismus in der Avantgarde, in diversen oppositionellen Strömungen der Gewerkschaftsbewegung usw., sind damit mehr oder weniger spontaner Ausdruck einer wirklichen Veränderung.

Diese Veränderung drückt sich allerdings nicht nur im Bewusstsein, sondern auch in Taten wie z.B. gemeinsamen Organisationen und Kämpfen von US-amerikanischen und mexikanischen Lohnabhängigen aus. Es ist dies ein Fortschritt, der sich positiv von den nationalistischen und nationalstaatlich fixierten Konzepten des (Links)Reformismus sozialdemokratischer und stalinistischer Prägung unterscheidet, der begrüßt und gefördert werden muss.

Alles andere ist im Zeitalter der zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaft eine reaktionäre Utopie, die keine einzige Errungenschaft der ArbeiterInnenklasse verteidigen kann, sondern zu verstärkter Unterordnung unter die eigene herrschende Klasse, zu Standortpatriotismus und Rassismus führen muss. Die Folgen einer solchen Politik über Jahrzehnte haben wir in Österreich gerade bei den Nationalratswahlen gesehen. Die Parteien der Bürgerlichen haben mit überwältigender Mehrheit gewonnen, da die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften die Standortlogik und die Spaltung der arbeitenden Menschen entlang nationaler Linien zutiefst verinnerlicht und auch gepredigt haben. Erst wenn diese überwunden werden, kann es einen echten Aufschwung der ArbeiterInnenbewegung auch abseits der Wahlurne geben.

Der Kampf gegen die immer schon vorhandenen Spaltungen (Sexismus, Rassismus, Nationalismus) innerhalb der ArbeiterInnenklasse, aber auch gegen die Trennung in Stamm- und prekarisierte Belegschaften ist Bedingung für erfolgreiche Arbeitskämpfe. In international vernetzten Produktionssystemen, in der heutigen Form der Arbeitsorganisation, können nämlich rassistische oder sexistische Spaltungen der Lohnabhängigen, die sich oft mit der Spaltung in Kern- und Randbelegschaften überlagern, viel direkter und unmittelbarer von den KapitalistInnen zur Schwächung der Belegschaften genutzt werden (und werden es auch). Beides wird aber von den Gewerkschaften heute mehr oder weniger hingenommen, ebenso wie Privatisierungen und Ausgliederungen.

Leider sind all diese Fehler kein österreichisches Phänomen, sondern auch in der internationalen Gewerkschaftsbewegung nur all zu weit verbreitet:
"Die offizielle internationale ArbeiterInnenbewegung scheint auf fast allen Ebenen gegenüber den Veränderungen der Weltwirtschaft und in den Betrieben unangemessen zu agieren. Nur die internationalen Sekretariate einzelner Branchengewerkschaften scheinen überhaupt eine Schwerpunktsetzung ihrer Arbeit zu kennen und handlungsfähige Strukturen zu haben. Aber selbst diese sind dadurch beschränkt, dass sie Föderationen nationaler Gewerkschaftsorganisationen sind und an die Politik der nationalen Gewerkschaftsführungen gebunden sind. Bis jetzt verfügen diese internationalen Gremien über keine direkte Verbindung zu den Betrieben ohne den Weg über die nationalen Gewerkschaften. Praktisch heißt das oft, dass die Gewerkschaftsbasis wenig oder nichts über die internationalen Solidaritätsaktionen weiß, die sie durchführt. Das heißt auch, dass diese internationalen Kampagnen nicht über Lobbyismus und symbolische Aktionen, deren Effektivität sehr eingeschränkt ist, hinauskommen werden, so lange es keine grundlegende Änderung in den meisten nationalen Gewerkschaften gibt, von denen so viele der 'Kooperation' und 'PartnerInnenschaft' (mit den UnternehmerInnen) verpflichtet sind."(Moody, Kim(1997): Workers in A Lean World, 247 – Eigenübersetzung.)
Was wir heute leider haben, sind vernetzte nationale Gewerkschaften, welche die Ausgliederungen und Privatisierungen in bürokratischer Logik mitverwalten wollen, um so angeblich das Schlimmste zu verhindern. Gerade angesichts der zunehmenden Internationalisierung der Produktion zeigt sich in der Praxis aber, wie weit zurückgeblieben die traditionellen, im nationalen Rahmen entstandenen und auf diesen beschränkten gewerkschaftlichen Organisationen sind. Die offiziellen Gewerkschaften und ihre internationalen Dachverbände und Büros sind oft wenig mehr als Treffen, wo diplomatische Vereinbarungen zwischen den nationalen Gewerkschaftsbürokratien, manche Absichtserklärung, aber ganz sicher keine international koordinierten Aktionen beschlossen werden. Ganz anders ist es bei den internationalen Organisationen des Kapitals. Diese sind einig, geschlossen, internationalistisch und kampffähig.

Was wir heute daher wirklich brauchen, sind kämpferische internationale Gewerkschaften, die Ausgliederungen und Privatisierungen nicht nur auf Konferenzbeschlüssen ablehnen, sondern diese vor allem auch in der Praxis bekämpfen und verhindern.

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