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Freitag, 27. November 2020

Generalstreik in Indien

Seit gestern findet in Indien der zweite Generalstreik im Jahr 2020 statt. Bisher liegen keine TeilnehmerInnenzahlen vor. Auf Basis der letzten Generalstreiks können wir aber von hunderten Millionen ausgehen. Parallel zum Streik fanden Massenaktionen von armen Bauern/Bäuerinnen und LandarbeiterInnen gegen die sog. Farm Laws, die Landarbeit noch weiter deregulieren, statt.

Der Generalstreik wurde von der Vereinigten Plattform der Gewerkschaftszentralen (Joint Platform of Central Trade Unions), bestehend aus 10 gewerkschaftlichen Dachverbänden, organisiert, die mit einer Ausnahme das gesamte politische Spektrum auf dem Subkontinent abbilden. Es wundert nicht weiter, dass diese Ausnahme der Gewerkschaftsverband der Regierungspartei ist.

Bei diesem Streik geht es erneut um Verschlechterungen im Arbeitsrecht. Seit 2019 wurden vier neue Arbeitsgesetze ins Parlament eingebracht, welche die bisher bestehenden 44 ersetzen sollen. Wesentliche Punkte darin sind:
  • Die Arbeitsgesetze gelten jetzt erst ab der doppelten oder gar dreifachen Anzahl an Beschäftigten wie früher, insbes. was den ArbeitnehmerInnenschutz betrifft. So galt z.B. das Fabrikgesetz von 1948 bisher für alle Betriebe mit mehr als 10 Beschäftigten, sofern sie mit Elektrizität versorgt wurden, und für alle mit mehr als 20 Beschäftigen ohne Strom. Seit der Gesetzesnovelle sind es 20 bzw. 40.
  • Die fristlose Entlassung ohne Angabe von Gründen und Zustimmung der Behörden wird für bis zu 300 statt 100 Beschäftigte möglich.
  • Es dürfen mehr LeiharbeiterInnen eingesetzt werden.
  • Einschränkung des Rechts auf gewerkschaftliche Organisation.

Seit der Öffnung der indischen Wirtschaft 1980 wurde das Arbeitsrecht Schritt für Schritt verschlechtert. Dieser Prozess beschleunigte sich mit der Weltwirtschaftskrise ab 2007 und nochmals als die Bharatiya Janata Party (Indische Volkspartei) 2014 die Regierung übernahm. Diese offen reaktionäre und rassistische Partei macht heute die Drecksarbeit des Kapitals. Sie formiert sich um die Ideologie des Hindutva. Laut dieser gehört Indien ausschließlich den Hindus und religiöse Minderheiten wie MuslimInnen, Indigene, die „unteren“ Kasten, Frauen und sexuelle Minderheiten sollen Menschen zweiter Klasse sein.

Auf dieser Basis ist es der Bharatiya Janata Party (BJP) gelungen, die Massen ebenso zu spalten, wie es hierzulange RassistInnen aller Couleur mit MigrantInnen und Flüchtlingen taten und mittlerweile mit MuslimInnen tun. Und es passiert, was passieren musste. Infolge der gelungen Spaltung wurden demokratische Rechte eingeschränkt und Proteste brutal niedergeschlagen. In Delhi provozierte die BJP gar Pogrome gegen MuslimInnen und Protestierende.

Mittlerweile haben die arbeitenden Menschen diese Politik durchschaut und setzen sich, all diese Spaltungen überwindend, gemeinsam gegen die Entrechtung und Überausbeutung am Arbeitsplatz in all ihren Formen, wie z.B. TaglöhnerInnentum oder andere Formen der ausufernden Kontraktarbeit, die weite Teile des Arbeitsmarktes prägen, zur Wehr.

Die vom Weltmarkt und den internationalen Finanzmärkten abhängige indische Wirtschaft kann ihre hohe Profitabilität und das rasante Wirtschaftswachstum nur aufrechterhalten, wenn die Ausbeutung der Arbeitskraft immer weiter gesteigert wird.

Neben der Forderung nach der Rücknahme der neuen Arbeitsgesetze verlangen die Gewerkschaften eine monatliche staatliche Unterstützung von 7.500 Rupien (rund 85 Euro) für alle Familien, die keine Einkommenssteuer zahlen sowie 10 Kilogramm kostenloser Lebensmittel für alle Bedürftigen wie z.B. WanderarbeiterInnen, deren Lage durch die COVID-19-Pandemie noch weiter verschärft wurde. Die logische Fortsetzung dieses Zugangs wäre die Forderung nach einem Mindestlohn.
All das muss erkämpft werden. Und das wird nur gehen, wenn alle Spaltungen entlang ethnischer, religiöser oder Geschlechterlinien überwunden werden. Eintägige Generalstreiks werden dazu nicht reichen. Und die indische ArbeiterInnenklasse wird sich ihre eigene Partei schaffen müssen, die ihre Bedürfnisse und Interessen ohne Wenn und Aber vertritt.

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