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Freitag, 3. Juni 2022

Von Heisln und Strossn. Anmerkungen zum Landesparteitag der SPÖ Wien 2022

Noch immer schlägt der Landesparteitag der SPÖ Wellen. Noch immer wollen die Medien nicht darüber schweigen. Noch immer können sich weder Herr Nevrivy noch die Parteispitze zu einer Entschuldigung durchringen. Doch eigentlich wollte ich in dieser als Parteitag getarnten Hochsicherheitszone etwas ganz anderes sagen.

Schon beim Eintritt wurden wir Delegierten ein wenig an das Ost-Berlin vor 1989 erinnert: blickdichte Tretgitter (s. Foto), ein massives Polizeiaufgebot, das 2 einsame Demonstrant*innen mit einem Minitransparent vertrieb und scharfe Einlasskontrollen ließen schon beim Eingang die Frage aufkommen, ob wir uns tatsächlich (noch) in einer Demokratie befinden. Offenbar hatten die Verantwortlichen für diesen Parteitag Angst vor einer Demonstration, die anderer Meinung ist.

Bekannt wie ein bunter Hund, der ich nun mal bin, wurde mir wenigstens das unwürdige Schauspiel einer Personenkontrolle nicht zuteil und ich wurde mit einem „Dia glaub is eh“ schnell durchgewunken. So privilegiert war ich mir seit meinem Eintritt in die Partei noch nie vorgekommen.

Das änderte sich nach ein paar Stunden als ich wie viele andere mal kurz was zu essen holen gehen wollte, um der Ausbeutung durch das Catering in der Messe Wien – als Sacherwürstel getarnte Frankfurter um wohlfeile € 6,50 … – zu entkommen. Raus durfte zu diesem Zeitpunkt niemand. Wie ich später erfuhr, war zu diesem Zeitpunkt die Demo gegen Lobautunnel und Stadtstraße vor der Messe, die so manch eine*r in der Partei offenbar mehr fürchtet als den Klimawandel. Demokratie ist halt doch was Relatives und hat ihre Grenzen bei der Meinung der Parteispitze und so wurde schon Tage zuvor gewitzelt, dass „wir wohl in Zukunft Demoslots bei unseren Parteitagen vergeben müssen“.

Immerhin war auch zu erfahren, dass die 400 Auserwählten, die an den künftig alle zwei Jahre statt dem Parteitag stattfindenden „Wiener Konferenzen“ teilnehmen dürfen, „a bissl a Jause bekommen werden“, womit sich das Ernährungsproblem künftig lösen lassen können sollte. Für die rund 1.000 Delegierten bei Landesparteitagen ist das klarerweise nicht möglich. Schließlich kann der Parteitag künftig nur mehr alle zwei Jahre stattfinden, weil er schlicht und einfach zu teuer ist.

So teuer immerhin, dass manch ein*e Delegierte*r diesen bei einer freiwilligen Spende an die Partei, die ihr*sein Einkommen für wenige Jahre auf das von Normalsterblichen reduziert, diesen alleine finanzieren könnte. Doch eine solche Tat, auf die Genoss*innen mit hohen und politischen Einkommen einst stolz waren, ist heute nicht mehr Usus – schließlich muss sich Leistug lohnen, womit aber nicht die von Heimhilfen, Pflegekräften und sonstigen Systemerhalter*innen gemeint ist. Demokratie ist folglich im doppelten Sinn nichts mehr wert: Weder in Form inhaltlicher Auseinandersetzung noch finanziell.

Die Leistung der o.g. Berufsgruppen würde sich übrigens schnell mehr lohnen, wenn wir unsere eigenen Parteitagsbeschlüsse ernst nehmen. Konkret könnte die geforderte 35-Stunden-Woche in der Stadt Wien in den Betrieben in ihrem Umfeld rasch umgesetzt werden, was die Einkommen pro Stunde deutlich erhöhen würde. Doch die Stadt Wien bleibt trotz permanenter Aussendungen via Kontrast-Blog der SPÖ wie toll die Arbeitszeitverkürzung in privaten Betrieben funktioniert weiterhin stur bei den längst überkommenen 40 Stunden.

Doppelt geschützt durch Armband und Pin, dessen Bedeutung sich mir entzieht, (s. Foto) durften wir Delegierten uns zumindest in den heiligen Hallen frei bewegen. Immerhin. Und hier kommen wir zu meinem nächsten Privileg: Als Delegierter der Gewerkschafter*innen in der SPÖ muss ich mich immerhin keinen Klo-Gang-Stricherl-Listen unterwerfen, die laut Flurfunk von bestimmen Bezirken nach wie vor geführt werden und über künftige Delegierungen mitentscheiden. Delegierte, die grundlos einfach nicht auftauchen – auch heuer über 100 – haben hingegen nichts zu befürchten. Heuer wurde noch dazu vergessen, mir die Liste auszuhändigen, wie ich abzustimmen habe.

Nach der über Jahre mit mehr oder weniger Druck durchgedrückten Entdemokratisierung der Partei – genannt Statutenreform, in der sich tatsächlich auch positive Elemente finden (etwa die Möglichkeit, dass Sektionen direkt Anträge stellen) – beginnt endlich die Diskussion über die Klimapolitik der Partei. Hin und her wogt die Diskussion, Argumente Pro und Contra werden ausgetauscht. Bis zu einem bestimmten Moment durchaus solidarisch und zivilisiert.

Bis Herr N. nach einer längeren Aufzählung von Straßen, die uns wohl klar machen soll, dass es auf eine mehr oder weniger auch nicht ankommt, seinen mittlerweile notorischen Sager mit den Heisln tut. Gut – bin ich eben ein Heisl. Kein Problem. Ich bin schließlich auch kein Kind von Traurigkeit bei der Verwendung rüder Ausdrücke. Inakzeptabel aber ist es, Aktivist*innen und Wissenschafter*innen, die in einer relativ begrenzten und höchst umstrittenden Frage anderer Meinung sind, pauschal als solche zu verunglimpfen. In Deutschland treten Politiker*innen wegen viel geringerer Ausrutscher am laufenden Band zurück.

Interessant an seiner Wortspende war für mich insbes. seine Einschätzung, dass „wir jetzt auch in der Partei darüber diskutieren müssen“. Offenbar sind die seit langem in der Partei tobenden Diskussionen über die Verkehrspolitik noch nicht im gallischen Dorf der Bezirksvorstehung der Donaustadt angekommen. Dass Herr N. zu sprachkreativen Äußerungen neigt, ist hingegen dank seiner Videosprechstunden hinlänglich bekannt.

Und wie es der Zufall so will, komme ich direkt nach dem Tätiger dieser Aussage dran. Hier nun meine Rede vom Landesparteitag, wie ich sie gehalten hätte, wenn ich nicht auf diesen Sager hätte reagieren müssen, was die Redezeit für die eigentlichen Themen doch ein wenig verkürzte.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen,

lieber Genosse Nevrivy. Danke für diese wunderbare Einleitung. Ich schäme mich für einen Parteitag, auf dem jemand solch beleidigende Äußerungen von sich gibt. Ich schäme mich dafür, Genosse Nevrivy.

Herr Klien vom ORF hat mich vorher draußen gefragt, ob der Lobautunnel das Hainburg des Michael Ludwig wird. Ich habe ihm gesagt, dass ich das nicht weiß. Das wird heute hier drinnen entschieden.

Ich kann mich seit längerem nicht des Gefühls erwehren, dass sich zwei Buben in der Sandkiste darüber streiten, ob das Küberl, also der Tunnel, rot oder grün ist. Tatsächlich ist Beton immer grau.

Unter der Vielzahl der Fakten greife ich einige wenige heraus.

Kann Wien den Klimawandel alleine lösen? Nein!
Stimmt die Richtung in der Wiener Klimapolitik? Ja.
Reichen die gegen den Klimawandel ergriffenen Maßnahmen? Möglicherweise.
Kann Wien einen größeren Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten? Mit Sicherheit! Es könnte sogar wie mit der Sozial- und Wohnbaupolitik bis 1934 zum internationalen Vorbild werden.
Braucht Wien im Norden eine Umfahrung? Ja! Aber keine Durchfahrung, wie sie derzeit geplant ist, die den verkehrsgeplagten Menschen am Stadtrand in frühestens 10 Jahren vielleicht Entlastung bringen könnte. Als ersten Schritt braucht es wie in vielen Orten ein Transitverbot durch Wien.
Braucht Wien zusätzliche Wohnungen? Mit Sicherheit! Doch warum konnten wir vor ein paar Jahren noch stolz auf einen autofreien neuen Stadtteil sein, was jetzt scheinbar unmöglich ist?
Bauen „wir“ diese Wohnungen für 60.000 Menschen in der Donaustadt? Nein! Genossin Becher hat im Nationalrat eindeutig nachgewiesen, dass diese großteils von Immobilienfirmen errichtet werden, also genau jenen Spekulant*innen, die heute Wohnen für viele unleistbar machen, was auch einer der Gründe für Pendelverkehr ist.
Brauchen neue Stadtteile Verkehr? Selbstverständlich! Vor allem aber in Form dessen, was wir an den Stadträndern im 21., 22. und 23. Bezirk viel zu lange verabsäumt haben. Also Öffis. Und eine Ringlinie rund um den Stadtrand.
Braucht es die Stadtstraße? Gute Frage. Mit Sicherheit nicht in dieser Dimension. Der Verkehr auf den Hauptrouten durch den 22. Bezirk nimmt seit Jahren ab. Kein Wunder, haben doch immer weniger Wiener*innen ein Auto. Je jünger die Menschen sind, desto weniger Autos gibt es pro Kopf. Viele wollen und noch mehr können sich kein Auto leisten. Wenn ich mir ansehe, dass über 30% der Kolleg*innen bei uns im privaten Sozial- und Gesundheitsbereich unter der Armutsgefährdungsschwelle verdienen, wundere ich mich nicht, dass sie mir als SPÖler sagen: „Füa uns hobts kan Euro, oba fia den depattn Tunnl“. Wenn die Entwicklung des Autobesitzes weiterhin so abnimmt, wie in den letzten Jahren, ist jedes Straßenbauprojekt schlicht und einfach rausgeschmissenes Geld.
Ich wohne an der Tangente. Es mag egoistisch sein, aber genauso wie viele am Stadtrand, insbsondere in der Donaustadt, habe ich wie viele andere Landstrasser*innen keine Lust auf noch mehr Verkehr vor meiner Haustüre. Und der Verkehr auf der Tangente wird um bis zu 30% zunehmen, sobald die Stadtstraße fertiggestellt ist.
Hat Wien einen geringeren Flächenverbrauch pro Kopf als der Rest Österreichs? Ja!
Ist der Flächenverbrauch gering genug? Nein! Dazu muss Boden auch wieder entsiegelt werden.
Vor wenigen Wochen haben die Genossen Bürgermeister und Klimastadtrat angekündigt, dass der private Autoverkehr in Wien um 50% abnehmen wird. Ich betone: Wird! Nicht soll. Straßenbauprojekte stehen im Widerspruch zu dieser Aussage. Die Menschen, die uns (noch) zuhören, können diesen Widerspruch für sich nicht auflösen. Und wir wundern uns, dass unsere Botschaften nicht ankommen …
Wollen wir die Fehler der Vergangenheit wiederholen?
Wollen wir Zwentendorf wiederholen?
Wollen wir Hainburg wiederholen?
Wollen wir wie damals gegen die Stimmung in der Bevölkerung an überholten Projekten festhalten und zusehen, wie diese von Bewegungen verhindert werden?
Wollen wir wieder den politischen Preis dafür zahlen, dass wir nicht auf der Höhe der Zeit sind? So wie damals als die Grünen zuerst als Partei entstanden und dann in den Nationalrat eingezogen sind, was uns viele gekostet hat, die in vielen Fragen denken wie wir?
Wollen wir uns einmal mehr gegen die Stimmung einer Bewegung stellen? Gegen die Mehrheit, gegen die Vielen, die kein Auto wollen oder sich nie in ihrem Leben eines leisten werden können? Gegen die Jugend? Gegen die Zukunft?

Dieser Parteitag steht unter dem Motto „Den Wiener Weg gehen“. Es wird schon seinen Grund haben, dass hier nicht „Den Wiener Weg fahren" steht.

Wir sind das Bauvolk der kommenden Welt. Ja. Aber diese kann und wird nicht aus Beton bestehen.

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