Seiten

Freitag, 28. April 2017

Generalstreik in Brasilien

Für den 28. April 2017 haben alle großen brasilianischen Gewerkschaftsdachverbände aus Protest gegen die Arbeitsmarkt- und Pensionsreform der Regierung zu einem eintägigen Generalstreik aufgerufen.

Erstaunlich daran ist, dass nicht nur die linkeren Dachverbände CUT, CTB, Intersindical und CSP-Conlutas sich daran beteiligen, sondern auch CSB, Nova Central, Força Sindical (FS), UGT, SGBT – also auch diejenigen Gewerkschaften, die den Putsch gegen die Regierung Rousseff unterstützt haben. Dieser Streik ist der bisherige Höhepunkt einer aufsteigenden Protestwelle, die am 15. März mit Demonstrationen von über einer Million Lohnabhängigen begonnen hat. Parallel zur Abstimmung über die sog. Reform im Parlament am 31. März waren dann mehrere Millionen auf den Straßen.

Tatsächlich will die Regierung des ungewählten Präsidenten Temer bevor es 2018 die nächsten Präsidentschaftswahlen gibt so schnell wie möglich einen Generalangriff auf die sozialen Errungenschaften der beiden Amtsperioden von Lula durchziehen. Damit könnte Brasilien wie seinerzeit Chile in den 1970ern zum Vorbild für eine politischen Wende in ganz Lateinamerika werden, welche die Lebensbedingungen der Massen auf Jahrzehnte verschlechtert, während gleichzeitig die Profite der Konzerne ins Unermessliche steigen.

Nicht zuletzt ist es die sog. Neue Linke in Lateinamerika selbst, die dafür verantwortlich ist, dass die Herrschenden heute einen Generalangriff starten können. Zu viele ihrer Versprechungen konnte sie nicht halten. Zu viele Kompromisse hat sie mit GrundbesitzerInnen, Kapital und Agrarindustrie gemacht, um ihre Versprechen umsetzen zu können. In Anbetracht der unerträglichen Lebensbedingungen suchen Teile der Massen heute einen Ausweg aus ihrer Misere, der sie in die Hände der Rechten treibt. Am deutlichsten sichtbar ist das gegenwärtig in Venezuela.

Im Gegensatz zu den 1970ern werden die Herrschenden derzeit aber keine rechten Militärputschs brauchen, um sich durchzusetzen. Die überragende Macht ihrer Massenmedien (in Brasilien z.B. des Globo-Konzerns) reicht vollkommen dazu aus, Hoffnungen zu schüren, die morgen bereits wieder verraten werden werden. Gleichzeitig bedienen sie sich der Justiz, um wichtige Persönlichkeiten der Linken zu diskreditieren.

So geht der von Globo als Held des Anti-Korruptionskampfes gefeierte Bundesrichter Moro in geradezu skandalöser Weise gegen PolitkerInnen der PT (der ArbeiterInnenpartei, vergleichbar der europäischen Sozialdemokratie), speziell den ehemaligen Staatspräsidenten Lula da Silva vor (auch wenn er gegen ihn selbst nach Jahren keinen einzigen Beweis finden konnte), während die Spitzen der rechten Parteien (Serra, Neves, Alckmin), trotz zahlreicher Beweise und Aussagen von Konzernchefs (z.B. Odebrecht) weitgehend unbehelligt bleiben. So können diese feinen Damen und Herren jetzt ihr Korruptionsnetzwerk einmal mehr nutzen, um Konterreformen gegen die arbeitenden Menschen durchzudrücken.

Sofort nachdem Temer die Macht ergriffen hatte, wurde so eine Haushaltsdefizitbremse für 20 Jahre in der Verfassung verankert. Diese wir z.B. im Gesundheits- und Bildungsbereich zu Ausgabenkürzungen um die 40% führen. Sofort gestrichen wurden die Mittel für die Bekämpfung des Analphabetismus. 10-30 % der BezieherInnen von Sozialhilfe (Bolsa Familia) verloren diese. Die Mittel für sozialen Wohnungsbau wurden massiv gekürzt. Ebenso wurden zahlreiche Kürzungsmaßnahmen im Bildungssektor beschlossen, besonders was Stipendien und öffentliche Bildungseinrichtungen betrifft, was schon 2016 zu massiven Protesten von SchülerInnen und Studierenden führte.

Mittlerweile sind aber die Gewerkschaften in den Kampf eingetreten, was das Kräfteverhältnis massiv verschoben hat. Das darf nicht weiter verwundern, soll doch u.a. die Leiharbeit, die bisher nur in wenigen Dienstleistungsbranchen legal war, vollkommen freigegeben werden. Schätzungen gehen davon aus, dass dadurch die Zahl von LeiharbeiterInnen von 13 auf 50 Millionen zunehmen wird! Weiters soll die Befristung von Arbeitsverhältnissen massiv ausgeweitet werden. Ebenso soll das Pensionsalter auf 65 Jahre angehoben werden, wobei für die volle Pension 49 Versicherungsjahre erforderlich sein werden. Für Frauen bedeutet das eine Anhebung des Pensionsalters um zusätzliche 5 Jahre, was dazu führte, dass der 8. März zum Auftakt der gegenwärtigen Protestwelle wurde.

Schon heute gibt es in zahlreichen Städten, Stadtteilen, Regionen und Betrieben Basiskomitees, die die Proteste planen. Das ist eine gute Voraussetzung für den weiteren Kampf. Allerdings fehlt diesen bisher eine landesweite Koordination, die die Voraussetzung dafür ist, dass der Angriff der Regierung abgewehrt werden kann. Gleichzeitig muss auch die Form des Kampfes überdacht werden. Ein eintägiger Generalstreik wird sicher nicht dazu ausreichen, die Offensive der Herrschenden zu stoppen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen