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Donnerstag, 22. September 2011

Italien: 1 Urlaub - 2 Streiks

6. September 2011 – rote Fahnen beherrschen das Stadtbild von Rom. Ein eindrucksvolles Bild. Im Rahmen des für diesen Tag von mehreren Gewerkschaften angesetzten Generalstreiks gegen die Sparpolitik der Regierung Berlusconi wird die Stadt, in der die Vergangenheit scheinbar für immer leben wird, in einen Ort der Zukunft verwandelt, in dem die arbeitenden Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Der Grund für den sich manifestierenden Unmut ist nicht so viel anders als in anderen Ländern. Als Folge der kapitalistischen Krise 'muss' die bürgerliche Regierung die Unsummen, welche sie vor wenigen Jahren für das bankrotte Finanzkapital verwendete, wieder hereinbringen. Selbstverständlich kann nicht dieser Teil des Kapitals, welcher seither wieder fette Profite schreibt, zur Kasse gebeten werden, sondern die arbeitenden Menschen sollen einmal mehr für die Unfähigkeit des herrschenden Systems blechen.
Das gilt um so mehr in den sog. Pleitestaaten wie Irland, Griechenland, Portugal und auch Italien. Die Maßnahmen der bürgerlichen Regierungen gleichen einander fast wie ein Ei dem anderen: Pensions- und Lohnkürzungen, Kündigung zehntausender Staatsbediensteter, Erhöhung von Steuern und Abgaben für die breite Masse. Immerhin sollen in Italien wie in zahlreichen anderen Ländern aber auch die Reichen zumindest mit einem symbolischen Beitrag zur Bewältigung der Kosten für die Krise herangezogen werden – etwas, das in Österreich von fast allen politischen Parteien mit Zähnen und Klauen bekämpft wird.
Zurück aber nach Rom. Im Rahmen eines landesweiten Streiks, der fast nur von der CGIL (dem größten und ehemals der Kommunistischen Partei Italiens nahestehenden Gewerkschaftsdachverband) getragen wird, werden diese Maßnahmen bekämpft. Landesweit sind 100 Demonstrationen in 100 verschiedenen Städten zeitgleich angesetzt. In Rom sind schätzungsweise 100.000 auf der Straße. Wie sehr das politische Establishment unter Druck steht, zeigt sich daran, dass einen Tag vor der Demo auch Plakate der Partei "Italien der Werte" von Antonio di Pietro für die Beteiligung am Streik aufrufen. Und dieser di Pietro, der sich einst einen Ruf als Staatsanwalt gegen die Korruption machte und damit nicht unwesentlich zum Ende der bis in die frühen 1990er herrschenden Parteienlandschaft beitrug, ist beileibe kein Linker – er ist ein liberaler Bürgerlicher.
Die Demo selbst in Rom war heiß, lang und laut. Autonome, Antinationale oder sonstige Kräfte, die hierzulande vorgeben, Teil der Linken zu sein, waren nicht zu sehen. Auch die hierzulande immer zu sehenden Blöcke linker Splittergruppen gab es nicht, was nicht bedeutet, dass diese nicht anwesend waren. Der Streik aber war ein Tag der italienischen ArbeiterInnenklasse, ihrer größten Organisation und der Klassensolidarität; in Anbetracht dessen haben sich fast alle TeilnehmerInnen dem gemeinsamen Ziel und Interesse untergeordnet. Schlicht und einfach eindrucksvoll – ebenso wie die Schlusskundgebung.
Diese fand direkt hinter dem Kolosseum statt. Vergangenheit und Zukunft gaben sich die Hand. Am Schluss gab es zudem viel weniger Reden als hierzulande üblich – ein deutliches Zeichen dafür, wer bei solchen Aktionen im Mittelpunkt steht, die arbeitenden Menschen nämlich und nicht ihre SpitzenrepräsentantInnen. Bei den beiden Reden gab es sowohl Applaus als auch Buhrufe, was nicht weiter verwunderlich war, haben doch die RednerInnen, insbes. die Generalsekretärin der CGIL Susanna Camusso, welche dem linken Flügel zugerechnet wird, auf die Notwendigkeit von Ruhe nach dem Ende des Streiks und eine Reihe von Gerichtsverfahren, die angestrebt werden, hingewiesen. Die TeilnehmerInnen wollten aber ganz etwas anderes – kämpfen bis zum Ende, worüber die Gewerkschaftsspitzen wie immer kein Wort verloren. Eine solche Perspektive kommt in ihrer Logik einfach nicht vor.
Ganz anders war die Stimmung, als kurz zuvor die Moderatorin der Schlusskundgebung die nahezu endlose Liste der beteiligten Betriebe, jeweils mit der Anzahl der streikenden KollegInnen verlas. Gemurre bei Beteiligungen bis zu 50%, verhaltener Applaus bei Prozentzahlen bis zu 70% und tosender Jubel bei höheren Zahlen.
Die Schwächen und Stärken der italienischen ArbeiterInnenbewegung wurden auf dieser Demonstration sehr deutlich. Ein Generalstreik, der nur von einem der Gewerkschaftsverbände ausgerufen wird, kann eben kein echter Generalstreik sein. Die Spaltung in politisch ausgerichtete Dachverbände muss irgendwann überwunden werden, um diese Schwäche zu überwinden. Auch politisch sind die italienischen Gewerkschaften kaum weiter als die österreichischen – zu sehr ist ihr Denken nach wie vor in der reformistischen Logik des nationalen Standortes verhaftet. Andererseits war aber die sichtbare Einheit der Klasse an diesem Tag mehr als eindrucksvoll – Eigeninteressen wurden für die gemeinsame Sache zurückgestellt.
Schließlich war noch erkennbar, dass die KollegInnen auf der Apenninenhalbinsel mehr Mut zu starken Worten haben, was sich auch in der Wahrnehmung ihrer politischen Aktionen durch die Massenmedien, die Öffentlichkeit und die Herrschenden widerspiegelt. Auch wenn an diesem Tag bestenfalls 20% der Lohnabhängigen tatsächlich gestreikt haben, hat jedeR von einem Generalstreik gesprochen, einfach, weil die CGIL die Aktionen an diesem Tag so betitelt hat.
Auf der Rückfahrt am 17. September hat dann – kurzfristig angesetzt – ein erneuter 24-stündiger Streik der EisenbahnerInnen stattgefunden. Mindestens 7 von 10 Zügen sind gefahren – trotzdem hat jedeR von Streik gesprochen. Wenn wir das mit den Verhältnissen in Österreich vergleichen, so kommt hier eine andere Mentalität zum Ausdruck. Wenn ein paar KollegInnen nicht arbeiten, dann heißt das hierzulande nie und nimmer Streik. Und wenn, so wie am Großaktionstag gegen die Pensionsreform 2003 rund 40% der Beschäftigten nicht arbeiten, so heißt das in den meisten österreichischen Betrieben "verlängerte Betriebsversammlung", "Dienst nach Vorschrift" oder wie auch immer. Nur in den gewerkschaftlich sehr gut organisierten Bereichen wurde damals von unseren Gewerkschaften überhaupt von Streik gesprochen, während die ausländische Presse sehr wohl von Generalstreik in Österreich geschrieben hat.
Wir müssen lernen, die Dinge beim Namen zu nennen. Nicht bei der Analyse im Nachhinein – diese muss ehrlich sein. Aber beim Aufruf zu gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen müssen wir sagen, was notwendig ist. 2003 wäre ein Generalstreik zur Verhinderung des Pensionsmassakers notwendig gewesen. Das hätten wir GewerkschafterInnen auch sagen müssen, ebenso wie wir dazu hätten aufrufen müssen und mit all unseren Kräften zur Umsetzung beitragen. Aber dazu müssen wir das Kind zuerst beim Namen nennen. Das ist es, was wir von den italienischen KollegInnen lernen können und müssen.

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