Vorgeschichte
Der Parteitag war leider der Höhepunkt einer undemokratischen Chose, die mit permanenten Änderungen der Bedingungen für eine Kandidatur begonnen hat. Die sich damit fortsetzte, dass zahlreiche Menschen, die der SPÖ neu beigetreten sind, „leider zu spät“ als Mitglieder aufgenommen wurden, um beim „Stimmungsbild“ mitmachen zu dürfen, aber sehr wohl ab März Mitgliedsbeitrag zahlen müssen. Ganz besonders in Niederösterreich. Das verwundert uns leider nicht, weil die Stimmung in diesem Bundesland offensichtlich sehr stark zu einem der ihren tendierte, während sich die dortige Parteispitze für Doskozil positionierte.
Der Gipfel der Undemokratie war schließlich die Tatsache, dass die Letztentscheidung auf einem Parteitag gefällt wurde. Das ist zwar statutenkonform, zeigt aber dass die SPÖ nach wie vor eine zutiefst undemokratische Partei ist. Wenn die Delegierten wenigstens neu gewählt worden wären …, aber nein, es waren die gleichen wie auf dem letzten Parteitag, ebenfalls statutenkonform …
Alle Parteien, die innerparteiliche Demokratie ernst nehmen, hätten die Mitglieder die Entscheidung über den Vorsitz treffen lassen. Leider nimmt die SPÖ das mit der Demokratie in den eigenen Reihen nicht so ernst, was sich z.B. auch darin zeigt, dass Kandidat*innen im Regelfall noch immer von oben vorgegeben werden, diese nicht wirklich gewählt werden, sondern einzig jene, die wer von uns nicht haben will, gestrichen werden können, und es automatische Delegierungen z.B. des Bundesvorstandes am Parteitag gibt. Jenes Bundesparteivorstandes, der wiederum vom Parteitag gewählt wird. Kein Wunder, dass das viele an Max Webers Analyse der Bürokratie erinnert, der diese unter anderem als sich selbst reproduzierende soziale Struktur definiert.
Zwei Kandidat*innen
Viele Genoss*innen waren der Meinung, dass es vor allem darum geht, dass PRW „weg muss“ und haben das mit ihrer „Erfolglosigkeit“ argumentiert. Das trifft auch auf zahlreiche Genoss*innen zu, die Doskozil beim Stimmungsbild ihr Kreuzerl geschenkt haben.
Meiner Meinung nach handelt es sich dabei um ein falsches Argument. Schließlich darf, wie oft betont wird, der Preis für den politischen Erfolg nicht sein, dass wir keine Sozialdemokrat*innen mehr sind. Und hier liegt des Pudels Kern: PRW hat meiner Meinung nach nie verstanden, was Sozialdemokratie ist, was zahlreiche ihrer Aussagen etwa zur Arbeiter*innenklasse, zur Funktionsweise der Partei, zu Marx, zu Leistung, … belegen. Dass sie überhaupt Vorsitzende werden konnte, ist Ausdruck, dass die SPÖ schon lange nur mehr ein Wahlverein ist, ist Ausdruck für die Depolitisierung und (bewusste) Entideologisierung der Partei und insbesondere ihrer Basis.
Doskozil wird von vielen ein „Wahlsieger-Gen“ attestiert. Ob er das auch bei Bundeswahlen unter Beweis stellen kann, wird er erst beweisen müssen. Diverse Umfragen und ein kurzer Blick in die Social Media lassen daran zweifeln. Seit Stunden hagelt es in diesen Austrittsankündigungen und Aussagen von Parteimitgliedern, dass sie die SPÖ „nie mehr wählen“ würden. Das mag der ersten Wut geschuldet sein und wir werden erst in den nächsten Tagen wissen, wie viele wirklich austreten. Wie viele die SPÖ wegen ihm nicht mehr wählen werden, werden wir erst durch Wähler*innenstromanalysen in Zukunft erfahren.
Der Parteitag
Dass Parteitage oft gegen den Willen der Mitglieder entscheiden, ist nichts Neues. Prototypisch dafür war der in Wels, auf welchem entgegen der der Ergebnisse der Mitgliederbefragung unter anderem die Direktwahl des Vorsitzes mit bürokratischen Tricks verhindert wurde. Wäre das damals nicht verhindert worden, hätten wir bei dieser Vorsitzwahl ein sauberes Procedere haben können.
Insofern wäre es ein mittleres Wunder gewesen, wenn Andi Babler gewonnen hätte. Es wurde fast ein Wunder. Nahezu 47% der Delegiertenstimmen für einen, der in so ziemlich jeder Frage links der Parteispitze, allerdings wohl nur einer Minderheit der Mitglieder, steht, zeigt, wie verfahren die Situation der Partei ist.
Nur 53% für Doskozil belegen, dass die Partei de facto gespalten ist. Schon in den Diskussionen vor dem Parteitag haben viele aus beiden Lagern eine Spaltung der Partei nach dem Parteitag für die richtige Option gehalten. Mag sein, dass dieser Tag kommen wird. Ich denke, dass es dafür noch zu früh ist.
Denn es ist durchaus möglich, dass Doskozil schon im Herbst wieder Geschichte ist. Wenn nämlich, was ich täte, wenn ich Stratege der ÖVP wäre, schnellstmöglich Neuwahlen ausgerufen werden. Auch wenn Meinungsumfragen immer nur eine Momentaufnahmen sind, zeigen sie doch eine klare Tendenz: Doskozil kann im schwarzblauen Teich fischen. Der Stimmenzuwachs wird zwar nicht berauschend sein, könnte aber ausreichen, um eine Mehrheit für einen Bürger*innenblock aus diesen beiden Parteien unmöglich zu machen. Diese wollen Doskozil also möglichst wenig Zeit dafür geben. Sollte es zu Neuwahlen kommen, ist eine Wahlniederlage für die SPÖ so gut wie sicher. All jene, die Doskozil ihre Stimme gegeben haben, weil er „Wahlen gewinnen kann“ werden dann ganz schnell umdenken.
... und dann kam Andi!
Seien wir ehrlich: Vor seiner Kandidatur für den Parteivorsitz haben wahrscheinlich nicht einmal 10% der Parteimitglieder gewusst, wer Andi Babler überhaupt ist. Ausgehend davon bei der Mitgliederbefragung fast ein Drittel der Stimmen bekommen zu haben, kann nicht anders denn als Erdrutsch bezeichnet werden. Und dieser ist nicht nur die Folge des Auftretens von Andi Babler, welches viele Vorzüge hat. Vor allem kann er komplexe Zusammenhänge so rüberbringen, dass alle sie verstehen. Und er schwurbelt im Gegensatz zur Parteispitze nicht ständig von Sachzwängen, sondern sagt klar, dass es eine Sozialdemokratie braucht, die auf Basis ihrer Werte und Prinzipien gesellschaftliche Mehrheiten erkämpft.
Dieser Erfolg ist vor allem einer der vielen Genoss*innen, die sich für Andi ins Zeug gelegt haben, so wie auch wir Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen gegen Notstandspolitik. Eine Notstandspolitik, für die Doskozils Forderung an den Grenzen Panzer gegen Flüchtlinge auffahren zu lassen, typisch ist. Und die nun leider weiterhin von den Spindoktor*innen zur Linie der SPÖ gemacht werden wird.
Andi hat dieses enorme Engagement gerne als Bewegung interpretiert. Das stimmt auch. Allerdings nur zum Teil. Es war (und ist hoffentlich weiterhin) eine spontane Bewegung. Was es wirklich gebraucht hätte, um die Bürokratie besiegen zu können, wäre eine organisierte Parteilinke gewesen, die es leider in der SPÖ, wie auch Andi in seinen Reden immer wieder betont hat, nicht gibt. So wie z.B. Momentum, welches Corbyn in der Labour Party zum Vorsitz verholfen hat. Wie wir wissen, hat das nicht gereicht, da Corbyn die Bürokratie weiter im Sattel ließ statt die Partei zu demokratisieren, was letztlich dazu führte, dass ihn die Bürokratie mit miesesten Tricks demontierte. Das kennen wir auch aus Österreich. Als Andi Babler mit u.a. Erich Fenninger und Julia Herr die Initiative Kompass ins Leben rief, tauchten genau zum Zeitpunkt als diese für die Bürokratie gefährlich wurde, bestimmte Informationen auf, die ihn in ein schlechtes Licht rückten. ein Schelm, wer denkt, dass diese aus der Löwelstraße gekommen sein könnten ...
Und hier finden wir auch tatsächlich den einzigen Fehler in der Kampagne. Meiner Meinung nach hätte Anid Babler vor Ankündigung seiner Kandidatur die linken Kräfte in der Partei zusammenholen müssen (wogegen manche einwenden, dass dafür die Zeit gefehlt habe, was ich anders sehe, da die Zeit für Demokratie immer da sein muss,) um solch eine organisierte Parteilinke aus der Taufe zu heben und gemeinsam eine Bewegung und Kampagne zu konzipieren, hinter der all diese Kräfte stehen. Das sind sie in weiten Teilen trotz dieses Versäumnisses. Allerdings – und das müssen wir z.B. aus diversen Arbeitskämpfen aber auch der Klimabewegung lernen – engagieren sich Menschen nur dann mit voller Energie, wenn sie Teil der demokratischen Entscheidungsfindung sind. Ist es dafür jetzt zu spät?
Parteilinke jetzt!
Meiner Meinung nach sind die vielen Stimmen bei der Mitgliederbefragung für Andi Babler, aber auch die 47% der Delegierten, welche für ihn gestimmt haben, Ausdruck der Tatsache, dass es in der SPÖ einen starken Wunsch nach einer Parteilinken gibt. Einen starken Wunsch nach einem linken Kurs, nach einem Linksschwenk, nach der Rückkehr zu sozialdemokratischen Werten und Prinzipien, wie sie z.B. im Hainfelder Programm niedergelegt wurden. In den letzten Wochen war ich erstaunt, wie viele Mitglieder der Partei trotz des extremen Drucks der bürgerlichen Medien Marxismus – bei aller Interpretationsfähigkeit dieses Begriffs – grundsätzlich positiv sehen.
Daher ist der Kampf erst vorbei, wenn er vorbei ist. Für viele Menschen ist heute offensichtlich, was es lange nicht war: Der Kapitalismus verschlechtert unser Leben jeden Tag mehr, vernichtet eine lebenswerte Umwelt. Wer Inflation und Massenverarmung, wer Krieg und Klimakatastrophe stoppen will, muss auch dafür kämpfen, dass die Arbeiter*innenklasse die antikapitalistische Partei bekommt, die sie braucht und sich verdient.
Daher ist es nicht zu spät, jetzt eine Parteilinke aufzubauen. Die politischen Entwicklungen beschleunigen sich ständig weiter, was in Anbetracht der tiefen Krise des Systems, in dem wir leben müssen, nicht weiter verwunderlich ist. Ebenso beschleunigt sich auch die Entwicklung des politischen Bewusstseins der Massen, was über kurz oder lang Auswirkungen auf jede Partei haben muss. Egal wie bewahrend eine Bürokratie ist: Der Versuch, die eigenen Vorteile zu retten, kann daher innerhalb kürzester Zeit dazu führen, dass Doskozil wieder weg vom Fenster ist, wenn er nicht liefert.
Eine Parteilinke müsste sich deshalb schnellstens daran machen, die Partei und insbesondere ihre Mitglieder dazu einzuladen, sich zu reideologisieren, zu retheoretisieren, zu repolitisieren. Denn ohne sozialdemokratische Theorie gibt es keine sozialdemokratische Praxis. Erste Eckpunkte für solch eine Resozialdemokratisierung der SPÖ könnten die folgenden sein:
- Prinzipien und Werte wie Internationalismus, Solidarität und Antikapitalismus statt Meinungsumfragen und Spindoktor*innen
- Umbau des Steuersystems: Abschaffung der Mehrwertsteuer und Besteuerung aller Formen von Einnahmen, also auch solchen aus Eigentum, Gewinnen, Stiftungsvermögen, … entsprechend den Lohnsteuertarifen.
- Implementierung einer Steuerfreigrenze von € 2.500,-- für die Lohnsteuer, welche für jene, die weniger verdienen, in Form einer Negativsteuer ausgeglichen wird.
- Ausfinanzierung des Sozial-, Gesundheits- und Bildungssystems statt Finanzierung der Profite des Kapitals mit unseren Steuern.
- Mieten dürfen maximal entsprechend des Tariflohnindexes des letzten Jahres mit einem Deckel von wie zB in Spanien 2% oder Frankreich 3,5% steigen.
- Arbeitszeitverkürzung auf 32-Stunden mit Rechtsanspruch auf eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich im ersten Schritt. Danach weitere Verkürzung solange, bis es keine Arbeitslosigkeit mehr gibt unter Kontrolle der Organisationen der Arbeiter*innenbewegung.
- Entschädigungslose Verstaatlichung von Unternehmen, die mit der Verlagerung des Standortes oder der Vernichtung von Arbeitsplätzen drohen oder sich – wie aktuelle die Energiekonzerne - auf Kosten der Masse bereichern unter Kontrolle der Beschäftigten.
- Bedingungslose Beibehaltung der Neutralität. Transporte von Militärgütern durch oder über Österreich stoppen. Umbau der Rüstungsindustrie für zivile Zwecke.
- Demokratisierung der Partei: Echte Wahlen, bei denen alle mit einer bestimmten Anzahl von Unterstützungserklärungen für jede Funktion und Kandidatur kandidieren können, statt vorgegebene Listen und Streichungen. Jederzeitige Abwählbarkeit aller Funktionär*innen und Mandatar*innen und Begrenzung ihres Gesamteinkommen auf SWÖ-Kollektivvertrag Verwendungsgruppe 9, wobei alle Zeiten ab dem 15. Lebensjahr als Vordienstzeiten zählen.
- Die SPÖ muss wieder die Partei der Arbeiter*innenklasse werden, die sich die Überwindung des Kapitalismus auch in der Praxis zum Ziel setzt.
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