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Sonntag, 14. Juli 2024

Nils Kadritzke (1973): Faschismus als gesellschaftliche Realität und als unrealistischer Kampfbegriff, in: Probleme des Klassenkampfes 8/9, S. 103-143

Innerhalb der Linken ist der Begriff Faschismus derzeit wieder in aller Munde, was nicht weiter verwundert, da diese Ideologie auf dem Vormarsch ist, medial breit rezipiert wird und Forderungen aus diesem Dunstkreis tief in die Programme bürgerlicher Parteien bis in die sog. Mitte vorgedrungen sind. Ja sogar vermeintliche Linke machen sich Teile davon zu eigen.

Gleichzeitig wird Faschismus zu oft inflationär (vgl. S. 135, 138) als Kampfbegriff gegen alles, was rechts ist, was einem nicht in den Kram passt, verwendet. Insofern ist es dringend vonnöten wieder zu einer klaren Definition zu kommen, um was es sich dabei wirklich handelt.

Zuerst mal muss uns klar sein, dass Faschismus nicht einfach die Folge der Verblendung böser, verirrter oder verwirrter Menschen ist. Kapitalismus und Faschismus sind untrennbare Zwillinge. (vgl. S. 106) Ohne dieses Verständnis ist Antifaschismus zwar gut gemeint aber sinnlos. Immer wenn sich der Kapitalismus in einer ernste Krise befindet, werden von dessen Verteidiger*innen Ideologien aus dem Hut gezaubert, welche das Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse verwirren.

Je tiefer die Krise ist, desto eher handelt es sich dabei um den Faschismus. Vorerst mal nur als Gedankengut als Teil des ideologischen Klassenkampfs, was meist schon ausreicht, um das Überleben dieses Systems zu sichern und unsere Klasse in die Defensive zu treiben.

Nur in extrem tiefen Krisen, die das Kapital bzw. dessen Herrschaft tatsächlich gefährden, kann der Faschismus an die Macht kommen. Insofern ist dieser die extremste und gewalttätigste Form der bürgerlichen Klassenherrschaft. (vgl. S. 119) Faschismus ist die „offene Diktatur des Kapitals“ (S. 120, vgl. S. 122), die auch dazu dient dessen Profitinteressen massiv zu verbessern (vgl. S. 121, 128f) – auch durch Zwangsarbeit (vgl. S. 132).

„Faschismus ist Gewalt gegen die Arbeiterklasse. Aber nicht jede Gewalt gegen die Arbeiterklasse ist faschistisch. Auch die bürgerlich-demokratische Republik ist, wie die Tatsachen zeigen, der brutalsten und zügellosesten Gewalt gegen die Arbeiterklasse fähig. Der Faschismus (aber) … zerschlägt die vom bürgerlichen Staat unabhängigen Arbeiterorganisationen.“ (S. 108, Fußnote 15)

Ob dieses Zitates werden viele aufschreien, gerade auch jene, die den Begriff Demokratie verabsolutieren und nicht mehr erkennen können oder wollen, dass es viele Formen von Demokratie gibt und selbst die höchste Form von Demokratie noch immer keine echte Partizipation, keine Selbstbestimmung der Vielen über ihre Leben ist.

Schaut euch bitte z.B. einfach die Bilder über die Niederschlagung des britischen Bergarbeiter*innenstreiks unter Thatcher an und ihr werdet euer Bild über die Gewalt der bürgerlichen Demokratie gegen unsere Klasse schnellstens revidieren. Offensichtlich ist jedenfalls, dass der Faschismus an der Macht im Gegensatz zur 'normalen bürgerlichen Klassenherrschaft' dem Kapital zuallererst dazu dient, die organisierte Arbeiter*innenbewegung zu zerschlagen. (vgl.: S. 130)

Wiederholen wir nicht den Fehler unserer Vorgänger*innen in den 1920ern und 1930ern, die bürgerliche Demokratie zu idealisieren. Diese und Aberzehnmillionen mussten einen bitteren Preis dafür bezahlen, dass sie zu lange der Illusion aufsaßen, dass der Faschismus im Rahmen des Kapitalismus und insbes. durch Wahlen zu verhindern sei. (vgl. 138f)

In der Folge erläutert der Autor ausführlich die unterschiedlichen Faschismus-Analysen im Deutschland vor 1933 und hält fest, dass es 1. das Versagen eines gemeinsamen Kampfes von SPD und KPD (vgl. S. 125) war, der es der NSDAP ermöglichte an die Macht zu kommen und 2. das Erstarken der faschistischen Ideologie nur möglich war, da die Überwindung des Kapitalismus nach dem I. Weltkrieg in Deutschland nicht gelang, worauf nach Marx eine Phase folgte, in der die Arbeiter*innenklasse eben (noch) nicht zum Sturz der bürgerlichen Klassenherrschaft imstande war, während die Bourgeoisie nicht mehr dazu imstand war, ihre Herrschaft zu sichern (vgl. S. 116) und daher zu extremeren Formen der Machtausübung greifen musste. Beide Argumente gelten im Wesentlichen auch für das Österreich der Zwischenkriegszeit und heute.

Etwas platt erscheint mir die These, dass der ökonomische zum militärischen Konkurrenzkampf übergehen muss (S. 129, 131), da mir so einige Faschismen (Spanien) einfallen, die jedenfalls keinen Krieg nach außen geführt haben, selbst wenn diese These für Deutschland stimmen sollte, was ich bezweifle.

Auch wenn aktuell nirgendwo auf der Welt der Faschismus an der Macht ist, zeigen z.B. die massenhafte Integration offen faschistischer Verbände in die Armeen kriegsführender Staaten (Russland, Ukraine) oder die bereits fast beendete Abschaffung des Asylrechts, welches als Lehre aus der Shoa nach dem II. Weltkrieg implementiert wurde, sowie der staatliche Rassismus wie akzeptabel die faschistische Ideologie der herrschenden Klasse bereits wieder geworden ist.

Insofern gilt es nicht nur permanent gegen diese Tendenzen zu kämpfen, und das nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten, sondern auch das Bewusstsein, der „ offene[n] Diktatur als letzte Möglichkeit der Aufrechterhaltung bürgerlicher Klassenherrschaft im historischen Gedächtnis der Arbeiterklasse weiter wachzuhalten.“ (S. 142) Für immer!

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