Montag, 26. Mai 2014

Nix im Herzen und im Kopf Schmerzen! Eine Analyse der EU-Wahl

Die Ergebnisse der Wahl sind im Großen und Ganzen bekannt. Abgesehen von dem einen oder anderen herausstechenden Ergebnis in einzelnen Ländern, auf die wir später noch kurz eingehen werden, ist eines klar: Auch die nächsten fünf Jahre wird in der EU die Politik von Sparen und Sozialabbau fortgesetzt. Die von den arbeitenden Massen, der Jugend, den PensionistInnen und vielen mehr herbeigesehnte soziale Wende ist zumindest verschoben.

Inhaltsleere


Wenn wir den Wahlkampf in Österreich etwas näher betrachten – und hier geht es uns natürlich besonders um die Partei der österreichischen ArbeiterInnenklasse – die SPÖ, so fallen zunächst die aussagelosen Slogans auf. „Europa im Kopf und Österreich im Herzen“ – was bitte soll das heißen? „Schnitzel im Magen und Champagner in der Leber“ hat auch nicht viel weniger politischen Inhalt. „Sozial statt egal“ war auch nicht gerade der Renner. Schließlich ist das Gegenteil von sozial asozial. Und eine Partei, die das ist, werden die ihrer Bedürfnisse bewussten arbeitenden Menschen wohl kaum wählen. Also sind auch keine Wahlen mit NaNo-Aussagen zu gewinnen, die eine Grundvoraussetzung für die ArbeiterInnenbewegung sind, also konkret: sozial zu sein.
Abgesehen davon ist die SPÖ sowohl in der Bundesregierung als auch in Wien in dieser Frage alles andere als glaubwürdig: Wer soll das bitte glauben, wenn z.B. im Sozial- und Gesundheitsbereich dank der Politik auch unserer Partei über ein Drittel der Beschäftigten so wenig verdienen, dass sie unter der offiziellen Armutsgefährdungsschwelle liegen? Verantwortlich dafür sind nicht zuletzt die zahlreichen Privatisierungen, Ausgliederungen und Public Private Partnerships. Die SpitzenvertreterInnen der Partei machen dafür gerne Brüssel verantwortlich, was aber tatsächlich nicht stimmt. Es gibt keine einzige EU-Richtlinie, die Österreich vorschreibt, etwa die Wiener Stadtwerke in eine AG oder die Sozialverwaltung in einen Fonds umzuwandeln. Und wieso sollten die Menschen bei einer EU-Wahl wählen, wenn ihnen sogar die eigenen Parteispitzen sagen, dass all das Böse aus Brüssel kommt? Hier liegt ein Kern des immer wieder so gerne als Grund für Wahlniederlagen ins Treffen geführten Mobilisierungsproblems.
Gleichzeitig hat die Parteispitze recht, wenn sie sagt, dass es für die schon genannten (nicht mehr von der öffentlichen Hand selbst erbrachten) Leistungen der Daseinsfürsorge ein Finanzierungsproblem gibt. Zu den getroffenen Maßnahmen wie Ausgliederungen gibt es aber sehr wohl eine Alternative, ganz im Gegensatz zu dem, was sie behaupten! Höchst interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache, dass der berühmte Satz „There is no alternative“ (TINA – es gibt keine Alternative) seinerzeit von Margaret Thatcher geprägt wurde. Ist sie jetzt die neue Ideengeberin der Spitzen der SPÖ?
Tatsächlich gibt es sehr wohl Alternativen. Erstens hätte Österreich den sogenannten Fiskalpakt gar nicht erst unterschreiben müssen. Dieser war keine Vorgabe der EU, sondern ein schlichter Staatsvertrag. Gleiches gilt übrigens für dessen innerstaatliche Umsetzung. Auch dabei handelt es sich um einen Staatsvertrag zwischen Bund und Ländern. Und niemand kann gezwungen werden, einen Vertrag zu unterschreiben, wenn das nicht gewollt ist. Zweitens – und das ist noch viel wichtiger – könnten all die erforderlichen Maßnahmen der Daseinsfürsorge vom Kindergartenbau bis zur Bildungsmilliarde locker umgesetzt werden, wenn die SPÖ den schönen Worten in der Frage der Vermögensbesteuerung endlich Tagen folgen lassen würde. Geld gibt es genug im Lande – es haben nur die falschen Leute!

Ein Freund macht noch keinen Wahlsieg


Das gilt übrigens auch für viele FreundInnen. Und hier liegt die nächste Ursache der sog. Mobilisierungsprobleme. Die Mitglieder an der Parteibasis rennen sich eben nicht die Lunge aus dem Leib für wen, den sie nicht als einen der ihren empfinden. Wenn jetzt die Parteispitzen darauf verweisen, dass zumindest das letzte Ergebnis gehalten werden konnte, so ist das eine Beleidigung für die Intelligenz der Basis. Die GenossInnen wollen nicht, dass wir uns mit einem Viertel der WählerInnenstimmen zufrieden geben. Sie sagen klar, was der Anspruch einer solch traditionsreichen ArbeiterInnenpartei sein muss – die absolute Mehrheit. Aber dazu müssen wir fordern, was die Lebensbedingungen der breiten Massen tatsächlich verbessern kann. Wir müssen es aber auch in der Regierung umsetzen. Und wenn das mit egal welchem Koalitionspartner nicht möglich ist, dann vergessen wir diese Koalition eben. Schon so manch eine Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheiten auf der Straße und in den Betrieben gesucht hat, war weit erfolgreicher als die schönste Koalition. Und eine Politik im Sinne der Menschen war schon immer der beste Garant für Wahlerfolge. Aber dann könnte es sein, dass wir nicht mehr in der Regierung sind und dann wird doch alles noch schlimmer, werden jetzt einige einwenden. Was aber bitte soll noch schlimmer werden? Wie viel mehr kann eine Regierung noch die Agenda des Kapitals umsetzen (Stichwort Bankenrettung) und den Sozialstaat abbauen?
Hier muss auch noch auf einen fatalen Fehler hingewiesen werden, den die FSG im Wahlkampf gemacht hat. Unsere FSG-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl Evelyn Regner war mit Sicherheit die glaubwürdigste Kandidatin der SPÖ auf den ersten Plätzen. Wir hätten durchaus dafür kämpfen sollen, dass sie auf den ersten Listenplatz kommt. Wir sind überzeugt, dass das Ergebnis dann deutlich besser gewesen wäre. Die FSG hat mit Comics einen hippen Wahlkampf versucht. Daran ist nichts falsch. Aber der Slogan dafür („Zuerst der Mensch, dann der Profit“) war der klassische Griff ins Klo. Als GewerkschafterInnen auch nur ansatzweise positiv auf Profit zu verweisen, wo die KollegInnen in den Betrieben tagtäglich erleben, dass ihre Arbeitsplätze und -bedingungen auf dessen Altar geopfert werden, ist schlicht und einfach ein – im wahrsten Sinne des Wortes – Kapitalfehler gewesen!
Flotte Sprüche ohne Inhalt wirken höchstens in den Bobo-Bezirken der Wiener Innenstadt (mittlerweile auch schon der Landstraße), wo die Retros (äh: NEOS) und Grünen (Platz 1 in 10 Bezirken, erschreckend!) ihre kleinbürgerliche Stammklientel haben. Als ArbeiterInnenpartei muss die SPÖ die Arbeits- und Lebensinteressen der breiten Massen ansprechen. Mit einer Kopie der kleinbürgerlichen Ideologie der Grünen oder der großkapitalistischen Phantasien der Retros werden wir das nicht schaffen. Wir müssen uns wieder unserer Wurzeln besinnen. Ein gutes Leben für die arbeitenden Menschen statt zu versuchen, es allen recht zu machen, muss die Devise der Zukunft sein.
Gleiches gilt auch für den Großkampf in den (einstigen) ArbeiterInnenhochburgen Favoriten, Simmering und Floridsdorf, wo die SPÖ nur mehr knapp vor der FPÖ liegt. Hier gilt es endlich den Kampf gegen den Rassismus aufzunehmen und die pseudosozialen Sprüche dieser rechten Bande zu entlarven. Bis jetzt haben wir versucht, all diese Kräfte mit dem Prinzip der Homöopathie (Gleiches mit Gleichem) zu bekämpfen. Tatsächlich aber braucht es dazu gute alte Schulmedizin. Wenn sie rassistisch sind, müssen wir einen ernstgemeinten Antirassismus glaubwürdig auf unsere Fahnen heften. Wenn sie privatisieren wollen, müssen wir uns mit voller Kraft dagegen stellen und wiederverstaatlichen! Diese Logik lässt sich noch auf viele andere Bereich anwenden – und sie würde bei konsequenter Umsetzung bei den anstehenden Wahlen sicherlich viel mehr Erfolg bringen als die bisherige von Spin(n)DoktorInnen und Meinungsumfragen vorgegebene Strategie. Vielleicht sollte die Parteispitze einfach mal die eigene Basis fragen, was sie will, und das auch ernst nehmen! Die gerade anlaufende Programmdebatte wäre ein guter Zeitpunkt dafür. Im Gegensatz zu unser aller Freund Eugen sieht z.B. wohl die Mehrheit der GenossInnen eine klassenlose Gesellschaft nicht als „Teil der Mottenkiste der Geschichte“.

Lehren aus Europa


Viele sprechen von einem Rechtsruck. Tatsächlich sind die Erfolge der UKIP in Britannien, des Front National in Frankreich, der Goldenen Morgenröte in Griechenland, der FIDESZ und von Jobbik in Ungarn, der NationalistInnen in Dänemark, den Niederlanden und anderen Ländern, von AfD und NDP in Deutschland, der FPÖ usw. erschreckend. Wir dürfen daraus aber nicht den fatalen Schluss ziehen, dass deren WählerInnen plötzlich alle Nazis geworden seien. Tatsächlich handelt es sich dabei meist um Menschen, die verzweifelt auf der Suche nach einem Ausweg aus einem würdelos gewordenen Leben sind. Ihre Wahlentscheidung ist unser Versagen. Wenn wir ihnen ein politisches Programm geben würden, das im Stande wäre, ihre Lebenssituation zu verbessern, wenn wir in der Regierungsverantwortung tatsächlich etwas daran verbessern würden, wenn wir ihnen die Möglichkeit geben würden, selbst für ihre eigenen Interessen politisch aktiv zu werden, dann würde sich dieser scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der Rechten in Europa so schnell verflüchtigen wie eine Fata Morgana.
Gleichzeitig sehen viele einen Niedergang der Sozialdemokratie in Europa. Auch dabei handelt es sich nur um die halbe Wahrheit. Tatsächlich wurden vor allem jene sozialdemokratischen Parteien an der Wahlurne abgestraft, die die Politik der Bürgerlichen umsetzen, insbes. in Frankreich und Griechenland. Die PASOK in Griechenland aber hält uns den Spiegel unserer eigenen Zukunft vor. Vor wenigen Jahren noch bei über 40% liegend und im Parlament mit einer komfortablen absoluten Mehrheit ausgestattet, hat sie es diesmal dank der Fusion mit anderen kleinen sozialistischen Gruppierungen zur Elia gerade noch ins Europaparlament geschafft. Mit nicht einmal 10% der Stimmen hat diese einst große Partei fast alles verloren. Der Grund dafür liegt ganz einfach darin, dass sie seit Jahren (in der Alleinregierung genauso wie jetzt als kleiner Koalitionspartner der Konservativen) ohne Mucken und Murren die Spar- und Sozialabbaupolitik des Großkapitals, vertreten durch EU und Troika, umsetzt. Dieses Schicksal wird jeder ArbeiterInnenpartei blühen, die in den nächsten Jahren eine bürgerliche Politik macht.
Griechenland bringt uns aber auch zu dem von vielen so genannten Phänomen Syriza, einer Partei, die vor wenigen Jahren noch um den Einzug ins nationale Parlament ringen musste, bei unter fünf Prozent herumgrundelte und heute die klare Nummer 1 ist. Von vielen wird Syriza als europaskeptisch oder gar -feindlich bezeichnet. Nichts könnte falscher sein. Syriza will ein anderes Europa, eine andere EU – eine EU für die Menschen statt für das Kapital. Eine EU für die Arbeitenden, die Jugend und PensionistInnen statt für den Profit. Auch wenn Syriza sicher eine Reihe von politischen Schwächen hat und wir bei weitem nicht mit alle ihren Positionen übereinstimmen (hier ist nicht der Platz genauer darauf einzugehen), so zeigt sie uns doch einen Weg für die Zukunft.
In der Partei haben unterschiedliche politische Strömungen einen Platz, es gibt einen echten, offenen und ehrlichen Kampf um politische Positionen, der durchaus auch zu wechselnden Mehrheiten führt. Die Diskussionen und demokratischen Entscheidungen dazu werden aber jedenfalls nicht bürokratisch von oben gedeckelt, so wie in vielen sozialdemokratischen Parteien in anderen Ländern (nicht zuletzt auch der SPÖ), was die Basis zu schätzen weiß. Und offenbar auch die WählerInnen. Die SPÖ steht heute an einer Weggabelung, die für ihre Zukunft entscheidend sein wird: PASOK oder Syriza?

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