Sonntag, 6. Juli 2014

Gedankensplitter zur Zukunft der Sozialdemokratie

Mit der gerade in der SPÖ anlaufenden Diskussion um ein neues Parteiprogramm, wird es Zeit, dass auch jene dazu Stellung beziehen, die für eine grundsätzlich andere Politik der Partei der österreichischen ArbeiterInnenbewegung stehen. Hier einige erste kurze Anmerkungen dazu.

Wir alle sind uns einig, dass wir uns noch immer in den Nachwehen der letzten Krise befinden und dass diese die schwerste seit 1929 war. Wir befinden uns also in einer Phase des im Niedergang befindlichen Kapitalismus. Solche Zeiten hat es immer wieder gegeben und wird es immer wieder geben, solange dieses Gesellschaftssystem existiert. Die letzte Krise hat uns nachdrücklich in Erinnerung gerufen, dass es keinen stabilen Kapitalismus geben kann.
Was viele aber gerne vergessen, ist, dass es in solchen Phasen keine systematischen sozialen Reformen geben kann, ganz zu schweigen von einer Verbesserung der Lebensumstände der Massen. Ganz im Gegenteil! In solchen Phasen holt sich das Kapital ein Mehrfaches von dem zurück, was wir Lohnabhängigen diesem zuvor in mühsamen Kämpfen abgerungen haben. Wenn wir in solchen Phasen ernsthafte Forderungen zur Verbesserung unserer Lebenssituation stellen, dann stoßen diese immer notwendigerweise an die Grenzen des bestehenden Gesellschaftssystems. Wollen wir diese Forderungen verwirklichen, müssen wir also den Kapitalismus überwinden.
Manch eineR wird jetzt aufschreien und sagen, dass es doch keine Lohnabhängigen, keine ArbeiterInnenklasse mehr gibt. Doch wovon lebt die große Mehrheit der Menschen auf der Welt? Von ihrer Arbeit! Die Mehrheit hat keine andere Lebensgrundlage – und in diesem Zusammenhang ist es vollkommen egal, ob wir ArbeiterInnen oder Angestellte sind! Und da können uns die IdeologInnen und Schreiberlinge des herrschenden Systems noch so lange einzureden versuchen, dass wir doch eh schon längst alle zur Mittelkschicht gehören. Eine Lüge wird nicht dadurch wahr, dass sie immer und immer wiederholt wird. Keine noch so 'hochwissenschaftliche' Neubenennung der gesellschaftlichen Realitäten wird daran etwas ändern. Sie alle tragen nur zur Verwirrung bei, ändern aber nichts am schon vor rund hundert Jahren formulierten Grundwiderspruch unserer Zeit: Sozialismus oder Barbarei! Und diese Wahl stellt sich mit jeder Krise stärker und stärker! Und er wird immer noch zwischen Kapital und Arbeit ausgefochten – egal wie es auch immer genannt werden sollte!
Was nun aber hat es mit der Mittelschicht wirklich auf sich? Natürlich gibt es diese. Es sind die immer weniger werdenden sozialen Schichten, die weder zur ArbeiterInnenklasse noch zum Kapital gehören, Selbständige zum Beispiel. Aber Achtung – die ganzen sog. neuen Selbständigen, die Ein-Personen-Unternehmen befinden sich sozial und finanziell oft in einer viel prekäreren Lage als Lohnarbeitende – sie gehören also keinesfalls zu den Mittelschichten. Es handelt sich bei diesen um die klassischen Selbständigen wie NotarInnen, RechtsanwältInnen, ÄrztInnen, aber auch um BäuerInnen, die noch ausschließlich von der Landwirtschaft leben können, Menschen also, die vielleicht ein paar wenige Angestellte und einiges auf der hohen Kante haben, aber auf Dauer nicht überleben können, ohne selbst doch noch zu arbeiten.
Doch diese Mittelschichten sind sozial alles andere als einheitlich. Die unteren Mittelschichten (die den Großteil dieser Zwischenschicht bilden) tendieren immer in Richtung ArbeiterInnenklasse, die oberen in Richtung Kapital. Der Großteil der Mittelschichten, auf denen die kapitalistische Krise schwer lastet, hat keine wirklich eigenständige politische Identität. Sie schwanken permanent zwischen den politischen Hauptpolen der kapitalistischen Gesellschaft: Kapital und Arbeit. In ihrem Versuch, die Folgen der Krise abzuwehren, werden sie sich in der Regel jener Klasse zuwenden, die am entschiedensten und kämpferischsten auftritt.
Wenn wir als ArbeiterInnenpartei also unser Programm verwässern und abschwächen, es also unfähig zur Lösung der anstehenden Probleme machen, werden wir die Mittelschichten nicht gewinnen, sondern sie im Gegenteil in die Arme der Gegenseite treiben. Heute beispielsweise ist das eine der Hauptursachen, warum sich HC&Co ins Fäustchen lachen können. Unser inkonsequentes Programm schwächt nicht nur den Kampf der arbeitenden Menschen um ihre Bedürfnisse, sondern treibt der FPÖ auch noch die Mittelschichten und verwirrte Elemente der ArbeiterInnenklasse zu.
Für viele erscheint die SPÖ heute fälschlicherweise als rechts von z.B. den Grünen. Das ist ein Grundproblem, dem wir uns stellen müssen. Dazu gehört zuallererst einmal Ehrlichkeit. Wenn der Wiener Bürgermeister im Wienspiegel 4/2014 in Anspielung auf die Neos sagt: „Mit Privatisierern mache ich keine Koalition“, so kann ich dem nur aus vollem Herzen zustimmen. Warum aber gibt es dann im Bund eine Koalition mit der privatisierungswütigen ÖVP? Und warum gliedern dann die Stadt bzw. das Land Wien am laufenden Band aus und gründen ein Public Private Partnership nach dem anderen? Schließlich handelt es sich bei diesen Modellen nur um versteckte Formen der Privatisierung. Wer bitte soll uns abnehmen, dass wir gegen Privatisierungen sind, wenn wir sie selbst machen? Und dieses Beispiel ist nur eines von vielen für mangelnde Ehrlichkeit. Genauso nimmt uns niemand ab, dass wir gegen den Sparkurs der Konservativen sind, wenn wir diesen in der Regierung selbst mittragen.
Schon so manche GenossInnen an der Parteispitze haben in der Vergangenheit aus einer vergleichbaren Situation die Schlussfolgerung gezogen, dass sie ohnedies nichts mehr zu verlieren haben und daher ruhig den Kurs nach Rechts fortsetzen können. Doch das hatte für die breiten Massen enorme Kosten. Denken wir nur an die reaktionären Maßnahmen der Regierungen Vranitzky und Klima beim Fremden- oder Steuerrecht (Abschaffung von Vermögenssteuern, um deren Wiedereinführung wir heute ringen). Im Jahr 1999 wählte die Mehrheit des Landes daher nicht mehr den Schmiedl, sondern den Schmied. Wenn eh alle bürgerliche Politik machen, warum dann nicht gleich das Original wählen, haben sich viele gedacht und uns damit die SchwarzBlauOrange Regierungszeit eingebrockt, an deren Folgen heute noch viele leiden.
Die selbe Gefahr besteht heute wieder, wenn sich die SPÖ nicht zu einem grundsätzlichen Politikwandel entschließt. Wenn wir nicht bereit sind, mit den Interessen das Kapitals zu brechen, machen wir letztlich nichts anderes als die altehrwürdigen japanischen Samurai. Statt mit dem Kapitalismus zu brechen und dadurch bei einigen wenigen unbeliebt zu werden indem wir nicht mehr „die Partei für alle“ zum Besten geben, stürzen wir uns als Partei in unser eigenes Schwert. Doch damit würden wir nicht nur politischen Selbstmord begehen, sondern die arbeitenden Menschen im Lande auf Kosten ihrer aktuellen und künftigen Lebensbedingungen im Stich lassen.
Die Lösung für diese Probleme ist nicht schwer zu finden. Auch in Österreich gibt es immer mehr soziale Kämpfe, bei denen die SPÖ heute weitgehend abwesend ist. Es wird Zeit, dass wir als Partei uns mit diesen Kämpfen verbinden, dass wir Ideen, Strategien und ein Programm vertreten, dass sich mit der Stimmung dieser Kämpfe verbindet. Dann werden wir schnell wieder so viele AktivistInnen und UnterstützerInnen finden, dass eine echte, ehrliche sozialdemokratische Politik umgesetzt werden kann. Trotz aller Fehler der Vergangenheit hat die SPÖ in den politisch bewusstesten Schichten der ArbeiterInnenklasse aufgrund ihrer Tradition noch immer eine enorme Verankerung und damit enorme Möglichkeiten, wieder eine Massenpartei zu werden, die auch wirklich in und mit den Massen aktiv ist.
Die anlaufende Programmdiskussion wird mit dafür entscheidend sein, ob wir diese Chance heute beim Schopf ergreifen oder einmal mehr verschenken. Sie ist also entscheidend für die Zukunft unserer Partei. Nutzen wir sie, um einen Ausweg aus der aktuellen Krise der Partei zu suchen und zu finden.

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