Offener Brief an Bundesparteivorsitzenden Christian Kern und den Bundesparteivorstand
Genosse Kern,
Genossinnen und Genossen,
wir wenden uns an Euch, da wir die Zukunft der Sozialdemokratie bedroht sehen. Mit der Zustimmung zu Notstandsverordnung durch die sozialdemokratische Fraktion könnte unsere Zukunft am 6.9. Geschichte sein. Wir sind der Meinung, dass jegliche Notstandspolitik, insbesondere gegenüber Flüchtlingen, allen Grundprinzipien von Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung widerspricht. Eine Sozialdemokratie, die diesen Namen verdient, kann daher einer solchen Vorgehensweise nicht zustimmen!
Keine Zustimmung zu Notstandsgesetzen!
Keine Zustimmung zu Notstandsmaßnahmen und Obergrenzen!
Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass es noch nicht zu spät ist, dass es noch immer genug Genossinnen und Genossen gibt, denen die Grundprinzipien der Sozialdemokratie etwas bedeuten, und die daher gegen jede Notstandspolitik eintreten werden!
Den Medien ist jedoch zu entnehmen, dass die sozialdemokratische Regierungsfraktion bis 6.9.2016 die Definition eines Notstandes anstrebt. Diese Aufgabe ist direkte Konsequenz aus der Novellierung des Asylgesetzes, das mit 1. Juni 2016 in Kraft getreten ist. Diese sieht vor, dass die Bundesregierung nun mit dem Nationalrat einen Notstand ausrufen kann, wenn die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit“ gefährdet scheinen.
Die Voraussetzungen für die Erlassung einer solchen Notverordnung müssen jedoch gesetzlich festgehalten werden – genau das legt der Entwurf aber nicht fest und überlässt die Beurteilung damit allein den politischen EntscheidungsträgerInnen. Ursprünglich hatten sich SPÖ und ÖVP darauf geeinigt, dass ein entsprechender „Notzustand“ bei einer Obergrenze von 37.500 Asylanträgen pro Jahr anzunehmen ist. Laut Medienberichten sieht der Verordnungsentwurf des Innenministeriums nun jedoch vor: Der „Notstand“ soll nicht nur auf Basis von nachprüfbaren Fakten definiert werden (z.B. Anzahl der Asylanträge, Arbeitslosenzahlen). Er soll auch abstrakte, also rein subjektive Kriterien enthalten. Aus unserer Sicht ist das ein gefährlicher Schritt, der eine missbräuchliche Handhabe nicht nur nicht bekämpft sondern gar noch deutlich vereinfacht. Diese Entwicklung entspricht rundum der Logik der Notstandspolitik: Rechtsstaatliche Garantien werden abmontiert. Entscheidungsgewalt wandert von der Legislative zur Exekutive und wird somit jeglicher demokratischen Kontrolle entzogen. Genau deshalb gilt der Notstand als besonders missbrauchsanfällig - und ist in vielen Verfassungen aus demokratiepolitischen Erwägungen gar nicht erst verankert.
Auch sieht das neue Asylgesetz eine Kompetenzerweiterung der Sicherheitsapparate vor. Gemeinsam mit den diversen Novellen des Sicherheitspolizeigesetzes in den letzten Jahren werden damit weitere demokratische Grundrechte ausgehebelt. Gerade als SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen müssen uns die historischen Erfahrungen unserer eigenen Bewegung zu höchster Umsicht mahnen. Nachdem ein Notstand ein Gefahrenszenario braucht, muss er Gefahren – und damit auch FeindInnen – benennen. Während der Monarchie, aber auch später in den 1930er Jahren sah man diese Gefahren vor allem in den fortschrittlichen Ideen der SozialdemokratInnen bzw. der ArbeiterInnenbewegung im Allgemeinen. Dass bei einer anderen Regierungskoalition erneut die ArbeiterInnenbewegung von Repression und politischer Verfolgung mittels Notverordnungen betroffen sein würde, ist absehbar. Darum gilt auch hier: Wehret den Anfängen!
In den Erläuterungen zum Asylgesetz werden heute Flüchtlinge als solch eine Gefahr für die innere Sicherheit und öffentliche Ordnung präsentiert. Eine Menschengruppe wird damit pauschal als Existenzbedrohung dargestellt. Auf diese Weise soll uns die Verletzung ihrer bürgerlichen Grundrechte nicht als Menschenrechtsverletzung sondern als alternativlose Notwehrmaßnahme erscheinen. Eine derartige Perspektive auf eine der verletzlichsten Gruppen in unserer Bevölkerung ist nicht nur menschlich gesprochen zynisch. Auch politisch widerspricht sie im Kern jeder sozialdemokratischen Grundidee von Solidarität und Gleichheit. Aus unserer Sicht handelt es sich bei jeglicher Form von Notstandspolitiken um eine Büchse der Pandora und eine potenzielle Bedrohung für Demokratie und Freiheit. Was heute bei „den Flüchtlingen“ geht, geht morgen auch bei jeder anderen Bevölkerungsgruppe.
Auf dem Rücken der Flüchtlinge treiben neben der FPÖ vor allem die rechten ÖVP-Hardliner die Spaltung der Gesellschaft immer weiter. Das Ziel dieser Akteure ist die Zerschlagung der sozialstaatlichen Errungenschaften. Dem müssen wir lautstark entgegentreten, damit eine solche Politik nicht in noch weiteren Kreisen von Gesellschaft und Partei salonfähig wird!
Genosse Kern hat öffentlich mehrmals darauf hingewiesen, dass alles, was die Sozialdemokratie ausmacht, bereits im Hainfelder Programm angelegt ist. Dem können wir uns nur aus vollem Herzen anschließen! Ein Notstand ist in diesem jedenfalls nicht vorgesehen – ganz im Gegenteil spricht es sich für eine Ausweitung der Demokratie aus! Geschlossene Grenzen finden sich in diesem Programm ebenfalls nicht, vielmehr spricht es von Solidarität mit allen, die unserer Hilfe bedürfen! Daher: Bewahren wir unsere Grundprinzipien, statt uns hilflos an die Macht zu klammern. Wir alle werden an unseren Taten gemessen.
Kein Nachgeben gegenüber den Forderungen der rechten HetzerInnen!
Beendigung der Regierungszusammenarbeit mit der ÖVP, wenn diese weiter auf der Umsetzung von Obergrenze und Notstand besteht!
Diesen Text habe ich gemeinsam mit GenossInnen aus der SPÖ Wien 8 als Grundlage für eine Facebook-Kampagne erstellt.
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