Donnerstag, 29. Januar 2015

Griechenland macht's vor – das Ende der Mitte

In Anbetracht der einerseits von den bürgerlichen Medien geführten Diskussion über die Auswirkungen des Wahlsieges der SYRIZA auf das EU-weite Spardiktat und andererseits die in der Linken heiß umstrittene Frage, ob denn eine Koalition mit der rechten ANEL prinzipiell abzulehnen ist oder nicht, geht zumeist die eigentliche Bedeutung des Wahlergebnisses der griechischen Parlamentswahl 2015 verloren. Zu oft wird der Vergleich vom politischen Erdbeben herangezogen – eine tektonische Verschiebung war diese Wahl aber allemal. Und nachdem tektonische Platten meist sehr groß sind, betrifft diese Verschiebung auch bei weitem nicht nur Griechenland.

Das Wahlergebnis


Das Kräfteverhältnis zwischen den gesellschaftlichen Hauptklassen könnte nicht klarer ausgedrückt werden als durch das Votum der WählerInnen an diesem historischen 25. Jänner 2015. Der Aufstieg der SYRIZA (bzw. ihrer Vorgängerorganisationen) von einer Kleinstpartei, die über viele Jahre gerade mal den Einzug ins Parlament geschafft hat zur klaren Nummer eins mit über 36% der Stimmen drückt die Wut der Massen über den von der Troika aufoktroyierten Sparkurs ebenso aus wie die Ablehnung der Verhaberung der traditionellen Parteienlandschaft mit dem Kapital. Mit rund 50% der Stimmen für linke Parteien hat es ein Ergebnis gegeben, welches in vielen anderen Ländern Europas unvorstellbar war. Hauptverantwortlich dafür ist natürlich SYRIZA, die zumindest eine traditionelle linke Rhetorik pflegt.
DIMAR als linker Koalitionspartner der letzten Sparregierung unter Samaras hat sich in wenigen Jahren selbst vernichtet. Eine der beiden traditionellen Parteien der griechischen ArbeiterInnenbewegung, die sozialdemokratische PASOK konnte gerade noch ins Parlament einziehen, nachdem sie 2009 noch fast bei Axel Magnus% gelegen ist. Kein Wunder – hat sie doch in den letzten Jahren nahezu jede Sparmaßnahme widerspruchslos mitgetragen. Die erst kurz vor der Wahl gegründete rechte Abspaltung der PASOK KIDISO verpasste den Einzug ins Parlament klar. Ihr Vorsitzender Papandreou, der aus der bekanntesten PolitikerInnenfamilie des Landes stammt, steht zu eindeutig für die alte Klientelpolitik der Korruption. Und die sektiererische stalinistische KKE, welche von vornherein die Beteiligung an einer Koalition der Linken ausschloss (der also scheinbar das Schicksal der Massen egal ist), verharrt mehr oder weniger auf dem gleichen Stand wie seit vielen Jahren.
Der Aufstieg der Rechten konnte gestoppt werden. ANEL und die faschistische Chrysi Avgi haben zusammen über 3% verloren. Gemeinsam liegen sie aber noch immer bei bedenklichen 11%. Die traditionelle Partei der griechischen Bourgeoisie Nea Dimokratia (ND) verlor leicht und liegt knapp unter 28%. Insgesamt liegen die rechten Parteien, wenn wir einmal von unbedeutenden Splittergruppen absehen, bei unter 40%. Und dass die ND zur Rechten zu zählen ist, hat sie mit ihrem sozialen Kahlschlag unter den Massen des Landes in der letzten Regierungsperiode mehr als eindeutig bewiesen.
Einzig die neue politischen Formation Potami kann vielleicht als Teil der politischen Mitte angesehen werden. Doch diese Gründung eines Medienstars wird wohl politisch genauso kurzlebig bleiben, wie die hochgepriesenen politischen Sternschnuppen in anderen Ländern. Mittelfristig wird sie wohl eher schnell verglühen als eine wirkliche Rolle im politischen Leben zu spielen. Dazu braucht es schließlich noch immer die Verbindung zu einer der beiden gesellschaftlichen Hauptklassen Kapital und Arbeit.
In Anbetracht des Wahlergebnisses muss uns aber bewusst sein, dass die parlamentarische Stärke der SYRIZA nicht ihrer tatsächlichen Verankerung unter den Massen entspricht. Ohne das undemokratische Wahlsystem, welches der stimmenstärksten Partei 50 Bonusmandate sichert, wäre sie deutlich von der absoluten Mehrheit im Parlament entfernt und nicht nur zwei Sitze.

Koalition


Nach der Wahl waren viele über die schnelle Bildung der Regierung erstaunt. Hier muss aber mitbedacht werden, dass die griechische Verfassung dem Vorsitzenden der stärksten Partei dafür nur drei Tage einräumt. Doch Alexis Tsipras hat nur eine Stunde dafür gebraucht. Und dann koaliert er mit der zweitrechtesten Partei im Parlament, was wohl noch mehr erstaunt hat.
Ich glaub nicht, dass die ANEL faschistisch ist (genau sowenig wie die FPÖ). Diese Position ist in Griechenland von der Chrysi Avgi, deren Führung derzeit großteils gesiebte Luft auf Staatskosten atmen darf, eindeutig besetzt. Trotzdem muss die Frage berechtigt sein, ob es mit bürgerlichen Kräften in einer Koalition überhaupt möglich ist, fortschrittliche Politik zu machen. Langfristig bin ich überzeugt, dass das unmöglich ist. Wie oft hören wir denn in internen Diskussionen der SPÖ in Österreich "Wir würden ja eh so gerne, wenn nicht der ach so böse Koalitionspartner wäre ..." und das führt dann gleich dazu, dass erst gar nicht gefordert wird, was mit der ÖVP nicht möglich ist. An diesen Punkt wird wohl auch SYRIZA kommen und ich bin schon sehr gespannt, wie sie dann agieren wird!
Ich selbst bin zutiefst überzeugt davon, dass es mit bestimmten politischen Kräften (den bürgerlichen Parteien, denn dabei handelt es sich um ein politisches Prinzip und keine moralische Frage) keine Koalitionen geben darf. Und einen solchen Zugang hätte ich mir eigentlich vom selbsternannten Neuerer der europäischen Linken auch erwartet. Doch dieser beging nach seinem Besuch bei den reaktionären Mönchen auf Athos und seinem Liebeswerben im Vatikan lieber den tatsächlichen Sündenfall, auch wenn es durchaus Alternativen gegeben hätte.
Selbst wenn es Tsipras nämlich nicht gelungen wäre, PASOK oder KKE politisch so unter Druck zu setzen, dass sich diese zu einer Koalition gezwungen gesehen hätten (und das wäre möglich gewesen, weil deren paar verbliebene WählerInnen es wohl kaum verstanden hätten, wenn ihre Parteiführungen aus parteiegoistischen Gründen den Bürgerlichen die Regierung überlassen hätten – mit den absehbaren Konsequenzen bei der nächsten Wahl), dann hätte es immer noch die Option einer Minderheitsregierung gegeben. Deren Maßnahmen hätten die beiden genannten Parteien aus den schon genannten Gründen wohl in weiten Teilen zustimmen müssen; und gleichzeitig hätte sich SYRIZA nicht kompromittiert.
Am meisten aber erstaunt, dass SYRIZA das erst gar nicht probiert hat, sondern die Koalition mit der ANEL anscheinend schon vor dem Wahltag ausgemauschelt war. Das war wohl auch der Grund, dass Tsipras schon vorher angekündigt hat, dass er koalieren wird, selbst wenn er die absolute Mehrheit erringen sollte. Irgendwie riecht das nach dem typischen Politikgeklüngel und nicht wirklich nach dem Versuch eines echten politischen Neubeginns.

Auswirkungen


Wie schon zu Beginn dargestellt, wird diese Wahl Auswirkungen weit über die Landesgrenzen hinaus haben. Die politische Mitte hat ausgedient. Sie, bzw. das, was als solche bezeichnet wird, hat den Menschen nichts zu bieten als Sozialabbau, die permanent drohende Verarmung, prekäre Arbeitsplätze und ganz allgemein eine fortschreitende Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen. Eine Zukunft für die arbeitenden Menschen, die Jugend und die PensionistInnen hingegen steht gar nicht auf ihrer Agenda – schließlich geht es ihr nur um die Befriedigung der Profitbedürfnisse des Kapitals. Menschen bzw. deren Wünsche und Bedürfnisse haben dahinter zurückzustehen und zu kuschen.
Was aber ist die Alternative zur Mitte, nachdem uns diese von Massenmedien und der herrschaftssichernden Wissenschaft so lange als alternativlos vorgebetet wurde? Gerade jetzt, wo die Massen diese Lüge durchschaut haben? Ganz einfach: Es gibt wieder eine Entweder-Oder-Frage! Links oder Rechts! Kapital oder Arbeit! Profite oder Menschen!
Auch innerhalb der ArbeiterInnenbewegung sagen viele, dass das heute zum Erstarken der Rechten führt. Tatsächlich hat Griechenland mehr als eindeutig bewiesen, dass das nicht stimmt. Die Rechte gewinnt nur, wenn die ArbeiterInnenparteien keine tatsächlich linke Alternative anzubieten haben. SYRIZA hat diese angeboten, indem sie das, was alle anderen als „Sachzwänge“ anerkennen, wieder zum Teil von Politik gemacht hat. Politik ist nämlich genau dazu da, Sachzwänge zu überwinden, sonst bräuchte es sie nicht!
Wenn es also eine fortschrittliche Alternative zum Spardiktat der internationalen Finanzmärkte gibt, dann werden auch in zahlreichen anderen Ländern die ArbeiterInnenparteien wieder Wahlen gewinnen. Wenn sie hingegen diese Lehre aus den Wahlen in Griechenland nicht beherzigen, dann ist ihnen das Schicksal der PASOK so sicher wie das Amen im Gebet. Das gilt für sozialdemokratische Parteien genauso wie jene, die sich kommunistisch nennen. Gleichzeitig zeigt es aber auch den Weg für jene Länder, in denen es gar keine ArbeiterInnenpartei mehr gibt, wie etwa Italien. Wenn SYRIZA in Griechenland in nur acht Jahren von rund 5% auf über 35% gekommen ist, dann ist das auch in anderen Ländern möglich. Und wenn Podemos, die noch nicht einmal eine richtige Partei ist, die im Herbst anstehenden Parlamentswahlen in Spanien wie derzeit prognostiziert, gewinnt, dann wird sich diese Entwicklung noch beschleunigen. Dann wird das Pendel in Europa weit nach links ausschlagen und alle treffen, die sich dem Sparkurs und den scheinbaren Sachzwängen unterwerfen statt diese zu bekämpfen. Wer das nicht lernt, der/die hat keine politische Zukunft mehr.
Die ersten Maßnahmen von Ministern (leider ist ja keine einzige Frau in der Regierung, was deren zweiter großer Wermutstropfen ist) der SYRIZA sprechen eine eindeutige Sprache. Schon wurden die ersten Privatisierungspläne bei Strom, Bahn und beim Hafen von Piräus gestoppt. Nicht einmal drei Tage nach der Wahl kann sich das mehr als sehen lassen. In Österreich hätten drei Tage nach der Wahl wohl noch nicht einmal die ersten Parteiengespräche stattgefunden … Zahlreiche weitere geplante Maßnahmen wie die Wiedereinstellung gekündigter Staatsbediensteter, höhere Mindestlöhne oder auch die Aufhebung der unter der Militärdiktatur eingeführten Steuerbefreiung für den profitabelsten Teil der griechischen Wirtschaft – die Reedereien – lassen darauf schließen, dass SYRIZA bereit ist, einen echten Kampf für die Anliegen der arbeitenden Menschen zu führen.
Das ist sowohl für die Partei selbst als auch für die Massen eine echte Überlebensfrage. Die Menschen können so einfach nicht mehr weiter – zu unwürdig sind ihre Lebensbedingungen geworden. Und SYRIZA muss zumindest versuchen, die Wahlversprechen einzuhalten. Dazu ist die Partei auch bereit, Teile des Sparpaktes mit der Troika zu brechen. Das ist gut und richtig so – denn selbst wo gültiges Recht zu Unrecht an den Menschen wird, wird Widerstand (bzw. der Bruch dieses Rechtes) zur Pflicht. Auch das ist eine Lehre, die alle ziehen müssen, die eine politische Zukunft haben wollen.
Und die letzte zentrale Lehre ist, dass die Menschen Hoffnung brauchen. Hoffnung auf eine bessere Welt, an deren Aufbau sie sich selbst beteiligen können. SYRIZA wird auch daran zu messen sein, ob sie die Massen weiterhin in die Formulierung ihrer Politik und deren Umsetzung einbindet. Hoffnung aber kann es nur mit dem heute scheinbar Unmöglichen geben, der von vielen verspotteten Utopie. Die WählerInnen in jedem Land sind realistisch genug, dass sie sich von keiner Partei die Umsetzung aller Forderungen erwarten – gerade dann, wenn sie im Rahmen einer Koalition regieren muss. Was sie aber sehr wohl und mit vollem Recht aus tiefstem Herzen wünschen, ist, dass sich eine Partei mit all ihrer Kraft in die Schlacht für ihre Forderungen wirft und mit letzteren auch klar und deutlich von anderen Parteien unterscheidbar ist. Diese Signale zu überhören, wäre ein fataler Fehler.

Solidarität


Nach den schon im Vorfeld der Wahlen von Merkel, Schäuble, Juncker, Dijsselbloem usw. usf. ausgesprochenen Drohungen, was denn nicht alles passieren wird, wenn Verträgen nicht eingehalten werden, ist anzunehmen, dass schwere Zeiten auf die Regierung von Tsipras zukommen. Die bürgerlichen Regierungen und die EU-Kommission werden ihr das Leben so schwer wie möglich machen. Eh klar – sollte die griechische Regierung mit ihrer Politik tatsächlich die Lebensbedingungen der Massen verbessern, und das ist durchaus wahrscheinlich, dann müssen sie alle um ihre Ämter fürchten. Dann würden nämlich überall Parteien Wahlen zu gewinnen beginnen, die entweder auf einen ähnlichen Kurs umschwenken oder aber sich an Hand des Modells von SYRIZA neu bilden.
Es ist also mit Angriffen auf die Politik Griechenlands aus allen nur erdenklichen Richtungen zu rechnen. Die Aufgabe der österreichischen und internationalen ArbeiterInnenbewegung in diesem Fall wird es sein, praktische und aktive Solidarität mit den griechischen Massen zu üben. Das bedeutet nicht, dass wir alles kritiklos toll finden müssen, was aus Athen kommt. Es bedeutet aber sehr wohl, dass wir auf der Straße, im Betrieb, in unserer Partei und unserer Gewerkschaft dafür eintreten, jede einzelne fortschrittliche Maßnahme der Regierung Tsipras zu verteidigen und europaweit koordiniert jeden Angriff auf diese abwehren.

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