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Freitag, 20. November 2009

Ihr Kollektivvertrag und unserer: Heißer Herbst oder laues Lüfterl

Herbst ist Kollektivvertragszeit – könnte mensch meinen. Tatsächlich wird der Großteil der Kollektivverträge jedes Jahr im Herbst neu verhandelt, ein gar nicht so geringer Teil aber auch zu anderen Jahreszeiten. Die Kollektivvertragsverhandlungen werden meist als Kampf um höhere Löhne verstanden, auch wenn es dabei zusätzlich um eine Reihe weiterer Fragen geht, wie z.B. das 13. und 14. Gehalt, Arbeitszeiten usw. Letztlich geht es aber bei all diesen Fragen ums Geld – darum, wer ein größeres und wer ein kleineres Stück vom sprichwörtlichen Kuchen bekommt.

Kollektivvertragsrunde 2009


Heuer ist die Frage der Verteilung des Kuchens besonders wichtig. Erstens sind mittlerweile 30 Jahre ins Land gezogen, seit sich der Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukt zuletzt erhöht hat. Zweitens haben viele Kollektivvertragsabschlüsse in den letzten Jahren zu deutlichen (zumindest über die Lebensverdienstsumme der Betroffenen gerechnet) Reallohneinbußen geführt. Und drittens werden schließlich die Unternehmen bei diesen Kollektivvertragsverhandlungen erneut versuchen, uns Lohnabhängige die Kosten ihrer Krise bezahlen zu lassen.
Tatsächlich werden wir – außer es kommt endlich zu der seit langem dringend überfälligen Umverteilung von Reich zu Arm – die Kosten dieser Krise ohnedies zahlen müssen: durch gekürzte Sozialleistungen, Steuer- und Gebührenerhöhungen, Sparpakete, dadurch, dass wem in unseren Familien der Job von den KapitalistInnen weggenommen wurde usw. usf. Grund genug also, dass wir bei den Kollektivvertragsverhandlungen im heurigen Herbst an einem keinen Zweifel aufkommen lassen: Eure Krise zahlen wir nicht! Reallohnerhöhung jetzt! Und zwar so kräftig, dass die Verluste der letzten Jahre ausgeglichen werden.
Unsere armen fast schon am Hungertuch nagenden Unternehmen werden dem selbstverständlich entgegen halten, dass sie dann Pleite gehen oder Arbeitsplätze abbauen müssen, oder aber schlicht und einfach der Standort Österreich dadurch nachhaltig beschädigt werden würde. Der Chefverhandler der Bosse bei den MetallerInnen hat klar und deutlich gesagt, um was es den Konzernen heuer geht: "Jetzt müssen die Gewerkschaften in die Knie gezwungen werden." Nachdem sich die Bosse so sehr für unsere Interessenvertretung interessieren, dass sie unseren einzigen Schutz gegen ihre Willkür (die Gewerkschaften) nachhaltig schwächen oder gar vernichten wollen, haben wir nicht einen Hauch von Grund, uns um ihre Interessen zu scheren.
Der Forderung nach hohen Lohnabschlüssen in Zeiten der Krise werden viele KollegInnen (je höher ihre Funktion in der Gewerkschaft umso mehr) entgegenhalten, dass solche das zarte Pflänzchen Konjunktur gefährden würden und ein Aufschwung doch in unser aller Interesse liege. Tatsächlich haben die KapitalistInnen mit ihrem Spekulationsfieber als ob es kein Morgen gäbe die Krise verursacht. Die meisten Unternehmen schreiben trotzdem weiterhin fette Gewinne, die zwar deutlich geringer sind als vor 1-2 Jahren, aber für uns Normalsterbliche noch immer unvorstellbar hoch. Und genau deswegen dürfen wir ihnen ihr Gejammer keine Sekunde lang glauben und müssen in unseren eigenen Reihen dafür sorgen, dass dieses Ammenmärchen endlich entlarvt wird. Sie haben die Krise verursacht – sie sollen also gefälligst auch dafür blechen! Doch die bisherigen Ergebnisse von heuer bereits abgeschlossenen Kollektivvertragsverhandlungen lassen ganz im Gegenteil Böses ahnen.
Die Gewerkschaftsspitze in ihrer sozialpartnerschaftlichen Logik hat bis jetzt noch bei jedem Abschluss mit genau den bisher genannten Argumenten Ergebnisse hingenommen, die nur auf Kosten von uns Lohnabhängigen gehen und uns jetzt schon tatsächlich für die Krise blechen lassen. Von der Vertretung der Interessen der Lohnabhängigen kann hier keine Rede sein. Offensichtlich agieren viele Gewerkschaftsspitzen also nach der gleichen Logik wie die Unternehmen. Tatsächlich gibt es aber im Interessenkonflikt zwischen Arbeit und Kapital keinen Kompromiss. Wer nicht klar und eindeutig auf der einen Seite steht, steht auf der anderen! Wer für den Ausgleich der Interessen von Arbeit und Kapital eintritt, der stellt sich selbst auf die Seite des Kapitals! Das gilt auch und ganz besonders für Kollektivvertragsverhandlungen.

Bürokratie vs. Demokratie


Tatsächlich ist der sozialpartnerschaftliche Interessenausgleich aber die Denklogik und Lebensgrundlage der Gewerkschaftsbürokratie. Erst dieser Ausgleich ermöglicht ihr jene gesellschaftlichen Privilegien, die sie sich damit erkaufen, dass sie unsere Interessen verkaufen. Aber der Interessenausgleich ist nicht das einzige Problem, welches dafür verantwortlich ist, dass Jahr für Jahr bei den Kollektivvertragsverhandlungen unsere Interessen auf dem Altar des Kapitals geopfert werden. Ein weiterer Grund dafür ist die Meinung der Bürokratie, dass wir einfachen Lohnabhängigen einfach zu wenig verstehen würden, um dabei mitreden zu können. Darum erfahren wir auch vor Beginn der Verhandlungen nicht einmal, wie hoch die Lohnforderung ist oder welche Forderungen sonst noch aufgestellt werden.
Aber das ist kein Wunder, werden doch im Regelfall von Seiten unserer sog. Interessenvertretung zahlreiche Forderungen und Prozente im Tausch für eine Verhandlungslösung verschachert wie auf dem Basar. Daher müsste jedeR GewerkschafterIn, der/die noch nicht jedes Schamgefühl verloren hat, das ganze nächste Jahr mit vor Peinlichkeit hochrotem Kopf herumlaufen, wenn die eigene Basis den Unterschied zwischen Forderung und Ergebnis kennen würde. Ohne diesen öffentlich nachvollziehbar zu machen, ist es der Bürokratie folglich ein Leichtes, uns die von ihnen erzielten Ergebnisse ein Jahr ums andere als Erfolg zu verkaufen. Und schließlich gibt es noch den wirklichen Sündenfall der österreichischen Gewerkschaftsbewegung: Während verhandelt wird, darf es keine Aktionen geben! Dieser eiserne Stehsatz aller GewerkschaftsbürokratInnen kostet uns Jahr für Jahr Prozent um Prozent – kein Wunder, wissen doch die Bosse genau, dass sie egal welche Frechheiten sie sich wieder einfallen lassen, mit keiner wirklichen Gegenwehr rechnen müssen. In anderen Ländern ist es hingegen üblich, dass jede Lohnverhandlung zuerst einmal von einem Warnstreik begleitet wird. Wenn nix weitergeht, dann wird gleich wieder gestreikt, und das so lange bzw. so oft, bis die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder mit dem Ergebnis zufrieden ist.
Ein bürokratisches Vorgehen wie das der österreichischen Gewerkschaften ist nur möglich, wo die Mitglieder vollkommen entmündigt sind. Im Gegensatz zu den meisten Ländern erfolgen in Österreich nämlich keine Urabstimmungen über Annahme oder Ablehnung der Verhandlungsergebnissen. Darüber entscheiden sog. Verhandlungsteams aus einigen wenigen handverlesenen Betriebsratsmitgliedern, die über Posten, Pöstchen und Privilegien meist fest in die bürokratischen Strukturen eingebunden sind. Die wenigen positiven Ausnahmen müssen denn auch Jahr für Jahr darum kämpfen, von der Gewerkschaftsspitze nicht aus diesen Positionen verdrängt zu werden, so dass diese ihre Deals mit den Bossen nicht ohne jeglichen Widerstand vollkommen ungeniert ausmauscheln können.

Ihnen die Krise – uns ihren Profit


Ändern wird sich daran nur etwas, wenn die Kollektivvertragspolitik in Österreich von den Füßen auf den Kopf gestellt wird, wenn endlich die Betroffenen entscheiden. Zuerst einmal müssen die Belegschaften in Betriebsversammlungen in die Erstellung des Forderungskataloges eingebunden werden. Werden diese Forderungen von den Bossen nicht angenommen, muss es BetriebsrätInnenkonferenzen geben, auf welchen Urabstimmungen über mögliche Kampfmaßnahmen organisiert werden. Die Mitglieder selbst müssen schließlich entscheiden (nicht aber die Gewerkschaftsspitze) ob, in welcher Form und wie lange es zu Kampfmaßnahmen kommt. Auch die Verhandlungsteams müssen jedes Jahr neu von den kämpfenden Belegschaften selbst über ein Delegiertensystem gewählt werden. Damit könnte auch endlich mit dem Vorurteil der Bürokratie, dass es sich bei Kollektivvertragsverhandlungen um etwas für SpezialistInnen handeln würde, aufgeräumt werden. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine politische Frage und keine der Diplomatie! Jedenfalls müssten die Verhandlungsteams dann die erzielten Ergebnisse einer erneuten Urabstimmung unterziehen – werden dies angenommen, OK, werden sie abgelehnt, wird weitergekämpft. Solchermaßen organisierte Kollektivvertragsverhandlungen würden jedes Jahr weit bessere Ergebnisse erzielen. Ein paar GewerkschafterInnen sind nämlich leicht unter Druck zu setzen (oder gar zu kaufen) – alle Beschäftigten einer Branche gemeinsam hingegen sind unbesiegbar!
Natürlich werden wir es nicht innerhalb weniger Tage schaffen, dass die üblichen Muster der Kollektivvertragspolitik in Österreich verändert werden. Dazu müssen wir erst einen Kampf für die grundlegende Veränderung der Gewerkschaften führen. Diese müssen wieder werden, wozu sie einst gegründet wurden: demokratische Kampforganisationen zur Verteidigung der Interessen der ArbeiterInnenklasse. Viele KollegInnen haben heute – gerade auch als Folge der Krise – erkannt, dass es so nicht weitergehen kann und suchen nach neuen Wegen der Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit. Das zeigt sich daran, dass bei den Kollektivverträgen die Zustimmung zu Verhandlungsergebnissen, die früher meist knapp unter 100% lag, heute oftmals nur mehr bei 60-70% liegt. Jene KollegInnen, die gegen schlechte Kompromisse stimmen, um die Interessen der Beschäftigten in ihren Betrieben wirklich zu vertreten, werden immer mehr. Sie müssen sich aber, da sie noch in der Minderheit sind, branchenübergreifende vernetzen, so dass sie den Kampf um die grundsätzliche Veränderung der Gewerkschaften angehen können.
Früher lautete die jahrzehntelang unumstrittene Benya-Formel, nach der die Lohnerhöhungen bei den Kollektivvertragsverhandlungen in der Regel erfolgten: Inflation plus halber Produktivitätszuwachs. Heute müsste eine solche Formel zumindest Inflation plus Produktivitätszuwachs plus Ausgleich für die Reallohnverluste der letzten Jahre lauten.
Immer mehr KollegInnen erkennen in den letzten Jahren aber, dass es kein faires Miteinander zwischen Kapital und Arbeit geben kann, dass die KapitalistInnen unsere Arbeitskraft bis zur bitteren Neige aussaugen und weder in der Krise noch in der Hochkonjunktur dazu bereit sind, uns das viel zitierte gerechte Stück vom Kuchen zu lassen. Sie wollen den ganzen Kuchen bis zum letzten Krümel. Immer mehr von uns erkennen folglich, dass es keine Zukunft für uns gibt im Kapitalismus, und sagen daher – um beim Bild des Kuchens zu bleiben: Wir machen die ganze Arbeit in der Bäckerei, also muss sie uns auch gehören!

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