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Donnerstag, 27. November 2025

Arbeitswelt und Rechtsruck

Viele von uns würden gerne mehr gegen den politischen und gesellschaftlichen Rechtsruck tun. Aktuelle Studien insbes. in den noch immer sog. Neuen Bundesländern Deutschlands zeigen einen neuen Handlungsort auf, der eigentlich auf der Hand liegt: Den Arbeitsplatz. Denn die dort übliche Fremdbestimmung und der daraus resultierende Kontrollverlust (so wie überhaupt im Leben insgesamt) fördern rechtsextreme und faschistische Einstellungen.

Einstellungen sind nicht unveränderbar

Dass die Arbeitswelt bei der Entstehung rechten Gedankengutes eine wesentliche Rolle spielt, daruf uns nicht weiter verwundern. Einerseits handelt es sich dabei um den so ziemlich undemokratischsten Teil unseres Lebens, was kein Wunder ist, da dort das Kapital autokratisch herrscht, was ein Wesensmerkmal autoritären und damit rechten Denkens ist. Andererseits verbringen wir an kaum einem anderen Ort mehr Lebenszeit.

Andererseits kann Arbeit auch einen Beitrag zu einem solidarischen Denken leisten, da wir dort auf unterschiedlichste Menschen mit verschiedensten kulturellen und nationalen Hintergründen treffen. Gemeinsam mit ihnen können wir zum Kollektiv werden. Einem Kollektiv, das gemeinsam für seine Interessen eintreten kann und damit das Gegenmodell zur Autokratie des Kapitals darstellt: Macht von unten.

Basierend auf der Leipziger Autoritarismus Studie – einem Barometer für rechtsextreme und menschenfeindliche Einstellungen in Deutschland – hat zuletzt die Studie „Arbeitswelt und Demokratie in Ostdeutschland“ erhoben, wie sehr Beschäftigte den eigenen Arbeitsalltag mitbestimmen können oder ob sie diesen als fremdbestimmt erleben.

Ein Viertel der Befragten gab an, dass sie Nachteile befürchten, wenn sie am Arbeitsplatz über Gewerkschaften oder Betriebsräte reden. Vor allem jene mit geringer qualifizierten Tätigkeiten und in Niedriglohnbranchen erlebten sich stärker als fremdbestimmt und machtlos, was u.a. die Folge digitaler Kontrolle und Überwachung ist. Positive Erfahrungen am Arbeitsplatz führen hingegen zu deutlich weniger Rassismus, während institutionelle Formen der Mitbestimmung wie Betriebsräte und Gewerkschaften nur wenig am Gefühl der Machtlosigkeit ändern. Das wiederum ist ein zentraler Punkt, den diese formalisierten Formen der Mitbestimmung hinterfragen und insbes. ändern müssen.

Diese Ergebnisse bestätigen die Autoritarismus-Forschung, welche davon ausgeht, dass Aggression gegen Schwächere – wie Sexismus und Rassismus am Arbeitsplatz – oft die Folge von Machtlosigkeit gegenüber jenen ist, die unser Leben beherrschen. Mehr Möglichkeiten, am Arbeitsplatz als Kollektiv (mit) zu bestimmen, verringern hingegen rechtsextreme Einstellungen. Auch wenn menschenfeindliche Einstellungen nicht erst am Arbeitsplatz entstehen, können sie dort doch entweder weiter verstärkt oder alternative Einstellungen und Handlungsmuster erlernt werden.

Einstellungen verändern

Gerade die gemeinsame Aktion für die Interessen der Belegschaft, die Erkenntnis, dass wir als Arbeiter*innenklasse auch im Betrieb fordern dürfen und nicht nur runter schlucken müssen, dass wir etwas durchsetzen können, ist eine solche Alternative. Sie zeigt nämlich, dass wir andere nicht abwerten müssen, um mit unserer eigenen Ohnmacht zurecht kommen zu können, sondern sogar mit diesen anderen gemeinsam etwas gegen die Ohnmacht tun können, indem wir etwas gegen jene tun, die wirklich dafür verantwortlich sind – die da oben. Die Wut muss nicht mehr gegen Schwächere und Marginalisierte herausgelassen werden, weil sie jetzt gegen die Autoritäten gerichtet werden kann.

Selbstverständlich steht das im Widerspruch zu so vielem, das uns von Kindesbeinen an eingebläut wurde. Nein – wir sind nicht der Staat. Nein – wir sind nicht alle gleich. Nein – wir sitzen nicht alle im gleichen Boot. Der Staat ist die Interessenvertretung des Kapitals. Manche – die mit viel Geld – sind definitiv gleicher. Während diese in einer Luxusjacht sitzen, können wir froh sein, wenn wir uns im Augenblick der Not mit hunderten anderen auf ein absaufendes Schlauchboot drängen dürfen.

Rechts zu wählen und/oder zu sein ist also im Sinne von Erich Fromm auch Ausdruck von Resignation. Wer noch Möglichkeiten hat, für Verbesserungen zu kämpfen, wird andere Möglichkeiten finden, gegen das untaugliche System, in dem wir leben müssen, zu protestieren oder dieses gar zu verändern.

Klar wollen das die Betriebe nicht. Schließlich müssten sie dann Macht an uns als Arbeiter*innenklasse abgeben. Und genau hier liegt der Anknüpfungspunkt für Betriebsräte und Gewerkschaften: Volle Transparenz und Übergabe der Entscheidungsmacht an die betroffenen Beschäftigten. Wenn diese gemeinsam entscheiden können, entsteht auch Solidarität zwischen Gruppen, die zuvor z.B. durch Rassismus auseinanderdividiert wurden. Dadurch ersetzt die vor Jahrzehnten überall übliche Klassenperspektive wieder die nationale. Und diese brauchen wir, um verhindern zu können, dass alles noch weiter den Bach runtergeht.

Arbeitswelt demokratisieren!

Der Begriff Demokratie ist allgemein recht positiv besetzt, auch wenn der „Ruf nach dem starken Mann“ (interessanterweise nie einer Frau …) in Umfragen auf dem Vormarsch ist. Allerdings wird dabei meist von einer abstrakten Definition ausgegangen und nur überaus selten die Frage gestellte, welche Demokratie konkret gemeint ist. Bürgerliche Demokratie oder Arbeiter*innendemokratie? Und wo. Gesamtgesellschaftlich oder in unserem unmittelbaren Lebensbereich z.B.? Meistens wird damit einfach nur das allgemeine Wahlrecht gemeint und echte Demokratie somit auf ein Kreuzerl alle paar Jahre reduziert, das sie wahre Macht dann ohne Möglichkeit, diese weiter zu beeinflussen, für lange Zeiträume auf einige wenige delegiert bzw. bei diesen konzentriert, selbst wenn wir die Klassenfrage dabei außen vor lassen.Auch in der Arbeitswelt, dem undemokratischsten Teil unseres Lebens, eigentlich einer aktuellen Form von Diktatur, stellt sich die Frage nach Demokratie. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg wurde in Deutschland und Österreich die sog. Wirtschaftsdemokratie als Forderungen aufgesellt. Ohne Demokratie in der Arbeitswelt kann es schließlich keine echte Demokratie geben. Hier stellen sich Fragen wie: Warum werden Chef*innen eigentlich nicht gewählt? Warum braucht es überhaupt Chef*innen? Warum gibt es so wenige Betriebe unter Arbeiter*innenkontrolle? Und warum in Österreich de facto keinen einzigen?

Gerade in Österreich und Deutschland waren die Gewerkschaften aus der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges heraus davon überzeugt, dass das „Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!“ nur mit einer vollständigen Demokratisierung der Wirtschaft zu verwirklichen ist. Mit dem Beginn des Siegeszuges des Neoliberalismus auf Basis von dessen Testlauf unter der Diktatur in Chile war diese Debatte ab Mitte der 1970er de facto beendet und die Arbeiter*innenbewegung geriet zunehmend in die Defensive. Und deren Spitze hat sich das wegen der ach so tollen Asozialpartnerschaft (einem in der Politikwissenschaft Korportatismus genannten Konzept der Klassenkollaboration aus dem Faschismus) auch tatenlos gefallen lassen.

Heute stehen wir damit erneut vor der Tatsache, dass wir die Demokratie verlassen, sobald wir in die Arbeit gehen. Gerade die dem Kapitalismus eigene Konkurrenz macht es dem Kapital unmöglich, im Betrieb Demokratie zuzulassen. Die Demokratisierung der Wirtschaft kann also nur gegen das Kapital durchgesetzt werden – durch Klassenkampf.

Wenn wir diesen nicht führen, können wir in der Arbeit genau nichts mitbestimmen. Eigentümer*innen, Aktionär*innen und Geschäftsführungen bestimmen über alles – von der Art der Produktion, deren Ausmaß und Ort, über die Anzahl der Beschäftigten und die Investitionen bis hin zu unseren Arbeitsbedingungen, den Arbeitszeiten und Löhnen – letztlich also über einen wesentlichen Teil unseres Lebens. Kleinere Einschränkungen dieser Allmacht durch z.B. Kollektivverträge oder Betriebsvereinbarungen ändern an dieser grundlegenden Tatsache nichts.

Gleichzeitig hat seit den Ursprüngen der Debatte über Wirtschaftsdemokratie die Anzahl der Betriebe, deren Leistungen direkt Menschen zugutekommen, mit dem Ausbau des Sozialstaates massiv zugenommen. Der Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich genauso wie der öffentliche Verkehr, die Energie und Wasserversorgung oder der öffentliche Dienst sind dafür prototypisch. Ihr „Produkte“ werden nicht an andere Kapitalist*innen verkauft, sondern dienen direkt anderen Menschen. Warum sollten diese Leistungsempfänger*innen also nicht auch darüber mitentscheiden, was und wie von wem im jeweils anbietenden Betrieb gearbeitet wird?

Wer 8 Stunden oder mehr am Tag keine Demokratie, sondern eine allmächtige Herrschaft am Arbeitsplatz erlebt, für die*den ist es mehr oder weniger normal, in einem autoritären undemokratischen System zu leben. Kein Wunder also, dass viele die seit längerem voranschreitende schrittweise Aushöhlung der Demokratie – Verlängerung von Wahlperioden oder immer weniger Wahlberechtigte etwa – nicht einmal wirklich bemerken. Und damit passiert genau das, was der Kern des Faschismus ist: Die Herrschenden bestimmen zunehmend mehr und die Arbeiter*innenklasse hat immer weniger und weniger zu melden.

Mit einem Wort: Wer gegen Faschismus ist, muss für die Demokratisierung der Arbeitswelt kämpfen!

Weitere interessante Texte zum Thema finden sich unter:

https://www.gelbehand.de/informiere-dich/magazin-fuer-demokratiefoerderung/beitrag/unsere-forschung-zeigt-dass-demokratiefoerderung-in-der-arbeitswelt-eng-mit-der-demokratisierung-der-arbeit-verbunden-ist

https://jacobin.de/artikel/demokratie-arbeitsplatz-rechtsradikalismus

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