Montag, 18. September 2006

Wir alle sind der ÖGB! Basiskontrolle und Demokratie jetzt!

Nach den Turbulenzen rund um die BAWAG, dem Wechsel an der Spitze des ÖGB und dem in der Folge eingeleiteten Reformprozess sind jetzt laut ÖGB-Spitze die Mitglieder am Wort.

In einer Mitgliederbefragung und den derzeit laufenden Regionalkonferenzen können wir unsere Vorschläge für einen ÖGB neu einbringen. Grund genug den derzeitigen Zwischenstand zu bilanzieren und einen Ausblick auf die Zeit bis zum ÖGB-Kongress im Jänner 2007 zu geben.

Stand der Dinge


In den Monaten seit Mai 2006 haben mehrere Arbeitsgruppen an verschiedenen Themengebieten zur Reform des ÖGB gearbeitet. Ihre Zwischenergebnisse sind kaum jemandem bekannt, zumindest nicht den einfachen Mitgliedern und auch nicht den FunktionärInnen auf der unteren Ebene. Die Mitgliedschaft hat bis heute keine Positionspapiere oder Strukturkonzepte gesehen. Viele KollegInnen fragen sich folglich folgerichtig: Auf welcher Basis bitte soll ich mich am Reformprozess beteiligen?
Aber halt: Es gibt ja doch zwei bekannte Ergebnisse der Arbeit der in diesen Arbeitsgruppen versammelten ‚ExpertInnen’. Erstens handelt es sich dabei um die Mitgliederbefragung, welche vor einigen Wochen in der ÖGB-Mitgliederzeitung „Solidarität“ und im Internet gestartet wurde. Abgesehen davon, dass es sich dabei im Großen und Ganzen um NaNo-Fragen handelt, gibt es keine einzige Fragen zur künftigen Struktur und nur eine einzige zur künftigen politischen Ausrichtung des ÖGB. Und auch diese ist schon wieder reif für einen Ehrenabschluss auf der DiplomatInnenakademie. Auf die Frage, wie sich „die Gewerkschaft“ in Zukunft gegenüber Regierung und „Arbeitgeberseite“ verhalten soll gibt es nur zwei „eher“ Antwortmöglichkeiten: „eher zurückhaltend und kompromissbereit oder eher kämpferisch“. Jene die in den Reformgruppen arbeiten, schließen als einen kämpferischen ÖGB, der unsere Interessen ohne Wenn und Aber vertritt von vornherein aus und betonieren den sozialpartnerInnenschaftlichen Kompromisskurs schon in der Mitgliederbefragung ein.
Zweitens handelt es sich dabei um die Regionalkonferenzen. Hier sollen alle TeilnehmerInnen in ‚Kleingruppen’ von 40-50 KollegInnen eine Reihe von Themenbereichen mit jeweils mehreren Fragen behandeln. Alle sollen zu allen Themenbereichen und allen Fragen etwas sagen können. Wie das in den geplanten drei Stunden gehen soll, ist rätselhaft. Was allerdings noch viel schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass mit thematisch vorgegebenen Kleingruppen und feststehenden Fragestellungen wieder einmal nicht die Mitglieder bestimmen können, was im Zuge des Reformprozesses diskutiert wird, sondern genau jene die Diskussion vorgeben, welche dafür verantwortlich sind, dass der ÖGB sich heute in der tiefsten Krise seines Bestehens befindet.
Diese Krise ist aber gleichzeitig auch die größte Chance in seiner Geschichte, zu dem ÖGB zu kommen, den wir für die Verteidigung unserer Arbeits- und Lebensbedingungen wirklich brauchen. Wesentlich wird dafür sein, wie die zukünftige Organisationsstruktur des ÖGB aussehen wird. Noch viel wichtiger aber ist die Frage, welche Politik der ÖGB in Zukunft machen soll bzw. wird. Diesen Fragen werden wir uns in der Folge widmen.

Organisationsreform


Derzeit dürften drei Modelle zur künftigen Organisation des ÖGB möglich sein. Erstens gibt es den Vorschlag zur Stärkung der Fachgewerkschaften, welcher v.a. von der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst in die Diskussion eingebracht wurde und in letzter Konsequenz dazu führen würde, dass es einen vollkommen macht- und einflusslosen ÖGB gibt. Mit diesem Vorschlag würde letztlich auch die Konkurrenz unter den Einzelgewerkschaften um Mitglieder und damit Geld sowie Einfluss bestehen bleiben, eine der Ursachen für die derzeitige Situation des ÖGB also noch verschärft. Wir können diesem Vorschlag deshalb nichts abgewinnen.
In den oberen Etagen zahlreicher Gewerkschaften kursiert momentan auch ein Modell mit nur mehr vier Fachgewerkschaften. Dabei handelt es sich um VIDA (Handel, Transport, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst, Eisenbahn, Verkehr), ein Gewerkschaftszusammenschluss der ebenso gerade im Entstehen ist wie der Zusammenschluss rund um die Gewerkschaft Metall, Textil, Nahrung, die derzeitige GPA, sowie einen Zusammenschluss der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes GÖD und GdG. Durch letzteren könnte die einzige bürgerliche Gewerkschaft, die GÖD, deutlich an Einfluss gewinnen, indem sie künftig die tiefrote GdG kontrolliert. Bei diesem Vorschlag ist auch nicht klar, was mit den restlichen kleineren oder auch nicht so kleinen Gewerkschaften (wie z.B. den Post- und Fernmeldebediensteten) passiert. Sie würden wohl auf die großen Vier aufgeteilt. Viel problematischer ist aber, dass die Konkurrenz wohl – wie die Wirtschaft jeden Tag beweist – um so größer wird, je weniger ‚MarktteilnehmerInnen’ es gibt. Schließlich ist dieses Modell auch mehr an den Interessen der Gewerkschaftsbürokratie nach Machtsicherung orientiert, als an einer Struktur, wie wir sie brauchen: Betriebe und Branchen, wo es nur eine Gewerkschaft und einen Kollektivvertrag gibt, so dass es keine Konkurrenz zwischen Betrieben, Gewerkschaften und KollegInnen zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen geben kann und wir den ChefInnen gegenüber geschlossen auftreten können.
Schließlich gibt es noch das Konzept der GPA „1ne Gewerkschaft“, welches darauf abzielt, die Betreuung der Mitglieder einheitlich direkt unter dem Dach des ÖGB zu organisieren nachdem die Fachgewerkschaften abgeschafft wurden. Eine solche Struktur würde die Konkurrenz unter den Einzelgewerkschaften verhindern und könnte auch die Verwendung der geringeren finanziellen Mittel sinnvoller gestalten, indem derzeit sinnlos in 12 verschiedenen Kartenreferaten, Fortbildungsstrukturen usw. usf. gebundene Mittel in die politischen Betreuung der Mitglieder umgeschichtet werden könnten. Dieses Modell hat folglich durchaus positive Ansätze. Letztlich muss aber die Frage der künftigen Struktur des ÖGB von den Mitgliedern entschieden werden.

Politik zählt


In der bisherigen Debatte hat leider die Frage einer veränderten Politik des ÖGB keine Rolle gespielt. Offensichtlich meint die Bürokratie noch immer, dass hier eh alles passt. Die permanenten Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen sprechen aber eine andere Sprache. Wir brauchen einen ÖGB, der mit dem Reformismus sowie dem darin angelegten Interessenausgleich von Arbeit und Kapital bricht!
Bisher vertritt der ÖGB auf Grund dessen fast immer eben nicht die Interessen der Lohnabhängigen, sondern jene des Wirtschaftsstandortes Österreich. Seine reformistische Ausrichtung hat ihn immer wieder dazu gebracht zum Vorteil des Kapitals – und vielleicht einiger weniger SpitzenfunktionärInnen – Kämpfe dann abzubrechen, wenn der Erfolg schon greifbar war, wie z.B. bei der Pensionsreform oder im ÖBB-Streik. Und genau dann haben immer wir Lohnabhängigen abgebissen und zahlen noch für Jahrzehnte die Zeche dieser verfehlten Politik. Genug ist genug! Es wird Zeit für einen ÖGB, dem die Interessen der ChefInnen und ihres Wirtschaftsstandortes vollkommen wurscht sind, der dafür aber bedingungslos für die Interessen der von ihrer Lohnarbeit vollkommen abhängigen riesengroßen Bevölkerungsmehrheit eintritt.
Bis hierher haben wir skizziert, welchen ÖGB wir eigentlich brauchen, wie dieser aussehen und welche Politik er vertreten soll. Wie aber kommen wir zu diesem ÖGB?

Was nun?


Auch wenn es leider auf Grund der bürokratischen Kontrolle über den Reformprozess unwahrscheinlich ist, dass wir wirklich den ÖGB bekommen, den wir brauchen und verdienen, so sollten wir in der Zeit bis zum ÖGB-Kongress zumindest überall wo möglich, für das eintreten, was notwendig ist, v.a. dafür, dass es einen Kongress gibt, der die wirklich wichtigen Fragen diskutiert und nicht wieder von jenen dominiert wird, die seit Jahren das Desaster der letzten Monaten mitgestaltet haben. Daher muss die Gewerkschaftsbasis darüber entscheiden, wer auf den Kongress delegiert wird, welche politischen Fragen dort diskutiert, welche Anträge abgestimmt werden und wie der ÖGB in Zukunft aussehen soll.
UnterstützerInnen des „Funke’“ und von „FSG-Zorn“ haben daher Forderungen erarbeitet, die wir in möglichst vielen Regionalkonferenzen, Betriebs- und Gewerkschaftsstrukturen vorstellen wollen. Wir werden dafür auch Unterschriften sammeln und diese in Form einer Aktion am ÖGB-Kongress übergeben. Wir wollen alle KollegInnen zur Verbreitung und Unterstützung dieser Forderungen, aber auch zur Beteiligung an der Vorbereitung und der Teilnahme an der geplanten Aktion einladen. Der Text dafür lautet:

„Wir sind ÖGB – für einen demokratischen und offenen ÖGB-Kongress!


Nur wenn alle Mitglieder eingebunden sind und auch entscheiden können, kann der Reformprozess des ÖGB ein Erfolg werden. Deshalb fordern wir:
  • Wahl der Delegierten für den Bundeskongress durch die Mitglieder!
  • Jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit aller FunktionärInnen!
  • Entscheidung der politischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Zukunft durch die von den Mitgliedern gewählten Delegierten!“

Diese Forderungen sind mit Sicherheit kein fertiges Rezept für einen ÖGB, in dem alles perfekt funktioniert. Ihre Umsetzung kann aber sicherstellen, dass endlich wirklich die Basis das Sagen hat und in demokratischer Diskussion den ÖGB und damit unsere Arbeits- und Lebensbedingungen in eine bessere Zukunft führt.

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