Montag, 12. Oktober 2015

Zwei blaue Augen

Die Wiener Landtags-, Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen sind geschlagen. Das Ergebnis entspricht mehr oder weniger dem, was erwartet worden war. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache und sind weitestgehend bekannt, auch wenn dieser Text noch vor Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses online geht.

Bemerkenswert an den Ergebnissen ist, dass die SPÖ ihr zweitschlechtestes und die ÖVP das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren haben, die FPÖ das beste. Die ÖVP als traditionelle Partei des österreichischen Kapitals ist sogar unter 10% gefallen. Ein Debakel historischen Ausmaßes, sicher auch mitverschuldet dadurch, dass sich die Bürgerlichen in weiten Teilen eine bessere, modernere neoliberale Politik wünschen, für welche die Neos stehen, die massiv auf Kosten der ÖVP (aber auch der Grünen) gewonnen haben. In der ÖVP ist das auch eine persönliche Niederlage für Ihre Zukunftshoffnung Sebastian Kurz, der im Wahlkampf enorm präsent war.

Bezirksergebnisse als „Protestwahl“


Wie schon bei den zeitgleichen Gemeinderats- und Landtagswahlen in Oberösterreich zeigte sich auch in Wien, dass die Ergebnisse bei den Wahlen auf den verschiedenen Ebenen teilweise deutlich voneinander abweichen, selbst wenn dieser Trend nicht so ausgeprägt war wie vor zwei Wochen im Land ob der Enns. Tendenziell sind aber die Ergebnisse der SPÖ auf Bezirksebene noch schlechter.
Ein Stück weit wurden die Wahlen zu den Bezirksvertretungen also zuR Bestrafung verwendet, während bei den Landtagswahlen dann doch auf „Sicherheit“ gesetzt wurde. Die teils dramatischen Ergebnisse kann das aber nicht erklären. Tatsächlich ging mit Simmering einer der traditionellen ArbeiterInnenbezirke an die FPÖ verloren. In Floridsdorf und Favoriten war es extrem knapp; auch in der Donaustadt schrumpfte der Vorsprung der SPÖ bedrohlich zusammen.

Diese nahezu historischen Verschiebungen der Machtverhältnisse haben im wesentlichen zwei Ursachen. Erstens ist die Arbeitslosigkeit in den genannten Bezirken deutlich höher, was zu Zukunftsängsten führt. Die Verzweiflung der Menschen in diesen Gegenden ist so groß geworden, dass sie nach dem sprichwörtlichen Strohalm greifen, den ihnen die FPÖ bietet, auch wenn dieser schneller brechen wird, als sie schauen können. Rassismus (also die sog. AusländerInnenfrage) kann in diesen Bezirken objektiv betrachtet kein Thema sein, handelt es sich doch dabei um Bezirke mit einem für Wiener Verhältnisse sehr niedrigen Anteil an MigrantInnen.

Zweitens handelt es sich dabei um jene Bezirke, in denen die SPÖ schon in der Vergangenheit am weitesten nach rechts gegangen ist und teilweise offen, teilweise versteckt mit der FPÖ gepackelt hat. Es waren auch diese Bezirke, in denen die meisten Stimmen für eine Zusammenarbeit mit den Blauen laut wurden. Diese Politik hat offensichtlich komplett versagt, wie viele von uns schon seit Ewigkeiten immer wieder und wieder deutlich machen. Wer Rassismus und und einen Rechtsschwenk will, der/die wählt Schmied HC und nicht den Schmiedl. Mit einem Rechtskurs kann den Blauen das Wasser offenbar nicht abgegraben werden.

Das belegen einige positive Gegenbeispiele sehr deutlich. Der 4. Bezirk (Wieden) etwa, den die SPÖ bei der letzten Wahl um wenige Stimmen erobert hatte, ist nun mit einem Vorsprung von über 6% fest in roter Hand. Die FPÖ hat mit 15% weit unterdurchschnittlich abgeschnitten. Kein Wunder – gibt es doch hier einige BezirksrätInnen aus der Tradition der Sozialistischen Jugend, die laut und deutlich für ein linkere Politik einstehen.

Der 1. Bezirk, die traditionelle Hochburg der ÖVP, ist, wenn auch sehr knapp, gerade nicht rot geworden. Hier wiederum ist es eine deklariert linke FSG, die für diesen Aufschwung gesorgt hat. Die FPÖ hat trotz des Wechsels der bisherigen ÖVP-Bezirksvorsteherin Stenzel in ihre Reihen mit unter 19% auch in der Inneren Stadt unterdurchschnittlich abgeschnitten.

Dazu kommen zahlreiche Einzelergebnisse von Sprengeln, in welchen deklariert linke Sektionen der SPÖ politisch aktiv sind – meist dominiert von ehemaligen VSSTÖlerInnen oder auch FSGlerInnen, wo die Ergebnisse bei beiden Wahlen weit besser waren wie im Wiener Durchschnitt. Klar ist also: Die Rechten können nur mit Links bekämpft (und besiegt) werden!

Wessen Seite?


Viel entscheidender aber sind die politischen Schlussfolgerungen. Und zwar nicht irgendwelche neutralen Schlussfolgerungen, sondern solche aus Sicht der ArbeiterInnenbewegung. Analysen, die nicht von einem konkreten politischen Standpunkt ausgehen, sind für die Politik sinnlos. Dies ist eine Analyse aus Sicht der ArbeiterInnenbewegung. Eine Analyse aus Sicht eines Betriebsrates, Gewerkschafters und FSGlers, der auch in der SPÖ ist, weil sinnvolle politische Arbeit nirgendwo anders möglich ist. Der aber auch will, dass diese Betätigung aus Sicht der arbeitenden Menschen wieder Fortschritte zeitigt. Dass die Arbeitenden diese Politik wieder als die ihre verstehen!

Wenn wir uns die Wahlmotive genauer und ein wenig abstrahiert vom Gebrabbel der sog. MeinungsforscherInnen ansehen, so sind drei Tatsachen klar zu erkennen.

Erstens ist das sog. Asylthema irrelevant. Wenn die Menschen ein gutes Leben und eine sichere Zukunft hätten, wäre es ihnen mehr oder weniger egal, wenn noch mehr Menschen nach Österreich kommen würden. Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass sie diese willkommen heißen würden oder aber für mehr Zuwanderung sind; wenn aber die sozialen Fragen gelöst wären, macht Zuwanderung in welcher Form auch immer der breiten Mehrheit der Bevölkerung nichts aus. Das hat die Geschichte mehrmals bewiesen: die Zeit ab 1945, Ungarn 1956, CSSR 1968 oder auch der Bosnien-Krieg Anfang der 1990er sprechen hier eine deutliche Sprache – damals kamen viel mehr Menschen als heute in ein viel ärmeres Österreich. In Wirklichkeit geht es den Menschen nämlich um gute und sicher Arbeitsplätze, genug Lohn, eine gute Wohnung, gute Bildung für die Kinder, sowie eine Zukunft für diese und sich selbst.

Solange aber diese soziale(n) Frage(n) zweitens nicht gelöst ist, können die rechten HetzerInnen mit dem sog. AusländerInnenthema spielen, indem sie dieses als Ursache jener Probleme darstellen, die eigentlich ein direkter Ausfluss des kapitalistischen Systems sind. Gleichzeitig hat die Sozialdemokratie jahrzehntelang bewiesen, dass sie diese Problem zumindest lindern kann, solange sie nicht versucht, es allen recht zu machen. Wenn sie heute auf die ArbeiterInnenbewegung und die arbeitenden Menschen im Allgemeinen setzen, Politik in deren Sinne statt entlang von Sachzwängen machen würde, also den gesellschaftlichen Reichtum zur Befriedigung bestehender Massenbedürfnisse einsetzen würde, statt diesen unangetastet zu lassen, hätte die FPÖ niemals die Chance gehabt, so groß zu werden. Der Aufstieg der Rechten ist (auch historisch betrachtet) immer die Folge des Versagens der Linken.

Drittens: Im Wiener Wahlkampf hat die SPÖ zwei klassisch sozialdemokratische Themen wieder aufgegriffen. Es werden wieder Gemeindewohnung gebaut und die Solidarität (mit Kriegsflüchtlingen) wurde in den Mittelpunkt gestellt. Selbst dieser mehr als zarte Linksschwenk hat dazu ausgereicht, ein absolutes Debakel zu verhindern. Stellen wir uns also einmal vor, wie Wahlen ausgehen würden, wenn die Sozialdemokratie sich wieder zu ihren Wurzeln bekennen und das kapitalistische System als solches in Frage stellen würde, was die ideologische Voraussetzung dafür ist, auch innerhalb dieses Systems Politik für die breite Masse zu machen – wie wären die Wahlen in Wien dann erst ausgegangen? Und wie würden dann die nächsten Nationalratswahlen ausgehen?

Geschenkte Zeit


Klar ist aber auch, dass dies die letzte Chance ist. Wenn sich in den nächsten fünf Jahren die Politik der Partei nicht grundlegend ändert, dann ist es (auch in Wien, so wie bereits absehbar bei den nächsten Nationalratswahlen) endgültig vorbei. Dazu braucht es viel! Gleichzeitig ist es aber sehr einfach.

Zuerst einmal braucht es ein neues Programm, das nicht auf den teuren neoliberalen Ratschlägen der SpindoktorInnen basiert, sondern auf den Traditionen und den ersten Programmen der SPÖ. Hainfeld und Linz sind die Ratgeber für Heute und Morgen. Wer nicht aus der Vergangenheit lernt, hat kein Recht auf die Zukunft. Und diese beiden Programme sagen klar und deutlich, was wirklich zählt. 1. eine Orientierung an den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen egal aus welchem Land – Politik für diese ohne Wenn und Aber. Wer sich dieser entgegenstellt, ist GegnerIn. 2. ein permanenter Kampf gegen die Auswirkungen des kapitalistischen Systems, der darauf abzielt, dieses Geschichte werden zu lassen. Programmatische Klarheit statt Personenkult ist die Losung der Zukunft.

Weiters muss die Partei wieder ein Stück weit Bewegung werden. Sie muss überall dort sein, wo die Kämpfe der Menschen um eine gerechtere Welt stattfinden: In den Betrieben, den Wohnvierteln, den Schulen und Unis, bei Arbeitskämpfen und Demonstrationen. Überall dort muss die Partei wieder präsent sein. Dazu ist es erforderlich, zu erkennen, wo die Politik der arbeitenden Menschen wirklich gemacht wird. Nicht in den Parlamenten und parteiinternen Sitzungsräumlichkeiten, sondern dort wo die Menschen arbeiten, leben und selbst politisch aktiv sind.

Weiters braucht es ganz konkret eine ganz andere Politik. Forderungen von arbeitenden Menschen, Jugendlichen und PensionistInnen dürfen nicht länger ignoriert werden. Dazu braucht es unter vielen weiteren Punkten deutliche Lohnerhöhungen im Sozial- und Gesundheitsbereich, aber auch im Handel. Ein Mindestlohn muss eingeführt werden. Die Arbeits- und Öffnungszeiten müssen wieder auf ein menschenmögliches Ausmaß reduziert werden. Eine Arbeitszeitverkürzung muss her. 32 Stunden an vier Tagen sind bei weitem genug. Aber sie wären ein erster Schritt. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse müssen beseitigt werden.

Es braucht ein Ende von Privatisierungen, Ausgliederungen, Ausgründungen und Public Private Partnerships. Diese werden so schnell wie möglich an die öffentliche Hand zurückgeführt. Und Betriebe, die der Gesellschaft Kosten verursachen, z.B. durch Standortschließungen oder Arbeitsplatzabbau, haben diese Kosten bis auf den letzten Cent zu ersetzen. Tun sie das nicht, werden sie unter Kontrolle der Beschäftigten und LeistungsnutzerInnen entschädigungslos in öffentliches Eigentum überführt.

Armut muss offensiv bekämpft werden. Dazu braucht es auch einen massiven Ausbau des öffentlichen Wohnbaus etwa in Form von Gemeindewohnungen, aber auch aller anderen Formen der Daseinsvorsorge. Die Vermögenssteuer muss solange erkämpft werden, bis sie zur Tatsache wird. Denn mit dieser kann all das locker finanziert werden. Überhaupt ist die Verteilungsfrage DAS Thema für die übergroße Mehrheit der arbeitenden Menschen.

Wir müssen uns von der Politik des Möglichen und der Sachzwänge verabschieden. Wir müssen uns von Konstrukten der bürgerlichen Wissenschaft und Meinungsforschung verabschieden. Wenn wir die soziale Realität dieser Gesellschaft betrachten: Was bitte soll dann der Mittelstand sein? Es gibt Menschen, die haben so viel, dass sie davon leben können. Das sind wenige. Und es gibt sehr viele, die müssen arbeiten, um leben zu können. Das war traditionell die Gruppe, für welche die Sozialdemokratie da war. Solange wir versuchen Politik für eine weitere Schicht zu machen, auch wenn diese nur fantasiert ist, werden wir scheitern. Zwischen diesen beiden Klassen, wie es korrekt analysiert heißt, gibt es (fast) nichts.

Und wir müssen die Hirne und Herzen der Menschen wieder erreichen. Dazu gilt es erst mal ehrlich zu sein. Nicht schönzureden. Nichts „verkaufen“. Dazu braucht es aber auch große Themen. Kleinkram macht klein. Als die Sozialdemokratie mit den Forderungen nach dem allgemeinen (insbes. dem Frauen-)Wahlrecht und dem 8-Stunden-Tag auf der Bühne der Geschichte angetreten ist, waren diese Forderungen vollkommen unrealistisch. Die Umsetzung der einen dauerte in Österreich 30 Jahre, die der anderen 85. Trotzdem waren es diese „unrealistischen“ Forderungen, die die ArbeiterInnenbewegung groß gemacht haben! Weil sie nicht nur richtig waren (die Hirne der Menschen erreicht haben), sondern auch emotionalisiert haben, wodurch die Menschen in Massen auf die Straße, in die aktive Politik und auch die Partei strömten. Große Themen machen groß!

Innerparteilich braucht es Demokratie! Entscheidungsfindung, Festlegung von Positionen, Beschluss von Programmen und die Wahl der VertreterInnen müssen wieder von oben nach unten verlagert werden. Dazu braucht es entsprechende Statuten- und Strukturreformen. Es braucht echte Wahlen. Weg mit dem unsäglichen System von Streichungen auf von oben vorgegebenen Listen, das nur zur Reproduktion jener Gremien führt, die die Partei seit langem in die Niederlage führen – auf Kosten aller arbeitenden Menschen im Land. All das muss selbstverständlich vollkommen transparent erfolgen. Geheimzirkel sind im Zeitalter des Internet weder demokratisch noch zukunftsweisend – sie sind einfach nur ein peinlicher Überrest der Vergangenheit. Nur so kann die SPÖ auch wieder zu einer echten Mitgliederpartei werden, in der alle Mitglieder aktiv sind und neue Schichten aktiv werden wollen!

Alles neu!


Wer heute nicht erkennt, dass diese Maßnahmen (und viele weitere) der Weg aus der permanenten Abwärtsspirale und zu einem neuen Aufschwung sind (die britische Labour Party zeigt dies gerade heute bei der Frage von innerparteilichen Wahlen vor und hat innerhalb von weniger als fünf Monaten ihren Mitgliederstand verdoppelt, was auch dazu führt, dass sie wieder öffentliche Massenveranstaltungen machen kann), ist schon Geschichte. Genauso wie jene, die offen oder geheim an den wenigen Prinzipien sägen, die die Sozialdemokratie noch von reinen bürgerlichen Parteien unterscheidbar machen – wie z.B. dem ungemein wichtigen Parteitagsbeschluss, dass es keine Koalition – egal auf welcher Ebene – mit der FPÖ geben darf. Wer das tut, der/die soll bitte eine eigene Partei gründen. Prinzipien müssen wieder wichtiger werden als scheinbare Wahlerfolge. Koalitionen, in denen die Werte er Partei keinen Platz haben, sind abzulehnen. Lieber Opposition als weiter hauptverantwortlich den sozialen Ausverkauf mitgestalten!

In seiner ersten Analyse hat der Wiener Bürgermeister Häupl sehr richtig gesagt, dass es nun großer Veränderungen in der Partei bedarf. Hoffen wir, dass er das ernst gemeint hat und sofort jene inhaltlichen und personellen Konsequenzen zieht, welche erforderlich sind, um die Partei wieder zu einer Partei für die arbeitenden Menschen zu machen! Veränderungen von oben alleine werden aber nicht ausreichen. Zuviel Widerstand wird es von jenen geben, die Angst um ihre Posten und Pöstchen haben. Darum ist es gerade jetzt hoch an der Zeit, dass sich die vielen Linken an der Basis zusammenschließen, um die erforderlichen innerparteilichen Reformen zu erkämpfen, die notwendig sind, dass es auch in fünf Jahren noch eine politisch relevanten SPÖ in Österreich gibt. Eine, die ihrer historischen Mission gerecht wird. Wer in dieser versagt, ist Geschichte!

Geschichte wird also auch die SPÖ sein, wenn diese Maßnahmen nicht umgesetzt werden. Bei der nächsten Nationalratswahl oder spätestens 2020, wenn Wien voraussichtlich das nächste Mal wählt. Viele Mitglieder und WählerInnen wollen das nicht. Dazu zählt auch der Autor dieser Zeilen. Also lasst uns bitte an der Umsetzung dieser Veränderungen arbeiten. Wenn ihr da nicht mitkönnt, was politisch legitim ist, dann gebt uns bitte unsere Partei zurück und macht euer eigenes Ding. Sonst holen wir uns unsere eigene Partei einfach zurück. Oder wir versuchen es zumindest. Kampflos werden wir es nicht mehr zulassen, wie ihr die Partei weiter in den Abgrund führt. Dazu steht zu viel auf dem Spiel: Die Zukunft der arbeitenden Menschen.

1 Kommentar:

  1. herzlichen Dank für die tiefgreifende Analyse, die beste, die ich bis jetzt gelesen habe

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