Der Abschiedsbrief spricht eigentlich für sich selbst:
"Die Besatzungsregierung von Tsolakoglou vernichtete buchstäblich jegliche Möglichkeit für mich zum Überleben, das von einer bescheidenen Pension abhängig war, in die ich persönlich 35 Jahre lang (ohne irgendwelchen staatlichen Zuschuss) eingezahlt habe.Zur Erläuterung: Tsolakoglou war Offizier und wurde erster Primierminister der griechischen Kollaborationsregierung während der Besetzung durch die Achsenmächte in den Jahren 1941-1942.
Mein Alter gibt mir nicht die Möglichkeit einer starken Reaktion (damit schließe ich jedoch nicht aus, dass wenn ein Grieche eine Kalaschnikow in die Hand nehmen würde, ich nicht der zweite wäre [der eine in die Hand nimmt]). Ich sehe keine andere Lösung als jene eines würdevollen Endes, bevor ich anfangen muss im Müll nach Essen zu suchen.
Ich glaube, dass eines Tages die 'Jugend ohne Zukunft' Waffen in die Hand nehmen wird und die nationalen Verräter mit dem Kopf nach unten am Syntagma Platz aufhängen wird, so wie die Italiener es mit Mussolini 1945 am Piazza Loreto in Mailand gemacht haben."
Christoulas führte bis 1994 eine Apotheke im Zentrum von Athen. Danach ging er in den Ruhestand. Er war aktives Mitglied der "Ich zahle nicht"-Bewegung. Als Teil der brutalen Sparmaßnahmen, die der griechischen ArbeiterInnenklasse auferlegt wurden, um die Schuldenrückzahlung an die Banken und die kapitalistischen InvestorInnen zu gewährleisten, wurden seit Jahresbeginn 2010 die Pensionen im Durchschnitt um 15% gekürzt. Pensionen von über 1.200 Euro wurden gar um 20% gekürzt.
Als Reaktion auf den Selbstmord von Christoulas wurden an den Bäumen nahe dem Ort, an dem er sich selbst tötete, zahlreiche Botschaften angebracht, die eine deutliche Sprache sprechen. Dazu zählen u.a. "Austerität tötet" und "Es war kein Selbstmord - es war Mord". Eine weitere Folge der Entscheidung von Christoulas. seinem Leben ein Ende in Würde zu setzen, waren Proteste zahlreicher AktivistInnen in vielen Orten Griechenlands und auch am Ort der Tat - dem Syntagma-Platz in Athen. Wie nicht anders zu erwarten wurde dieser Ausdruck des Unmuts der Massen mit Repression beantwortet. Brutale Polizeieinsätze führten sogar zu Prügeln für zwei ausgewiesene JournalistInnen. Die Herrschenden können in der aktuell mehr als angespannten Lage in Griechenland einen Märyrer so gut brauchen wie ein Abszess am After.
Die Tag von Christoulas ist kein Einzelfall. Selbst nach den offiziellen - zumeist geschönten - Zahlen ist die Zahl der Selbstmorde im Land seit Beginn der Wirtschaftskrise um 40% gestiegen. Wann werden es die Herrschend also kapieren, dass die breiten Massen von ihrem System nur noch mehr Leid und Elend zu erwarten haben? Offenbar nie! Dieses System, dass den Massen in Griechenland und weltweit nichts zu bieten hat als eine permanente Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen, wird nur dann einzig noch in den Geschichtsbüchern vorkommen, wenn wir selbst - die arbeitenden Menschen dieser Welt - dafür sorgen, dass es dorthin verschwindet.
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