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Montag, 15. Juli 2024

Rainer Thomann (2009): Betriebsbesetzungen als wirksame Waffe im gewerkschaftlichen Kampf. Eine Studie aktueller Beispiele

In Zeiten von Betriebsschließungen, Ausgliederungen, Verlagerungen und anderen schönen Dingen, die sich das Kapital einfallen lässt, um den Profit auf unsere Kosten zu mehren, stellt sich vielen die Frage: Wie jeden einzelnen Arbeitsplatz verteidigen? Diese Frage beantwortet der Autor anhand einiger positiver und negativer Beispiele, die sich innerhalb kurzer Zeit abgespielt haben. Eine Broschüre, die ich allen Betriebsrät*innen, Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen im Betrieb, die wirklich mit ihren Kolleg*innen aktiv werden wollen, statt diese nur zu verwalten, ans Herz legen muss!

Massenentlassungen bergen oft ein enormes Konfliktpotenzial. Gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit wie derzeit wissen die Kolleg*innen, dass sie nur geringe Chancen haben, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Je älter sie sind – desto schwerer wird es. Oft gibt es auch keine für ihre Ausbildung passenden Arbeitsplätze in der Region. Nicht jede*r ist so mobil wie das Kapital. Und gerade in sog. strukturschwachen Regionen hängt oft die ökonomische Absicherung ganzer Gemeinden von einem einzigen Betrieb ab.

Deshalb ist es aus gewerkschaftlicher und gesellschaftlicher Perspektive eigentlich nur konsequent, jede Betriebsschließung zu verhindern, jeden einzelnen Arbeitsplatz zu verteidigen. Das geschieht leider viel zu selten und oft nur halbherzig. Viel zu oft werden die Betroffenen mit einem Sozialplan abgespeist, der zwar im ersten Moment scheinbar einen Batzen Geld verspricht, langfristig aber keine Perspektive bietet und das kollektive Problem auf die individuelle Ebene – z.B. in Form von Umschulungen – verlagert.

Klar ist, dass selbst die beste Gewerkschaft nichts tun kann, wenn die Belegschaft, um die es geht, nicht kämpfen will oder kann. Das oder auch mangelnde Unterstützung durch gewerkschaftliche Strukturen war der Grund für die Niederlagen bei den Fallbeispielen Borregaard-Attisholz bei Solothurn (Schweiz), IVECO in Suzzara (Italien) und Holcim in Torredonjimeno (Spanien).

Der Arbeitskampf bei Innse Mailand hat sich seit Herausgabe dieser Broschüre in eine vollkommen andere Richtung entwickelt, weshalb die Pattstellung, welche im Text zu diesem skizziert wird, nicht mehr der Realität entspricht. Nur so viel: Der Betrieb wird seit längerem von den Arbeiter*innen selbst verwaltet, welche laut dem letzten Stand, der mir bekannt ist, eine durch Crowdfunding finanzierte Genossenschaft gründen. Die Risiken eines solchen Modells können in dieser Rezension nicht detailliert genug dargestellt werden, weshalb darauf verzichtet wird.

Kommen wir also gleich zum Positivbeispiel – den Officine von Bellinzona (Schweiz). Dieser Reparaturbetrieb der Schweizer Bahn sollte geschlossen werden und so rund 430 Familien ihre Lebensgrundlage rauben. Die Arbeiter*innen reagierten sofort nach Bekanntgabe des Plans mit dem einstimmigen Beschluss eines unbefristeten Streiks. Nachdem klar wurde, dass die Bosse zu keinen Verhandlungen über die Fortführung des Werkes bereit sind, haben sie dieses besetzt. Und gewonnen!

Wie war das möglich? Einerseits wurde von einem harten Kern meist migrantischer Arbeiter*innen bereits 10 Jahre vor diesem Konflikt das Komitee „Giù le mani dall'Officina di Bellinzona“ (Hände weg von der Werkstatt Bellinzona) gegründet, um gegen die laufende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Hier handelte es sich also um eine kampferprobte Belegschaft mit einer Gruppe von Kolleg*innen, die jahrelange Erfahrung damit hatten, Arbeitskämpfe zu organisieren und durchzuführen.

Das von den Kolleg*innen gebildete Streikkomitee hat selbst gar nichts entschieden. Alle Entscheidungen wurden gemeinsam von der Belegschaft getroffen. Selbst während dann doch verhandelt wurde. Diese Demokratisierung des Kampfes war es, die dazu führte, dass alle Kolleg*innen den Kampf als ihren eigenen begreifen und keine Entsolidarisierung erfolgen konnte.

Und schließlich gab es eine enorme Solidarität aus der regionalen Bevölkerung, welche u.a. in Form von Massendemonstrationen enormen Druck sowohl auf den Konzern als auch die politisch Verantwortlichen ausübte. Schließlich gab es auch eine bedingungslose Unterstützung der Gewerkschaft unia, welche alle Entscheidungen der Belegschaft umsetzte, ohne auch nur zu versuchen, sich von oben in deren demokratische Prozesse einzumischen. Unvorstellbar in Österreich …

Mit einem Satz: Eine Belegschaft mit kämpferischer Tradition hat gemeinsam demokratisch gekämpft und gewonnen, indem sie den Kern des Kapitalismus durch die Betriebsbesetzung angegriffen hat – die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel. Sie haben dadurch sich und anderen ein Bewusstsein über die Macht und Notwendigkeit kollektiver Aktionen vermittelt.

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