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Montag, 23. Dezember 2019

Die SPÖ und der Weihnachtsbaum

Sie ist wieder da – die Jahreszeit, in der eine Unmenge an Bäumen geschlachtet wird, um eines historischen Mythos zu gedenken. Biologisch gesehen wird der Baum von seinen Wurzeln getrennt, um dann in unseren Wohnzimmern und schließlich auf Müllbergen zu verdorren. Genau das passiert nämlich, wenn ein Baum, der von seinen Wurzeln abgeschnitten wird, dadurch nicht mehr mit Nährstoffen und Wasser versorgt werden kann. Nicht anders ist es mit politischen Parteien.

Image by Gerd Altmann from Pixabay
Auch politische Parteien leben oder sterben. Sie sind lebende Kollektivwesen. Sie sind ebenso wie
ein Baum von der Versorgung durch ihre Wurzeln abhängig. Ihre Wurzeln sind vielfältig. Da gibt es die Basis der Mitglieder, es gibt die Geschichte der Partei, ihre Traditionen, ihr Ursprünge, die politische Theorie, auf deren Basis sie gegründet wurde und schließlich im Kapitalismus die gesellschaftliche Klasse, von welcher und für welche eine Partei gegründet wurde.

Die SPÖ hat zahlreiche Verbindungen zu ihren Wurzeln bereits gekappt. Andere sind schon so weit angeschnitten, dass es gerade noch zum Überleben reicht. Ein weitere Schnitt kann schon reichen, um auch die Verbindung mit diesen Wurzeln noch zu trennen. Die entscheidende Frage lautet, wie viele Verbindungen zu welchen Wurzeln komplett getrennt sein müssen, damit der Baum SPÖ nicht mehr weiterleben kann. Sehen wir uns dazu die Wurzeln der Partei im Einzelnen an.

Die SPÖ hat noch immer zahlreiche Mitglieder. Allerdings nimmt die Anzahl der überzeugten und aktiven GenossInnen kontinuierlich ab. Von den einst um die 700.000 Mitgliedern können wir heute ohnehin nur mehr träumen. Trotzdem sind es die Mitglieder, welche eine der entscheidenden Wurzeln sind, welche die Partei noch am Leben erhalten. Allerdings ist diese Wurzel dünn geworden. Zu sehr entkoppelt sich die Parteispitze zunehmend von den Bedürfnissen der Mitglieder. Zu wenig reale Verbindung zwischen Führung und Basis gibt es. Zu wenig können die Mitglieder demokratisch bestimmen, wie die Parteispitze personell zusammengesetzt und die Politik der Partei gestaltet wird. Und zuletzt: Wie oft lassen sich die Mitglieder der Parteiführung bei der Basis sehen – z.B. in ihrer Sektion?

Wenn wir uns die Geschichte der Partei ansehen, fällt der Befund ebenfalls mehr als zwiespältig aus. Diese wird zwar von vielen überzeugten SozialdemokratInnen nach wie vor hochgehalten, zahlreiche Aussagen von SpitzenfunktionärInnen lassen aber daran zweifeln, ob diese überhaupt eine Ahnung von unserer Geschichte haben (wollen). In Anbetracht der zahlreichen QuereinsteigerInnen darf uns das auch nicht weiter verwundern. Wenn in den Bildungsprogrammen Outfit- oder Stil vorkommen, die Geschichte der Partei aber in einem vierstündigen Kurs abgehandelt wird, bekommen neue Mitglieder erst gar nicht die Chance, die große Geschichte der Sozialdemokratie erkennen zu können.

Kaum anders steht es um die Traditionen der Partei. Diese werden bestenfalls noch an Feiertagen hochgehalten. Das Singen der Internationale ist zu einer Leerformel verkommen, hat in der Praxis allerdings keinerlei Relevanz mehr wie z.B. die Zustimmung der Nationalratsabgeordneten zu zahlreichen rassistischen Gesetzen im letzten Vierteljahrhundert mehr als deutlich zeigte. Mit der politischen Bildung ist auch die Tradition der Sozialdemokratie als Ort des Lebens zugrunde gegangen. Konnten unsere politischen Vorväter und -mütter früher nahezu ihr ganzes Leben von den Kinderfreunden über den ArbeiterInnensängerbund, die ArbeiterInnennudistInnenbewegung, die Naturfreunde und viele andere Organisationen kollektiv verbringen, regiert auch bei uns heutzutage Individualismus und Egoismus.

Noch schlechter ist es um unsere Ursprünge bestellt. War die Partei an ihrem Beginn ein Sammelsurium politischer Strömungen der ArbeiterInnenbewegung – hatte also viele ideologische Wurzeln, so herrscht mittlerweile der Einheitsgedanke vor, welcher in der Praxis zu nichts anderem als einem undifferenzierbaren Einheitsbrei führt. Dabei war es gerade der Wettstreik konkurrierender Ideen von SyndikalistInnen, Radikalen und Moderaten, der eine permanente Weiterentwicklung von politischer Theorie und Praxis ermöglicht hat.

Ganz schlecht ist es um die politische Theorie als zentrale Wurzel der Partei bestellt. Wenn etwa die Parteivorsitzende öffentlich bekundet, dass ihr Marx zu wenig leistungsfreundlich ist, können uns nur die Grausbirnen aufsteigen. Wir können ihr zugutehalten, dass sie leider nicht sozialdemokratisch sozialisiert wurde, weswegen sie offenbar nicht wissen kann, dass unsere Wurzeln eben nicht in einer individualistischen, sondern einer kollektiven Vorstellung von Leistung liegen. Gerade das rote Wien bis 1934 als Veranstalterin von ArbeiterInnenolympiaden, die eben nicht individueller Konkurrenz, sondern kollektiven Errungenschaften gewidmet waren, hat in der Praxis auch durch kollektive kommunalpolitische Anstrengungen gezeigt, was unser Leistungsbegriff ist. Wenn jemand Marx und Engels nicht kennt, darf es auch nicht weiter verwundern, dass Prinzipien wie Solidarität oder Internationalismus, die in den Programmen von Hainfeld bis Linz eine zentrale Rolle spielten, von SpitzenvertreterInnen der Partei in der politischen Praxis mit Füßen getreten werden.

Vollends getrennt hat sich die Parteispitze jedenfalls von der gesellschaftlichen Klasse, welche die SPÖ einst gegründet hat – der ArbeiterInnenklasse. Das inhaltsleere Gebrabbel von der sog. Mittelschicht, die keine soziale Kategorie ist, sondern bestenfalls eine meist wenig aussagekräftige statistische Zuordnung, sowie das Hochjubeln der (zumeist unfreiwilligen) Einpersonenunternehmen sprechen hier eine deutliche Sprache. Tatsächlich kann es im Kapitalismus auf Dauer keine Partei geben, die nicht eindeutig auf Seiten einer der beiden gesellschaftlichen Hauptklassen steht. Sollte sich die SPÖ nicht bald wieder dazu bekennen, dass sie eine Partei aller arbeitenden Menschen (und das ist fast die gesamte Gesellschaft) ist, wird ihre Zukunft keine lange mehr sein. Die Beispiele Griechenland oder Italien, wo es keine sozialdemokratische Partei mehr gibt, sprechen hier eine deutliche Sprache. Tatsächlich haben wir arbeitenden Menschen nichts mit dem Kapital gemeinsam, sehr viel aber mit unseren LeidensgenossInnen in der Lohnsklaverei auf allen Kontinenten. Werfen wir also die Illusionen vom Standort und der Sozialpartnerschaft über Bord, um wieder eine Zukunft zu haben.

Fast alle unserer Wurzeln versorgen die Krone des Baumes also nicht mehr mit den für ihr Überleben notwendigen Nährstoffen. Gleichzeitig braucht der Baum auch die Blätter der Krone, um überleben zu können, denn diese nehmen jene Kohlenstoffe auf, welche für das Wachstum des Baumes erforderlich sind. Und es sind auch diese Blätter, welche das Kohlendioxid binden und den Sauerstoff produzieren, die in Zeiten der herannahenden Klimakatastrophe von entscheidender Bedeutung sind. Für eine funktionierende Partei braucht es also auch eine Führung, die ihren Aufgaben gewachsen ist, die gemeinsam mit den Wurzeln den Stamm am Leben erhält.

Mit einem Wort: Praktisch alle Wurzeln der SPÖ sind so weit eingeschnitten, dass sie bestenfalls noch als seidener Faden verstanden werden können. Die Natur zeigt immer wieder eine erstaunliche Regenerationsfähigkeit. Selbst fast durchschnittene Wurzeln können wieder heilen. Was in der Natur allerdings von selbst geht, braucht in der Gesellschaft aktives und bewusstes menschliches Handeln. Ob die Wurzeln der SPÖ noch heilen können, liegt an uns allen. An mir. An dir. Es ist noch nicht zu spät. Wie lange noch, kann niemand von uns sagen. Die Zeit drängt jedenfalls! Raffen wir uns auf und beginnen 2020 damit, unsere Wurzeln wieder mit dem Baum SPÖ zu einer kraftvollen Partei der arbeitenden Menschen zu verbinden.

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