Zunächst sprechen sich 87% der Befragten für einen Mindestlohn von € 1.750,-- aus, was meiner Meinung nach zwar deutlich zu wenig ist, um ein menschenwürdiges Leben zu führen, aber für viele KollegInnen doch ein deutlicher Fortschritt wäre. Im SWÖ-Kollektivvertrag z.B. liegt der Mindestlohn bei nur € 1.683,20. Gleichzeitig dürfen wir auch nicht vergessen, dass die enormen Teilzeitquoten im Sozial- und Gesundheitsbereich viele KollegInnen weit unter dem von der Volkshilfe vorgeschlagenen Mindestlohn verdienen lassen, was schlicht und einfach Armut zur Folge hat. Hier gilt es anzusetzen – etwa durch eine massive Verkürzung der Arbeitszeit, welche Teilzeit mehr wert macht, durch Mindestarbeitszeiten oder Mindestlöhne unabhängig von der Arbeitszeit.
Gleich 87% stimmen der Formulierung „Die Corona-Krise hat gezeigt, dass eine bessere Entlohnung von systemrelevanten Gesundheits- und Sozialdienstleistungen dringend notwendig ist.“ zu. Das zeigt mehr als deutlich, dass wir die Bevölkerung auf unserer Seite haben, wenn es darum geht, die Bezahlung in unserer Branche zu verbessern. Gleichzeitig müssen wir in Anbetracht dieses Ergebnisses hinterfragen, ob es nicht besser gewesen wäre, die Kollektivvertragsverhandlungen im privaten Sozial- und Gesundheitsbereich erst später fortzusetzen. Mit dem enormen Rückenwind aus der Bevölkerung, der sich in dieser Umfrage zeigt, hätten wir deutlich mehr erreichen können, da es sich die Politik nicht hätte erlauben können, die erforderlichen Mittel für unsere Forderungen nicht zur Verfügung zu stellen. Und die Geschäftsführungen der Betriebe würden unverantwortlich handeln, wenn sie mehr Geld von der öffentlichen Hand in Zeiten wie diesen nicht für deutliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen einsetzen.
Besonders erfreulich ist, dass 70% der Befragten sich für eine Verkürzung der Arbeitszeit in unserer Branche auf 35 Stunden aussprechen. Damit steht eine mehr als deutliche Mehrheit der Bevölkerung hinter der gewerkschaftlichen Hauptforderung. Für die Gewerkschaften ist klar, dass es in Zukunft nicht genug Personal im Gesundheits- und Sozialbereich geben wird, wenn die Arbeit in diesem nicht deutlich attraktiver wird. Die kontinuierliche Verkürzung der Arbeitszeit ist ein wesentliches Mittel dafür. Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass das Sozial- und Gesundheitssystem gerade noch mit den Herausforderungen einer größeren Krankheitswelle zurechtkommt. Sollte eine größere zweite Welle kommen, wird dieses genauso kläglich scheitern wie in den USA, Britannien, Spanien oder Italien. Die Verantwortung für das daraus resultierende menschliche Leide würde dann eindeutig bei sparwütigen PolitikerInnen und Geschäftsführungen liegen, die nicht für Arbeitsbedingungen sorgen, die erforderlich sind, um ausreichend qualifiziertes Personal in der Branche zu halten oder zu finden.
In Anbetracht der enormen Zahl von Arbeitslosen infolge der Pandemie wäre eine Arbeitszeitverkürzung in einer der größten Branchen des Landes außerdem ein Beitrag zur Verteilung der vorhandenen Arbeit auf mehr Menschen.
61% der Befragten lehnen auch den 12-Stunden-Tag weiterhin ab. Die Ergebnisse des Volkshilfe-Sozialbarometers zeigen also mehr als eindeutig, dass die große Mehrheit der Bevölkerung zahlreiche Maßnahmen der letzten und der aktuellen Regierung mit deutlicher Mehrheit ablehnt. Hier gilt es anzusetzen.
Mit diesen Ergebnissen im Hinterkopf wäre es für die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften ein Leichtes massenhafte Mobilisierungen gegen den nach der Pandemie drohenden Sozialabbau vorzubereiten und durchzuführen und damit diesen Sozialabbau zu verhindern. Die SPÖ Wien ist laut Aussagen auf der virtuellen Maikundgebung mittlerweile dazu bereit, für bessere Löhne und kürzere Arbeitszeiten zu kämpfen. Ich hoffe, dass den schönen Worten bald Taten folgen, damit einmal mehr das Rote Wien zum Leuchtturm für die Welt wird.
Ebenso könnten mit diesem Rückhalt in der Bevölkerung die Arbeitsbedingungen im Sozial- und Gesundheitsbereich massiv verbessert werden – unabhängig davon, ob es nun einen Kollektivvertragsabschluss gibt oder nicht. Ein Kollektivvertrag ist schließlich in letzter Konsequenz nichts anderes als ein Vertrag, der jederzeit geändert werden kann. Mit der aufgezeigten Unterstützung der Bevölkerung ist es möglich, solche Verträge jederzeit zu ändern. Jede Regierung, die die erforderlichen Mittel dafür nicht bereitstellt, könnte ganz schnell Geschichte sein.
Die gesammelten Ergebnisse des Volkshilfe-Sozialbaromters finden sich unter hier.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen