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Montag, 26. September 2016

Weshalb ich mich unglaublich schäme

Von schweren taktischen Fehlern, Demokratiedefiziten und einem Tag, den ich niemals erleben wollte

Noch nie in meinen mittlerweile gar nicht mehr so wenigen Jahren als Betriebsrat und Gewerkschafter habe ich etwas, das meine Gewerkschaft gemacht hat, wirklich peinlich gefunden. Bis heute!

Das heißt nicht, dass ich immer alles gut gefunden oder nicht auch vieles für verbesserungswürdig befunden habe, aber heute hätte mich die Scham fast niedergeworfen. Einen Moment lang überfiel mich das schreckliche Gefühl, dass das eh alles sinnlos ist.

Während am gleichen Tag die MetallerInnen mit ihrer Forderung nach 3% mehr Lohn bzw. Gehalt ungewöhnlich offensiv in die Kollektivvertragsverhandlungen gestartet sind, forderten wir Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitsbereich „mehr soziale Wärme“ und „mehr Geld“.

Wie viel, das weiß keineR! Doch jedeR, von dem „mehr Geld“ gefordert wird, würde wohl zuerst fragen: Wie viel? Wir selbst als Privatpersonen und erst recht der Finanzminister – von dem erwarten wir uns das sogar zu Recht, schließlich sind es unsere Steuergelder, mit denen er es täglich zu tun hat. Also wird er wohl auch in unserem Namen als SteuerzahlerInnen fragen müssen: Wofür? Die Antwort „soziale Wärme“ ist da etwas unbefriedigend. Was ist das konkret? Und wieviel kostet „soziale Wärme“?

Klar, wir sind eine Frauenbranche – deswegen kommt es sicher auch gut, wenn wir Männchen (geformt aus einem von vielen KollegInnen in nun sinnlos verschwendeter harter Arbeit gestrickten Schal mit über 6.000 Meter Länge) vor dem Finanzminister machen und bitte bitte bitte sagen, statt endlich mal auf den Tisch zu hauen und unsere Rechte einzufordern. Zynismus Ende. Ich bin wütend!

Mit dieser Vorgehensweise werden skandalöserweise Rollenklischees reproduziert. Frauen machen Männchen, während Männer fordern. Aus der Perspektive der massenmedial verarbeiteten Öffentlichkeitsarbeit ist das ein Desaster. Da können wir nur von Glück reden, dass diese Aktion von den bürgerlichen Massenmedien in Anbetracht der am gleichen Tag begonnen Kollektivvertragsverhandlungen der MetallerInnen und der ebenfalls an diesem Tag bekanntgegebenen Gründung der dubiosen ständischen „PflegerInnengewerkschaft“ mehr oder weniger ignoriert wurde.

Ich bin wütend über jene, die im Gegensatz zu den Beschlüssen, die wir in unseren Gremien in der GPA-djp getroffen haben, wieder einmal nachgegeben haben, und statt der offensiven und zukunftsweisenden Forderung nach der 35-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich, also einer deutlichen Arbeitszeitverkürzung, diesem von unserer Partnergewerkschaft und einigen KollegInnen in unseren eigenen Reihen gewünschten BittstellerInnentum zugestimmt haben.

Alles hätte ganz anders aussehen können und auch sollen. Im März beschlossen wir, unsere Taktik bei den Kollektivvertragsverhandlungen im privaten Sozial- und Gesundheitsbereich (SWÖ, Caritas, Diakonie) umzustellen, und schon Monate vor deren Beginn mit der Hauptforderung an die Öffentlichkeit zu gehen, so dass ArbeitgeberInnen und Politik nicht die Ausrede haben, sie hätten ja nichts von dieser Forderung gewusst, so dass es jetzt zu spät sei, das dafür erforderliche Geld zur Verfügung zu stellen. Wahrscheinlich hätten sie das sowieso nicht getan. Aber die offene Ignoranz gegenüber unseren Rechten hätte die ohnehin enorme Wut der KollegInnen über ihre beschämenden Arbeitsbedingungen noch weiter massiv gesteigert, so dass wir gute Mobilisierungsmöglichkeiten gehabt hätten.

Um diese Forderung zu präsentieren, wollten wir mit dem bereits erwähnte Schal die Ministerien für Gesundheit und Soziales sowie das Verwaltungsgebäude des Finanzministeriums einwickeln. Schließlich müssen solche Forderungen auch an die fachlich zuständigen MinisterInnen erhoben werden, die dann ja wiederum die erforderlichen Mittel beim Finanzminister einfordern müssen, dem dieses Thema sonst Powidl sein wird. Wir haben auch einhellig festgelegt, dass wir unsere Partnergewerkschaft zu dieser Aktion einladen, aber diese alleine durchziehen, wenn sie nicht genau in dieser Form mitmachen will.

Das hätte dann doch ein ganz anderes Bild abgeben als die heutige Aktion, bei der Schal schwingende KollegInnen zu YMCA und ähnlichem Liedgut vor dem Ministerium tanzten. Ein Bild, das nur eine Interpretationsmöglichkeit zulässt: Denen muss es ja eh gut gehen.

Offensichtlich wurde diese Beschlusslage nicht korrekt an unsere Partnergewerkschaft kommuniziert. Uns wiederum wurde mitgeteilt, dass sich diese beteiligt, und es nur noch eine Sitzung zur Abstimmung der letzten Details braucht. Diese begann dann aber gleich damit, dass die KollegInnen aus der anderen Gewerkschaft erklärten, was sie alles anders wollen.

Das Hauptargument war – wie nicht anders zu erwarten, dass doch bitte keine Forderungen vor Beginn der Kollektivvertragsverhandlungen öffentlich bekannt gegeben werden können. Nachdem in den letzten Jahren trotz unserer gebetsmühlenartig wiederholten Bekenntnis, dass die Lohnschere zwischen Sozial- und Gesundheitsbereich und dem Durchschnitt der Beschäftigten im Land endlich geschlossen werden muss, bei den Kollektivvertragsverhandlungen kaum etwas weitergegangen ist, ist mehr als offensichtlich, dass unsere bisherige Taktik nichts bringt.

Eine neue Taktik, die vor allem auf die rechtzeitige Mobilisierung der betroffenen KollegInnen setzt, ist da zumindest erfolgversprechender. Aber das entspricht halt in den Augen jener, die noch immer der Illusion der längst zu Grabe getragenen SozialpartnerInnenschaft anhängen, nicht deren Gepflogenheiten … Doch wem sind wir als GewerkschafterInnen verpflichtet? Dem „Verhandlungspartner“ oder aber unseren Mitgliedern? Es gibt offenbar zwei unterschiedliche Antworten darauf, wovon die eine sich von selbst richtet.

Dann wurde argumentiert, dass es gute Bilder für die Medien braucht, was nur möglich sei, wenn viele KollegInnen an einem Platz sind, statt verteilt um den Ring zu stehen. Offenbar haben jene, die dieses Argument vertraten, noch nicht mitbekommen, dass statische Bilder ohnehin out sind und bewegte Bilder das Gebot der Stunde. Ein Video auf youtube bringt heute oft viel mehr als ein Foto in allen großen Tageszeitungen.

Auch die Kamerafahrt wurde schon vor langer Zeit entdeckt. Wenn wir an einen französischen Film aus den 1950ern denken, wo die Kamera minutenlang an einem Verkehrsstau entlangfährt, dann hätte ein Video, das zeigt, wie KollegInnen den „längsten Schal Österreichs“ für ihre Forderung der 35-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich von LKWs nehmen und damit die drei genannten Ministerien einkreisen, allemal gewaltiges Potential gehabt.

Doch darum geht es in Wirklichkeit gar nicht. Jene, die so argumentieren, wollen lieber gute Bilder statt der Mobilisierung der KollegInnen! Entweder weil sie Angst vor einer solchen haben, oder aber, weil sie diese nicht auf die Straße bringen können. Das zeigt sich auch wieder einmal deutlich daran, dass die Partnergewerkschaft außer ein paar Hauptamtlichen kaum Leute zur Aktion brachte. Aus den von der GPA-djp betreuten Betrieben in Wien nahmen auch nur wenige KollegInnen teil, da diesen die Aktion zu weich war.

So blieben ein paar tapfere KollegInnen aus den Bundesländern, die sich den weiten Weg nach Wien für eine in letzter Konsequenz kontraproduktive Aktion antaten, die dementsprechend klein ausgefallen ist. Auch unser Betriebsrat hat, nachdem die ursprünglich geplante Aktion abgewürgt worden ar, innerhalb von 15 Minuten entschieden, dass wir uns nicht an dieser beteiligen und seither in den Diskussionen mit der Belegschaft darüber eine überwältigende Unterstützung für diese Entscheidung erfahren.

Schließlich wurde noch argumentiert, dass jene KollegInnen, die Meter um Meter gestrickt haben, nicht damit einverstanden sind, dass ihr Schal jetzt für die „unrealistische Forderungen nach der 35-Stundenwoche“ eingesetzt wird, da sie ihre Arbeitskraft doch für „soziale Wärme“ eingesetzt haben. Verzeihung! Gibt es wirklich KollegInnen, die keine Arbeitszeitverkürzung wollen? Und was ist mit den vielen Teilzeitbeschäftigten, denen diese bei gleichbleibender Arbeitszeit eine massive Lohnerhöhung bringen würde? Sind die wirklich dagegen? Oder aber haben da einige BetriebsrätInnen die Diskussion gescheut und nicht erklärt, um was es in Wirklichkeit geht? Oder gar ihre eigene Angst vor angeblich unrealistischen Forderungen auf die KollegInnen projiziert?

Was mich fast am meisten wütend macht, ist das Demokratieverständnis mancher FunktionärInnen und Hauptamtlichen. Meiner Meinung nach müssen jene, die uns in Arbeitsgruppen vertreten, in diesen die gemeinsam erarbeiteten Positionen und Beschlüsse der Gremien vertreten. Wer das nicht tut, wird zum/r TotengräberIn der ohnehin schwach ausgebildeten innergewerkschaftlichen Demokratie. Diese aber ist die einzige Chance, die Gewerkschaften entsprechend von Punkt 9 des Leitbildes des ÖGB wieder zu einer Kampforganisation zu machen!

So kann es nicht weitergehen! Das wird immer offensichtlicher! Nicht umsonst gründeten ÄrztInnen und PflegerInnen bereits eigene „Gewerkschaften“, was ich für einen Fehler halte, auch wenn ich ihre Beweggründe dafür durchaus sehr gut verstehen kann. So lahmarschig wie einige Gewerkschaften und zahlreihe ihrer Hauptamtlichen und FunktionärInnen agieren, sehen diese KollegInnen die einzige Chance in einem Neubeginn.

Der Weg ist in Wirklichkeit ein anderer: Kämpfen wir um unsere Gewerkschaften! Lassen wir uns diese nicht von jenen wegnehmen, die die Zeichen der Zeit noch nicht erkennen wollen oder können und so agieren, wie wenn wir noch immer in der „goldenen Ära der SozialpartnerInnenschaft“ leben würden! Lassen wir uns nicht mehr von diesen KollegInnen und den zahnlosen unter den Teilgewerkschaften lahmlegen! Lassen wir uns nicht mehr von jenen zurückhalten, die noch nicht weit genug sind!

Ich könnte noch immer vor lauter Wut platzen! Aber nach wenigen Sekunden des Nachdenkens ist für mich trotzdem klar, dass ich mir meine Gewerkschaft nicht von den Angsthasen, NostalgikerInnen und jenen wegnehmen lasse, die nicht verstehen wollen, was Demokratie ist! Viel zu viele KollegInnen denken wie ich. Sie und all jene, die auf unsere Unterstützung im Kampf gegen ihre skandalösen Arbeitsbedingungen angewiesen sind, haben es sich verdient, dass wir, die wir so denken und auch agieren, darum kämpfen, dass unsere Gewerkschaften das tun, wozu sie da sind: Kampfaktionen statt Party!

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