Seit 1978 ist die sog. Lohnquote, also der Anteil der Löhne am Volkseinkommen rückläufig. Von 77% ist diese mittlerweile auf rund 68% (2017) gesunken. Das Kapital hat sich also in gerade mal 4 Jahrzehnten fast 10% des gesamten Kuchens mehr unter den Nagel gerissen.
Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass heute viele mehr Menschen arbeiten als Ende der 1970er. Die 68% verteilen sich also auf viel mehr Kolleg*innen als seinerzeit die 78%. In Anbetracht der zahlreichen Umverteilungsmaßnahmen zugunsten des Kapitals in den letzten Jahren können wir getrost davon ausgehen, dass die Lohnquote seither weiter gesunken ist. Eine der Folgen davon ist, dass niedrige Einkommen heute 16% geringer sind als vor 20 Jahren, während die Produktivität um 30% gestiegen ist.
Um dem tendenzielle Verfall des Wertes unserer Löhne entgegenzuwirken wurden in der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung zahlreiche Modelle entwickelt, mit denen wir uns wieder beschäftigten sollten, da die rollierende Inflation als einzige Basis dazu führen muss, dass die Lohnquote weiter sinken wird. Das in meinen Augen interessanteste Modell ist die gleitende Lohnskala, wie sie unter Renner eingeführt wurde, um die galoppierende Inflation abzufedern. Allerdings sollten wir eine solche in Anbetracht der politischen Mehrheiten im Land keinesfalls der Regierung überlassen, sondern diese in den Kollektivverträgen verankern.
Eine andere Lösung war lange Zeit die sog. Benya-Formel – benannt nach dem ehemaligen ÖGB-Präsidenten. Diese sah vor, dass die Kollektivverträge jährlich um die Inflation und die Hälfte des mittelfristigen Produktivitätszuwachses der Gesamtwirtschaft erhöht werden sollen, was bis in die 1990er über drei Jahrzehnte auch Usus war.
Im beigefügten Bild (einem Text aus dem FokusWien 4/2022 – der Mitgliederzeitschrift der SPÖ Wien) steht zu lesen, dass diese vom Kapital einseitig aufgekündigt wurde. Das ist leider nur die halbe Wahrheit. Wenn eine*r was tut, muss es sich der*die andere auch gefallen lassen. Und wir als Arbeiter*innenbewegung haben es uns gefallen lassen. Schließlich hätten wir es mit Kampfmaßnahmen auch verhindern können.
Das Ergebnis: Kollektivvertragsabschlüsse in einer Höhe, die bis vor der Jahrtausendwende üblich waren, erscheinen heute als vollkommen unrealistisch. Wäre die Lohnquote heute so hoch wir in den 1990ern (72-75%) würde das den jährlichen Durchschnittslohn um rund 4.600 Euro erhöhen. Verglichen zu 1978 wäre es noch deutlich mehr.
Gleichzeitig stellen sich allerdings zwei Fragen, die wir als Arbeiter*innenbewegung neu beantworten müssen: 1. Warum nur der halbe Produktivitätsfortschritt? Schließlich sind es wir arbeitenden Menschen, die den ganzen Produktivitätszuwachs erarbeiten! 2. Warum lässt die SPÖ Wien die Benya-Formel hochleben, wenn sie diese doch ganz einfach für hunderttausende Menschen umsetzen könnte? Was hindert uns daran, die Löhne bei der Gemeinde Wien, allen von dieser privatisierten, ausgegliederten, ausgegründeten und finanzierten Betrieben entsprechend der Benya-Formel zu erhöhen? Heuer wären das nach derzeitigem Stand 2,25% mehr, also fast überall zweistellige Lohnerhöhungen. Geld, das viele dringend brauchen!
Und zuletzt: Es ist gut und richtig, wenn wir Sozialdemokrat*innen erklären, wie es besser gehen würde. Gemessen werden wir aber an unseren Taten. Also werden sich viele Menschen fragen: Warum tut ihr nicht einfach, was ihr für richtig haltet? Eine berechtigte Frage.
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