Eine Welle von Streiks rollt durch Chinas große Industriestädte in der Provinz Gwangdong, dem Kernland der chinesischen Exportindustrie. Mitte November 2011 legten 7.000 ArbeiterInnen des Jue Tscheng-Werks, in dem Adidas- und Nike-Sportartikel gefertigt werden, die Arbeit nieder. Anlass dafür waren verheerende Arbeitsbedingungen und die Nichtbezahlung von Überstunden. Nach Auseinandersetzungen mit der Polizei kehrten die Beschäftigten zwar zur Arbeit zurück, streikten jedoch eine Woche später erneut. In der Folgewoche blockierten 1.000 Streikende bei Jingmo Electronics in Shansen einen Hauptverkehrsweg als Teil ihrer Kampagne gegen ausufernde Überstunden und Hungerlöhne.
Hunderttausende solcher und ähnlicher “Vorkommnisse”, an denen sich Massen von ArbeiterInnen beteiligen, werden jedes Jahr offiziell gemeldet. Besonders bemerkenswert daran, ist dass sich die politische Aktivität der Massen in der letzten Zeit zunehmend auf die Betriebe konzentriert. Dabei ist auch zu beobachten, dass die ArbeiterInnen ihre Lektionen aus den vergangenen Kämpfen gelernt haben, ihre Kämpfe für die eigenen Interessen heute unabhängig organisieren und laufend neue Taktiken entwickeln.
Ein Wendepunkt war dabei war sicherlich der Honda-Streik in Foshan (Gwangdong) vor einem Jahr. Dort erkämpften streikende ArbeiterInnen erstmals das Recht, ihre eigenen VerhandlungsführerInnen zu wählen, statt wie bisher nur Vereinbarungen zwischen den offiziellen Gewerkschaften und den ManagerInnen kommentarlos schlucken zu müssen. Besonders wichtig ist dies, da In China die offiziellen Gewerkschaften durch die Verfassung verpflichtet sind, in Zusammenarbeit mit der Verwaltung zur Förderung und Aufrechterhaltung der Produktion beizutragen. Die Bedürfnisse der Lohnabhängigen sind dem untergeordnet. Kein Wunder also, dass sich die KollegInnen ihre eigenen, unabhängigen Interessenvertretungen schaffen und sich auf Betriebsebene selbst organisieren, indem eigene VerhandlungsführerInnen gewählt werden.
Viele Kämpfe haben aber auch einen defensiven Charakter und richten sich gegen die Drohung von Entlassungen, verlängerte Arbeitszeiten und die Einschränkung von Pausen. In diesem Zusammenhang ist auch die zunehmende werksübergreifende Zusammenarbeit von entscheidender Bedeutung, schafft diese doch die Basis der Entwicklung einer unabhängigen ArbeiterInnenbewegung. Ein Beispiel dafür war der 14. November 2011, als die Beschäftigten der Pepsico-Abfüllwerke in fünf verschiedenen Städten zeitgleich demonstrierten.
Immer wieder ist auch die Forderung nach der Auszahlung der ausstehenden Löhne bis zum chinesischen Neujahr Anfang Februar ein Thema. Dies hat zwei Gründe: Viele der ursprünglich bäuerlichen Beschäftigten kehren über die Feiertage zu ihren Familien heim und brauchen dafür das Geld; zweitens werden über die Feiertage oft ihre Arbeitsplätze gestrichen und dann gibt es die ausstehenden Löhne erst recht nicht mehr.In Anbetracht der zunehmenden Selbstorganisation der Beschäftigen und ihrer Kampfbereitschaft hat
mittlerweile die Regierung die staatlich kontrollierten Gewerkschaften angewiesen, sich stärker für die Interessen der Arbeitenden einzusetzen. Das wird sicherlich nicht dazu reichen, die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu verhindern, bietet aber eine Möglichkeit, diese Organisationen zu demokratischen Kampforganisationen umzuwandeln. Selbstverständlich wird dies nicht ohne den Widerstand der herrschenden Kommunistischen Partei Chinas abgehen. Daher muss als erster Schritt weiterhin die Forderung nach der Wahl unabhängiger VerhandlungsführerInnen in allen Betrieben erhoben und durchgesetzt werden; diese müssen jederzeit abwählbar sein. Nach diesem Vorbild könnten dann die offiziellen Gewerkschaften umgestaltet werden. Wahrscheinlich ist das nicht – bis heute gibt es allerdings in China keine Alternative zu diesen.
Ein Ansatz für eine solche sind aber natürlich die bereits erwähnten VerhandlungsführerInnen, indem deren Aufgaben zu denen von Fabriks- und/oder Streikkomitees weiterentwickelt werden, welche dauerhaft die Interessen der Beschäftigten vertreten und sich branchen- und landesweit vernetzen. Damit wäre die Basis gelegt für eine Organisation, die sich nicht nur der unmittelbaren Verteidigung der Interessen der Lohnabhängigen widmen kann, sondern auch die grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft im bevölkerungsreichsten Staat der Erde im Sinne der Massen angeht.
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