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Montag, 30. September 2024

Nach der Nationalratswahl aus der Perspektive einer Fernsehserie: Season 1 – das Wahlergebnis

Bevor wir uns im Detail mit dem Wahlergebnis auseinandersetzen, muss uns klar sein, dass dieses Ausdruck der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise des Systems ist, in dem wir leben müssen. Es gibt keine klare Mehrheit für ein weiter wie bisher im Sinne des Kapitals, da die FPÖ in den Augen vieler fälschlicherweise als Antisystempartei angesehen wird. Und es gibt bei weitem noch keine Mehrheit für eine neue Gesellschaft, die im Interesse der Vielen agiert, was uns in Anbetracht von Jahrzehnten neoliberaler Propaganda und sozialpartnerschaftlicher Unterordnung unter die Interessen des Kapitals nicht weiter verwundern darf.

Mit einem Wort: Die Vielen wollen kein „Weiter wie bisher“, haben aber kein klares Bild, wie dieses Neue aussehen kann und muss. Auch das darf uns nicht wundern, gibt es doch derzeit keine relevante politische Kraft im Land, die für einen tatsächlichen Bruch mit dem bisherigen System, kämpft und ein glaubwürdiges Bild davon zeichnen kann. Die die Massen für eine solche Veränderung mobilisieren kann. Auch, aber nicht nur, bei Wahlen.

Relevanten Ergebnisse aus Sicht der SPÖ


Die Wähler*innen der SPÖ wollen im Gegensatz zu zahlreichen Spitzenfunktionär*innen der Partei keinen Rechtskurs. Das zeigt sich einerseits daran, dass in jenen Bundesländern, in welchen dieser Wunsch von der Parteispitze am offensten vertreten wurde – mit Ausnahme Tirols, was in Anbetracht dessen Funktion als schwarzes Kernland nicht weiter verwundert – die Blauen auf Platz 1 gekommen sind. Und das sogar in Bundesländern, die als rot gelten: Kärnten und Burgenland. Jene in der Partei, die fordern, dass sich diese gesellschaftspolitisch noch weiter rechts ausrichtet, machen also Wahlkampf für die FPÖ. Ob sie das wollen oder nicht, ist irrelevant.

Zweitens zeigt sich das an den Koalitionspräferenzen der SPÖ-Wähler*innen. Gerade einmal fünf Prozent von diesen wollen eine Koalition mit der FPÖ. Diese liegt damit sogar unter der Bierpartei und schafft gerade einmal den halben Wert der KPÖ.

Nicht weiter verwunderlich ist, dass das Hauptwahlmotiv bei allen Parteien deren inhaltliche Positionen sind. Dass die Teuerung bei allen Wähler*innengruppen ein zentrales Motiv ist, darf nicht verwundern. Das gilt selbst für jene, für die auch „Zuwanderung“ (was immer das heißen soll, nachdem sich ja alle Parteien für deren Notwendigkeit ausgesprochen haben) als ein zentrales Wahlmotiv angeben.

Zwischen beiden Themen gibt es einen offensichtlichen Zusammenhang. Der Abbau des Sozialstaates, die Abnahme der Lohnquote und die daraus resultierende Massenverarmung schaffen überhaupt erst die Möglichkeit, nach Sündenböcken zu suchen, welche FPÖVP in den Ausländer*innen zu finden vermeinen, obwohl sie genau wissen, dass weite Teile der „Wirtschaft“ ohne Arbeitsmigrant*innen nicht mehr funktionieren können. Bei ihrem Rassismus handelt es sich ergo um faktenbefreite Emotionalisierung von Wähler*innen, die zurecht verzweifelt sind, weil sie keine Zukunft für sich mehr sehen.

Dass die Teuerung (ebenso wie Arbeitsbedingungen, Pensionen, Gesundheit, Pflege und Wohnen) bei den FPÖ-Wähler*innen am häufigsten diskutiert wurde, bestätigt diese These, und zeigt, dass die Forderungen der SPÖ bei diesen Themen zu unkonkret und zu weich waren, was wahrscheinlich auch der Grund dafür ist, dass unsere Wähler*innen bei der Häufigkeit der Diskussion über die Einkommensverteilung gleichauf mit jenen der FPÖ liegen. Über die Gründe dafür wird später noch zu schreiben sein.

Erschreckend ist, dass die FPÖ es geschafft hat, massiv von Nichtwähler*innen zu gewinnen (258.000 Stimmen), während wir als SPÖ von diesen gerade mal 54.000 Stimmen gewinnen konnten, obwohl diese offensichtlich die zentrale Zielgruppe für gute Wahlergebnisse sind. Die Mobilisierungsproblematik zeigt sich auch daran, dass die Wahlbeteiligung tendenziell in jenen Bundesländern am höchsten war, in denen die FPÖ am besten abgeschnitten hat, und in Wien am geringsten.

Der Corbyn-Effekt und Andi Babler


Wer in der Partei aktiv ist und auch nur teilweise mitbekommt, was in dieser abläuft, kann ohne besonders viel Phantasie erkennen, dass mehrere Landesparteien bewusst viel zu wenig Wahlkampf gemacht haben, um den ungeliebten linken Vorsitzenden nach einem schlechten Wahlergebnis möglichst schnell wieder loszuwerden. Mir scheint, dass sie Andi Bablers Steherqualitäten gewaltig unterschätzen.

Ob die Illusion „schlechtes Bundesergebnis – gutes Ergebnis in Wien“ aufgehen wird, scheint mir mehr als fraglich. Und selbst wenn es 2025 in Wien ein überragendes Wahlergebnis geben sollte, wird das je nach Koalition möglicherweise nichts nutzen. Eine FPÖVP-Regierung würde Wien wie seinerzeit vor 1934 finanziell so aushungern, dass keine fortschrittliche Politik mehr möglich sein wird.

Die Wurzeln für einen inhaltlich ziemlich beliebigen Wahlkampf liegen aber viel früher – spätestens am Bundesparteitag 2023. Damals haben gewichtige Landesparteien zentrale Forderungen von Andi Babler zu Grabe getragen. Von ernsthaften Vermögens- und Erbschaftssteuern (Tirol, Oberösterreich, Niederösterreich) über die 32-Stunden-Woche (Burgenland) bis zur Demokratisierung der Partei (Wien). Demokratiepolitisch lebt die SPÖ ohne echte Direktwahl des Vorsitzes und Urabstimmungen der Basis über Koalitionsprogramme wie etwa in der SPD nach wie vor in der Vergangenheit.

Fatal und in Anbetracht der Stimmung in der Bevölkerung war auch die vom ach so fortschrittlichen 9. Bezirk in Wien durchgesetzte Aufweichung unserer Positionen zur Neutralität, die sich stark nach den Neos anhört, und Unterordnung unter die Kriegslogik mit der Forderung nach Aufrüstung, die ein aus der Friedensbewegung kommender Vorsitzender, der zutiefst von der Neutralität überzeugt ist, selbstverständlich nicht glaubwürdig vermitteln kann. Gerade an diesem Beispiel ist offensichtlich geworden, dass nicht nur die Parteirechte mit Grundprinzipien der Sozialdemokratie gebrochen haben, sondern auch Kreise, die sich als links verstehen.

Sowohl eine echte Umverteilung von oben nach unten als auch eine massive Arbeitszeitverkürzung und ein bedingungsloses Eintreten für Frieden sind allerdings jene Themen, die eine echte Trendwende zugunsten der SPÖ möglich gemacht hätten.

Trotzdem er gekämpft hat wie ein Berserker und mit Sicherheit der sozialdemokratischste Parteivorsitzende seit zumindest 1934 ist, liegt hier wahrscheinlich einer von nur zwei Fehlern, der Andi Babler vorgeworfen hat. Er ist zutiefst vom Einheitsdenken geprägt und deshalb zu zu vielen Kompromissen mit den Blockierer*innen in der Partei bereit, welche dann oft in beliebigen und unkonkreten Forderungen enden. Forderungen, die viele nicht ernst nehmen. Wie z.B. eben Vermögenssteuern ab Beträgen, von denen nahezu alle wissen, dass sie diese nie und nimmer in ihrem Leben erreichen können.

Der zweite liegt darin, dass er wie die große Mehrheit in diesem Land über DIE Demokratie spricht als ob es nur eine Form davon gäbe. Tatsächlich kann eine große Mehrheit dieser Form von Demokratie – der parlamentarischen Demokratie – nichts mehr abgewinnen. Das zeigen die Antworten auf auf die Aussage „Im Parlament bilden sich die Meinungen und Interessen der Menschen in Österreich gut ab.“ mehr als deutlich: 62% stimmen dieser wenig oder gar nicht zu – bei den Wähler*innen sind es 61%, bei den Nicht-Wähler*innen 65%. Es ist also hoch an der Zeit nach über 100 Jahren über eine Weiterentwicklung und Ausweitung demokratischer Prozesse nachzudenken und für eine solche zu kämpfen. Viel zu viele Menschen erleben tagtäglich, dass ihnen DIESE Demokratie nur mehr Verschlechterungen bringt.

Schon bei der Gründung der Partei waren wir in Bezug darauf deutlich klarer. So steht im Hainfelder Programm zu lesen: „Ohne sich über den Wert des Parlamentarismus, einer Form der modernen Klassenherrschaft, irgendwie zu täuschen, wird sie das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht für alle Vertretungskörper mit Diätenbezug anstreben, als eines der wichtigsten Mittel der Agitation und Organisation.“ Agitation und Organisation – nicht gesellschaftlicher Veränderung!

Sehr klar kommt in diesen wenigen Worten also zum Ausdruck, dass aus sozialdemokratischer Perspektive echte gesellschaftliche Veränderungen unmöglich sind. Diese können ausschließlich die Folge des Kampfes der Arbeiter*innenklasse sein. Dass die repräsentative Demokratie nicht der Weisheit letzter Schluss ist, zeigt übrigens auch die derzeit in diversen Wissenschaften breit diskutierte Partizipationstheorie, welche diese als Paternalismus definiert. Den aber wollten wir doch eigentlich mit der Monarchie gemeinsam überwinden.

Die SPÖ muss wieder sozialdemokratisch werden!


Nichts könnte falscher sein als die Gleichsetzung einer Partei – der SPÖ – mit einer politischen Ideologie – der Sozialdemokratie. Selbstverständlich sollte und müsste eine Partei wie die SPÖ sozialdemokratisch sein. Das können aber auch andere sein, wie die mehr oder weniger sozialdemokratischen Programme der aktuellen KPÖ und vieler anderer Parteien auf der Welt zeigen.

Es kann trefflich darüber gestritten werden, seit wann die SPÖ nicht mehr sozialdemokratisch ist. Manche werden sagen, dass das schon seit 1914 mit der Unterordnung unter die Interessen der bürgerlichen Nation in Anbetracht des I. Weltkrieges so ist. Andere werden das Linzer Programm von 1926, welches die Illusion einer parlamentarischen Überwindung des Kapitalismus säte, als Kipppunkt nennen. Mit Sicherheit ist das seit Kreiskys „Aufstieg, Leistung, Sicherheit“ der Fall, welches dazu führte, dass nicht mehr unsere Klasse im Zentrum der Politik der SPÖ stand, sondern der individuelle Aufstieg – eine Emotion die Individualismus und Egoismus befördert und damit die Daseinsberechtigung der SPÖ als Partei der Arbeiter*innenklasse negiert. Letztlich war dieses Wahlprogramm nichts als eine Unterordnung unter den sog. Neoliberalismus als nach wie vor dominante Richtung des Kapitalismus.

Es wird dringend Zeit, solche Fehlentwicklungen zu erkennen und zu überwinden. Dazu wird es auch notwendig sein so manchen Säulenheiligen als das zu erkennen, was er wirklich war – als Totengräber der Sozialdemokratie. Ohne Kurskorrektur in diesen Fragen wieder zum Zentrum des Programms und des Handelns der Sozialdemokratie zu machen, wird es für die meisten von uns keine menschenwürdige Zukunft geben. Kämpfen wir für diese und eine Resozialdemokratisierung der SPÖ, für die Andi Babler angetreten ist!

Dazu gehört auch, dass wir uns aus den Fesseln des Nationalismus lösen – schon im Hainfelder Programm definierte sich die Partei als internationalistisch. Dazu gehört auch bedingungslose Solidarität. Denn diese hat und kennt keine Grenzen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass es notwendig ist, den bürgerlichen Staat, der letztlich nur eine Klassengefängnis ist, das – wie an den aktuellen Kriegen mehr als deutlich sichtbar – einzig dazu dient, uns von unseren Klassenbrüdern und -schwestern zu trennen.

Daran haben die Herrschenden selbstverständlich ein massives Interesse, da ohne die Spaltung der Arbeiter*innenklasse entlang nationaler Grenzen – ebenso wie durch Rassismus, Sexismus, Homophobie usw. – ihre Herrschaft schnell beendet wäre. Mit einem Wort: Die SPÖ muss wieder antikapitalistisch werden, um sozialdemokratisch sein zu können. Auch zu dieser Frage war das Hainfelder Programm mehr als deutlich:

Der Besitzer der Arbeitskraft, die Arbeiterklasse, wird dadurch zum Sklaven der Besitzer der Arbeitsmittel, der Kapitalistenklasse, deren politische und ökonomische Herrschaft im heutigen Staate Ausdruck findet. Der Einzelbesitz an Produktionsmitteln, wie er also politisch den Klassenstaat bedeutet, bedeutet ökonomisch steigende Massenarmut und wachsende Verelendung immer breiterer Volksschichten. […] Der Übergang der Arbeitsmittel in den gemeinschaftlichen Besitz der Gesamtheit des arbeitenden Volkes bedeutet also nicht nur die Befreiung der Arbeiterklasse, sondern auch die Erfüllung einer geschichtlich notwendigen Entwicklung. Der Träger dieser Entwicklung kann nur das klassenbewußte und als politische Partei organisierte Proletariat sein. Das Proletariat politisch zu organisieren, es mit dem Bewußtsein seiner Lage und seiner Aufgabe zu erfüllen, es geistig und physisch kampffähig zu machen und zu erhalten, ist daher das eigentliche Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Österreich.

Mit einem Wort: Aufgabe einer sozialdemokratischen Partei ist nicht politische Vertretung oder gar Verwaltung und schon gar nicht der Ausgleich unvereinbarer Klasseninteressen, sondern der Kampf – nicht für, sondern – mit der Arbeiter*innenklasse. Der Klassenkampf, der von oben permanent geführt wird, den wir allerdings seit langem von unten unbeantwortet lassen, was die Ursache von gesellschaftlicher Spaltung und sich permanent verschlechternden Arbeits- und Lebensbedingungen ist. Das muss sich schnellstens ändern. Ebenso wie die Illusion, dass wir nur etwas erreichen können, wenn wir an der Regierung beteiligt sind. Erinnern wir uns einfach daran, dass einer der größten Fortschritte seit dem II. Weltkrieg – die 40-Stundenwoche – erkämpft wurde als die SPÖ in Opposition war!

Das allerdings wird nur möglich sein, wenn die SPÖ von der Sitzung wieder zur Bewegung wird. Repräsentative bürgerliche Parlamente sind gute Orte, um unsere politischen Positionen bekannt zu machen und zu erklären. Sie sind allerdings ungeeignet, um Veränderungen in unserem Sinn umzusetzen. In letzter Konsequenz werden sie als Instrumente der Klassenherrschaft immer das tun, was dem Kapital, was dem Profit dient.

Was wir brauchen sind sozialdemokratische und folglich zutiefst politische statt Serviceorganisationen, die wieder das gesamten Leben durchdringen und dadurch die Massen von der Überlegenheit unserer politischen Ideen überzeugen und diese – wo immer möglich – mit diesen gemeinsam in die Realität umsetzen.

Was wir brauchen sind hunderte, tausende, abertausende Genoss*innen, die überall dort politisch aktiv sind, wo die Menschen sind!

Dazu braucht es dich! Und dich! Und auch dich!


Die Arbeiter*innenklasse, also wir arbeitenden Menschen, die Jugend und die Pensionist*innen, können uns auch nach der Wahl des neuen Nationalrats keine Verbesserung unseres Lebens von diesem erwarten. Wir können nur auf unsere eigene Kraft setzen! Einzig Massenmobilisierungen im Sinne einer sozialen Bewegung – von Demonstrationen bis hin zu ernsthaften Streiks – können eine Perspektive eröffnen, die nicht mit einer weiteren Verschlechterung unserer Arbeits- und Lebensbedingungen endet.

Der tatsächliche Kampf um die politische Macht hat noch nie in Parlamenten stattgefunden. In Anbetracht des Wahlergebnisses ist dem noch weniger so als bisher. Er findet in den Betrieben statt, in Schulen und auf den Unis, auf der Straße, im Grätzel, im Beisl und beim Wirten, auf dem Sportplatz, bei Konzerten – überall, wo wir Menschen treffen, die auf der Suche nach einer Perspektive sind, die zu einem guten Leben für alle führt.

Vor allem also dort, wo Menschen bereits politisch aktiv sind – auf Kundgebungen, Demos und in Arbeitskämpfen. Diese müssen wieder zu Meeren roter Fahnen werden und es darf keine linke politische Aktion geben, bei der wir als Partei nicht präsent sind. Das ist es, was Andi Babler immer gelebt hat. Darum wird es Zeit, dass wir auch selbst wieder öffentlich politische Aktivitäten in Form von Kundgebungen und Demos organisieren, insbes. bei unseren Hauptthemen Antifaschismus und Arbeit.

Konkret bedeutet das, dass wir nicht darauf warten dürfen, bis sich welche Parteien auch immer auf eine Koalition geeinigt haben. Jeden Tag, in jedem Gespräch, bei jeder politischen Diskussion und Aktion können wir klarmachen, was wir nicht wollen, welche Koalition wir ablehnen. Und gleichzeitig sagen, was wir uns von allen Parteien erwarten. Daher bereiten wir gemeinsam mit anderen schon jetzt eine Demonstration für den Fall der Angelobung einer Regierung unter Beteiligung der FPÖ vor.

Gleichzeitig müssen wir uns dafür stark machen, dass es eine echte Alternative gibt. Kämpf mit uns in der SPÖ darum, dass diese wieder zu einer sozialdemokratischen Partei im Sinne des Hainfelder Programms wird!

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