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Montag, 30. September 2019

So stirbt eine Partei! Anmerkungen zur Nationalratswahl aus sozialdemokratischer Perspektive

Die Wahl ist geschlagen, die Ergebnisse sind nicht besonders erstaunlich. Zwar ist der Bürgerblock aus ÖVP und FPÖ leicht geschwächt, allerdings weiterhin imstande, den Frontalangriff auf die österreichische ArbeiterInnenklasse fortzusetzen. Die SPÖ hat ihr schlechtestes Ergebnis in der 2. Republik eingefahren, die Grünen ein fulminanten Comeback gefeiert, was auch an der drohenden Klimakatastrophe liegt, auf welche bisher keine Partei eine ernstzunehmende Antwort geben konnte. Die Grünen profitierten also von ihrem jahrelang aufgebauten Image als Umweltpartei.

Welche Koalition es in Zukunft geben wird, steht in den Sternen. Aus Sicht des Kapitals ist sicherlich die Fortsetzung von SchwarzBlau erforderlich. Aus taktischen Gründen (schwächerer Koalitionspartner, gute Erfahrungen mit willfährigen Grünen in einigen Bundesländern) und aufgrund der Diskreditierung der FPÖ in weiten Teilen der Bevölkerung wegen diverser (versuchter) Korruptionsfälle könnte Kurz aber durchaus zur Option SchwarzGrün greifen.

Und was ist mit der SPÖ?


Wie so oft in den letzten Jahren wird über die Spitzenkandidatin diskutiert, über interne Querelen, über den Wahlkampf, darüber „dass wir nur besser kommunizieren müssen“, aber nicht über die wahren Ursachen. Ein erstes Bauernopfer hat es bereits gegeben. Thomas Drozda musste seinen Hut als Bundesgeschäftsführer nehmen, Nationalrat darf er aber bleiben, was viel über den moralischen Zustand der Parteispitze sagt.

Bis jetzt ist es der Partei noch nicht einmal gelungen, klare Worte zu einer möglichen Regierungsbeteiligung zu finden. Es ist offensichtlich, dass es mit dieser ÖVP keine Koalition geben darf. Jedes unserer Prinzipien müsste dafür verraten werden.

Leider orientieren sich viele in der Partei nicht mehr an Prinzipien, sondern einzig am Machterhalt. Doch selbst aus dieser Perspektive wäre eine Regierungsbeteiligung Selbstmord. Jeder weitere Sozialabbau, jedes weitere rassistische Gesetz, dem die SPÖ im Nationalrat zustimmen würde, wäre ein weiteres Puzzleteil im scheinbar unaufhaltbaren Niedergang der österreichischen Sozialdemokratie.

Ein „more of the same“, ein weiter wie bisher, darf es nicht geben, wenn wir nicht so enden wollen wie die PASOK in Griechenland (die es heute unter diesem Namen gar nicht mehr gibt) oder die PvDA in den Niederlanden oder gar wie die Sozialdemokratie in Italien, die es gar nicht mehr gibt. Viele verweisen auf die positiven Beispiele der sozialdemokratischen Parteien in Spanien, Portugal und Britannien, die es mit einem Linksschwenk geschafft haben, den Niedergang zu stoppen.

Wie weiter?


Dabei handelt es sich um gute Beispiele. Tatsächlich wäre das auch ein Weg, der in Österreich erfolgversprechend sein könnte. Mit einem linkeren Kurs können sowohl Erst- und JungwählerInnen gewonnen werden als auch NichtwählerInnen, die zu nicht geringen Teilen nicht mehr wählen gehen, weil es keine Partei gibt, die ihnen einen Ausweg aus ihrer tristen Lebensrealität bietet.

Langfristig wird das aber nicht reichen. Zu sehr ist die Partei von einer Bewegung zu einer Sitzung geworden. Wir haben es verlernt, bei den Menschen zu sein und mit ihnen für ihre Anliegen und Bedürfnisse zu kämpfen. Das zeigten nicht zuletzt die Massendemonstrationen gegen SchwarzBlau, wo die SPÖ als Partei kaum sichtbar war (und den TeilnehmerInnen auf den KandidatInnenlisten auch kein personelles Angebot gemacht hat). Das ist schlicht und einfach dumm. Dort, wo Menschen schon politisch aktiv sind, können sie viel leichter gewonnen werden. Und wo ist das mehr der Fall als auf Demos und in Klassenkämpfen? Dort, wo Menschen für linke Themen aktiv werden, ist das natürliche Umfeld einer Partei, die sich als links versteht.

Aber versteht sich die SPÖ noch als links? Ich wage es zu bezweifeln! Zu stark wird die Illusion der längst zu Grabe getragenen SozialpartnerInnenschaft künstlich am Leben erhalten. Zu sehr wird dem Standortdenken gefrönt, das einen Keil in die ArbeiterInnenklasse treibt. Zu sehr bezieht sich die Partei auf die Nation statt auf die Klasse.

Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass wir es in diesem Wahlkampf erneut nicht geschafft haben, eine längst überfällige Forderung zu stellen: Wahlrecht für alle, die in diesem Land leben, arbeiten und ihren gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Es ist doch pervers, wenn ein Frank Stronach, der vor Jahrzehnten ausgewandert ist und in Österreich noch nicht einmal Steuern zahlt, sogar Nationalrat werden darf, nur weil er einen Pass hat, während über eine Million Menschen, die hier ihre Arbeitskraft zu Markte tragen und Steuern und Sozialabgaben leisten, nicht über die Gesellschaft mitbestimmen dürfen, in der sie leben.

Dass wesentliche Teile der Partei ein solches Wahlrecht verteidigen, zeigt wie sehr das Gift des Nationalismus das sozialdemokratische Prinzip des Internationalismus überwuchert hat. Die ArbeiterInnenklasse ist international. Wer nicht dementsprechend handelt, der/die macht das Drecksgeschäft der Herrschenden und trägt die SPÖ zu Grabe.

Selbstverständlich kommt jetzt von vielen Widerspruch. Schließlich sind wir doch eine „Partei der Mittelschicht und der politischen Mitte“. Beide Begriffe könnten inhaltsleerer nicht sein. Mittelschicht ist nichts anderes ein statistisches Konstrukt, das nichts über die soziale bzw. Lebensrealität derjenigen sagt, die darin schubladisiert werden.

Müssen sie arbeiten, um leben zu können, werden sie das in Zukunft müssen (Jugendliche) oder mussten sie es in der Vergangenheit (PensionistInnen)? Oder haben sie genug Vermögen, um davon leben zu können? Das ist die Frage, die eine Aussage über die tatsächliche Spaltung in unserer Gesellschaft zulässt. Diese spaltet sich nach wie vor in Kapital und Arbeit. Ihre Interessen könnten nicht unvereinbarer sein. Das Kapital will das Maximum aus unserer Arbeit herauspressen, um möglichst viel Profit zu machen. Wir hingegen wollen ein gutes Leben für alle.

Mit einem Wort: Wer auf Dauer verhindern will, dass rechte Parteien an die Macht kommen, um die Krisen des Kapitalismus zu bewältigen (wie aktuell die nach wie vor aus Sicht der Besitzenden zu geringen Profitraten nach 2008), der/die muss das Ziel haben, dieses menschenunwürdige System in die Geschichtsbücher zu verbannen. Viele in der Partei sehen das so. Doch wie viele trauen sich noch, es zu sagen?

Kein Wunder, da dies nur geht, wenn wir uns zu klaren politischen Positionen bekennen. Eine Politik der Mitte ist das genaue Gegenteil davon. Sie lässt sich quasi treiben, wird mehr oder weniger automatisch definiert zwischen dem, was links, und dem, was rechts ist. Linke Politik gibt es in Österreich heute kaum. Das hat zur Konsequenz, dass eine Politik der Mitte ziemlich weit rechts steht. Die Fülle an rassistischen Gesetzen, die Flüchtlingsobergrenze, ein Notstandsgesetz, der ganze Sozialabbau, dem die SPÖ seit langem zugestimmt hat, sprechen hier eine deutliche Sprache, ebenso wie der Verzicht auf einen Kampf für die Verbesserung der Lebensbedingungen der breiten Masse.

All diese Aspekte zu erkennen, gehörte früher zum Standardrepertoire praktisch aller Mitglieder der ArbeiterInnenpartei SPÖ. Heute tun sich viele GenossInnen schwer damit. Das liegt nicht an ihnen selbst, sondern am dramatischen Bedeutungsverlust von politischer Bildung in der gesamten Sozialdemokratie. Die Basis, aber auch schon mittlere FunktionärInnen sind so dazu gezwungen, sich auf das zu verlassen, was von oben kommt. Und oben – da wird keine Politik für die arbeitenden Menschen gemacht. Schon lange nicht mehr. Die Politik der Partei ist seit langem verbürgerlicht. Das zeigt sich auch daran, dass wir keine politischen Debatten mehr führen, sondern darauf warten, was von dem oder der HeilsbringerIn an der Parteispitze kommt.

Eine Partei, die zuhören, Antworten geben und gemeinsam mit den Menschen für ihre Anliegen kämpfen will, braucht aber Mitglieder, die selbst dazu imstande sind, und nicht darauf warten, was von oben kommt. Dann ist es nämlich oft zu spät. Wir müssen daher dringend das klägliche Versagen der gesamten ArbeiterInnenbewegung in der Bildungspolitik korrigieren. Damit meine ich in erster Linie nicht politische Bildung an allen Schulen, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, sondern unsere eigenen Bildungsangebote.

Wenn GenossInnen zwar Stilberatung und Rhetorikkurse bekommen, wird das ins Leere laufen müssen, wenn sie nicht wissen, was sie sagen sollen. Dazu braucht es wieder dringend Angebot für alle zu unserer eigenen Geschichte, unseren politischen Ideen und Theorien, die aus dem Marxismus stammen, politischer Ökonomie, aber auch politischer Praxis wie etwa dem Auftreten auf Demos, dem Führen von Klassenkämpfen, dem ideologischen Klassenkampf in den Social Media und vielem mehr. Nur mit diesem Werkzeug ausgestattet werden die Mitglieder unserer Partei wieder selbständig politisch agieren können.

Und hier komme ich noch einmal auf das „Wir müssen nur besser kommunizieren“ zurück. Wie etwas kommuniziert wird, hängt in erster Linie davon ab, was kommuniziert werden soll. Über das „Was“ allerdings wird kaum diskutiert. Tatsache ist, dass wir ein Müllsackerl nicht als Luxustasche verkaufen können. Ganz viele wollen das auch nicht (mehr). Wir brauchen also wieder Inhalte, für die sich das Kommunizieren überhaupt lohnt.

Zurück zu den Wurzeln


Genau das ist auch der Grund, warum ich zum derzeitigen Zeitpunkt eine Personaldebatte ablehne. Solange uns das richtige Programm fehlt, ist es vollkommen nebensächlich, wer an der Parteispitze steht. Viel zu oft schon wurden dringend erforderliche inhaltliche Debatten durch personelle Änderungen abgedreht. Ein gutes Beispiel dafür ist die Demontage Werner Faymanns. Viele in der Partei wollten damals insbes. die Frage der Flüchtlingsobergrenze und einer Notstandsgesetzgebung diskutieren. Kaum hatte Christian Kern übernommen wurde diesem Wahnsinn im Nationalrat zugestimmt (ein kleines mutiges und aufrechtes gallisches Dorf aus Ottakring namens Nurten Yilmaz hat sich als Sozialdemokratin erwiesen und dagegen gestimmt).

Werner Faymann wäre für diese Politik an einem 1. Mai am Rathausplatz in Wien im übertragenen Sinn des Wortes fast geteert und gefedert worden. Und dann war diese plötzlich kein Thema mehr.

Das zeigt deutlich, dass wir seit vielen Jahren falsch herum diskutieren. Zuerst brauchen wir ein echtes sozialdemokratisches Programm, dann müssen wir darüber diskutieren, wie wir dieses umsetzen können (etwa in Form von Aktionsprogrammen) und dir richtigen innerparteilichen Strukturen schaffen, welche dazu imstande sind, die gesamte Mitgliedschaft in einer demokratischen Art und Weise in den Kampf für diese Inhalte einzubinden. Erst dann ist der Zeitpunkt gekommen, darüber zu diskutierten, wer die geeigneten Personen sind, um diese Aufgaben zu erfüllen.

Eine Wahlanalyse ist nicht der richtige Ort, um all das im Detail darzustellen, was geändert werden muss, damit die Sozialdemokratie ihrer historischen Aufgabe wieder nachkommen kann. Einige wesentliche Aspekte sollen hier trotzdem schlagwortartig skizziert werden, um eine Diskussion darüber in Gang zu setzen:
  • Demokratisierung der Partei von unten nach oben: Wahlvorschläge werden auf der jeweiligen Ebene von der Basis eingebracht statt von oben; Wahl aller relevanten Führungspositionen durch die Mitglieder; Abschaffung von GeschäftsführerInnen und Ersatz von Vorsitzenden durch kollektive Leitungsgremien
  • Parteitage mit echten Entscheidungen und einer demokratischen Debattenkultur: Weg mit den überlangen Showelementen durch viel zu viele Reden von SpitzenfunktionärInnen; genug Zeit für inhaltliche Diskussionen; Abstimmungen über Anträge und nicht über Vorschläge der Antragskommissionen; Weg mit der Neuerung im Parteistatut, dass die jeweils übergeordnete Ebene im Falle der Notwendigkeit Beschlüsse fassen darf, die eigentlich der Ebene darunter vorbehalten sind
  • FunktionärInnen und MandatarInnen an die Lebensrealität und den politischen Willen ihrer Basis binden: Einkommensobergrenzen bis hin zur Parteispitze; jederzeitige Abwählbarkeit aller FunktionärInnen und MandatarInnen durch die Parteiebene, welche sie delegiert oder nominiert hat
  • Hören wir auf damit, uns von gesellschaftlich hegemonialen Denkmustern treiben zu lassen: Kämpfen wir mit den Menschen, statt ihnen neue oder bessere Geschichten/Narrative zu erzählen; holen wir uns unsere Begriffe zurück – wir vertreten nicht alle, sondern die ArbeiterInnenklasse, schließlich sind wir eine ArbeiterInnenpartei
  • Politische Prinzipien vor Machterhalt: Keine Koalitionen mit bürgerlichen Parteien; Politik entlang unserer Grundwerte statt getrieben von Meinungsumfragen und BeraterInnen
  • Machen wir wieder Politik entlang unserer Grundwerte: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Internationalismus, Antikapitalismus und Solidarität

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