SYRIZA
Selbst die Parteispitze rund um Alexis Tsipras hat wohl nicht mit einem derart eindeutigen Votum gerechnet. Die Partei geht massiv gestärkt aus der Volksabstimmung. Denn selbst wenn die Stimmen jener Parteien bei der letzten Parlamentswahl, die für ein Nein aufgerufen haben, zusammengerechnet werden, gehen sich bei weitem keine 61% aus.
Daraus müssen die richtigen politischen Schlussfolgerungen gezogen werden. Nun müssen die Grundlagen für eine linke Wende geschaffen werden. Die erste davon ist es, sich vom rechten Koalitionspartner zu trennen, und KKE und PASOK in eine linke Koalition zu zwingen. Wenn diese sich weigern sollten, was nicht auszuschließen ist, dann muss Tsipras das Risiko einer Minderheitsregierung eingehen. Schließlich fehlen SYRIZA nur zwei Parlamentssitze auf eine absolute Mehrheit. Wenn die Partei in Zukunft ein wirklich linkes Programm durchsetzen will, können es sich diese Parteien gar nicht mehr leisten im Parlament, vor den Augen des Volkes, dagegen zu stimmen. Sie würden sonst bei der nächsten Wahl massiv abgestraft oder gar politisch vernichtet werden. Die PASOK kämpft ohnedies bereits ums Überleben, was in Anbetracht ihrer Politik nicht verwundern kann. Selbst jetzt noch hat sie sich für ein Ja bei der Volksabstimmung ausgesprochen.
Sollte diese Taktik nicht funktionieren, kann SYRIZA noch immer die Karte Neuwahlen ausspielen. In Anbetracht des Ergebnisses der Volksabstimmung würde sie massiv gestärkt aus diesen hervorgehen. Eine absolute Mandatsmehrheit wäre ihr praktisch sicher.
Viel wichtiger noch als die Frage parlamentarischer Mehrheiten aber ist die Frage der Umsetzung des Willens der Mehrheit der GriechInnen. Bis jetzt hat SYRIZA kaum Maßnahmen gesetzt, die wirklich in die richtige Richtung gegangen sind und die auch ohne den Sanktus der Troika (ich nenne diese ungewählte Diktatur der Märkte bewusst weiterhin so, weil sich an ihrer Funktion nichts geändert hat) umsetzbar gewesen wären. Die Abschaffung der Steuerprivilegien der Reedereien und der Kirche, sowie echte Vermögenssteuern hätten zwar die Schuldenlast Griechenlands nicht lösen, aber die soziale Lage der breiten Masse allemal deutlich verbessern können! Für die vollkommen sinnlosen enormen Rüstungsausgaben gilt das genauso.
Über dem Tellerrand
Die neue griechische Regierung hat in ihrer konkreten Politik bis dato nicht besonders viel richtig gemacht – vor allem fehlte ihr der Mut zu einer echten politischen Wende. Nichtsdestotrotz gibt sie der breiten Masse der Bevölkerung Hoffnung. Hoffnung auf ein besseres Leben.
Und das gilt nicht nur in Griechenland. In Europa (und der ganzen Welt) schauen Millionen und Abermillionen auf Griechenland – in der Hoffnung, dass endlich jemand den Märkten, die ihre Lebensbedingungen permanent verschlechtern, die Stirn bietet. Dass sie dabei ihre Hoffnungen in eine Partei setzen, die in der Praxis noch nicht besonders viel an den Lebensbedingungen der Massen verbessern konnte, zeigt erst recht wie verzweifelt viele sind. Der Fairness halber sei dazu gesagt, dass die griechischen Regierung zu echten Veränderungen noch nicht besonders viel Zeit hatte und gegen den vereinten Widerstand der Institutionen des internationalen Kapitals zu kämpfen hatte. Doch mit etwas Mut wäre schon mehr drinnen gewesen.
Die Kette bricht immer beim schwächsten Glied. Und Griechenland wurde von Troika&Co zum schwächsten Glied gemacht. Wenn einmal das erste Glied gebrochen ist, dann geht es oft schnell. Nach der Ablehnung der Kaputtsparpolitik in Griechenland ist es sehr wahrscheinlich, dass die Linke bei den Parlamentswahlen in Spanien einen Wahlsieg einfahren wird. Dann gäbe es schon zwei linke Regierungen in der EU, was 1. die Sozialdemokratie massiv unter Druck setzen würde, mit den sog. Sachzwängen zu brechen und 2. den Wunsch vieler Menschen nach einem Ende der Sparpolitik auch in ihren Ländern weiter anheizen würde. Ein Dominoeffekt könnte die Folge sein.
Eines aber hat die Volksabstimmung vor aller Augen noch einmal deutlich gemacht. In der politischen Praxis gibt es schon längst keine Mitte mehr. Es gibt nur ein Entweder-Oder. Entweder Sachzwänge, Notwendigkeiten, Unterordnung unter die Bedürfnisse des Profits und politische Feigheit oder Politik im Sinne der Bedürfnisse der Massen!
Das drückt sich auch auf der Ebene der sozialen Klassen aus: Entweder Kapital oder ArbeiterInnenklasse. Und hier sei den ganzen ÜberdifferenziererInnen in den Massenmedien und der sog. Wissenschaft gesagt, dass Widersprüche in der Welt eben in Wahrheit immer so einfach sind. Wer diese zu verkomplizieren versucht, macht nur die Drecksarbeit der Herrschenden. „Angestellte sind doch keine ArbeiterInnen“ oder „Die meisten hierzulande gehören doch schon längst zum Mittelstand“ – Formulierungen wie diese dienen nur dazu, das politische Bewusstsein von Menschen zu vernebeln, die letztlich eine beinharte Tatsache eint: Sie müssen arbeiten, um leben zu können! Und genau das unterscheidet sie auch vom echten Mittelstand – dieser kann entweder so recht und schlecht von der Arbeit weniger anderer, den Einkünften aus einem gewissen Besitz oder zumindest dessen Verkauf leben. Wie viele in Österreich können das? Die ArbeiterInnenklasse kann das nicht! Lohnarbeitende haben entweder ein Arbeitseinkommen oder sie müssen von Sozialleistungen (in Griechenland gibt es selbst diese für viele nicht mehr) ihre Leben fristen. Wenn beides wegfällt, haben sie kein Dach mehr über dem Kopf und nichts zu Essen, keine Gesundheitsversorgung usw., ja – kein menschenwürdiges Leben mehr!
Und letztlich drückt sich das auch im politischen Spektrum aus: Entweder Links oder Rechts. Parteien, die sich heute nicht bewusst auf die Seite der lohnarbeitenden Menschen stellen, auf die Seite der Unterdrückten und Ausgebeuteten, sich also links positionieren, bewusst gegen Profit und Sparpolitik agieren, stehen auf der anderen Seite! Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Es gibt keinen Mittelweg! Es gibt keine dritte Alternative!
Österreich
Auch hierzulande reicht es immer mehr und mehr Menschen vollkommen. Sie haben keine Jobs mehr. Sie verdienen nicht genug für ein menschenwürdiges Leben. Die Sozialleistungen werden gekürzt und/oder abgebaut. Im sechstreichsten Land der Welt leben 1,2 Millionen armuts- und/oder ausgrenzungsgefährdet, während die Vermögen immer schneller und schneller anwachsen. Sie sagen: Damit muss Schluss sein!
Jene Parteien, die damit nicht Schluss machen, wählen sie nicht mehr. Das ist auch der Grund für die massive politische Schwächung der SPÖ und indirekt den Aufstieg der FPÖ. Die SPÖ wird von Wahl zu Wahl von weniger Menschen gewählt, während die FPÖ kaum Stimmen verliert oder sogar ein paar Stimmen gewinnt. Das führt natürlich dazu, dass sie prozentuell immer stärker wird. Verwundern darf uns das nicht. Wer wählt schon das kleinere Übel? Wer wählt schon eine Partei, der der Mut fehlt, und die keine Hoffnung gibt?
Über kurz oder lang wird sich auch in Österreich die Frage nach einer linken Alternative stellen. Aufgrund der Tatsache, dass es mit Ausnahme historischer Sondersituationen keine zweite linke Partei von Bedeutung gab und dass in der Sozialdemokratie in Folge der traumatischen Erlebnisse des Februar 1934 und des Faschismus ein Einheitsfetisch herrscht, stellten sich hierzulande aber besondere Herausforderungen.
Dass rechtzeitig aus den bestehenden linken Gruppen und Grüppchen ein linkes Projekt entstehen kann, um der grassierenden Sparpolitik auf Kosten der Menschen Einhalt zu gebieten, ist nahezu auszuschließen. Was viele heute übersehen, ist nämlich, dass der kometenhafte Aufstieg der SYRIZA fast ein Vierteljahrhundert geduldiger Vorarbeit gebraucht hat, in welchem immer mehr und mehr AktivistInnen gesammelt wurden und die Partei (wenn auch unter anderem Namen) in zahlreichen sozialen Bewegungen aktiv war. Als sich alle anderen Parteien dem Spardiktat der Troika bedingungslos unterordneten war SYRIZA bereit, hatte ein politische Linie, ein Programm, zahlreiche AktivistInnen und funktionierende Parteistrukturen. Dafür ist es in Österreich zu spät.
Eine Möglichkeit, die nicht ausgeschlossen werden kann, ist es, dass wie in Spanien aus sozialen Bewegungen innerhalb relativ kurzer Zeit eine neue politische Kraft entsteht. Auch wenn Österreich nicht gerade das Land der sozialen Massenbewegungen ist, so ist doch offensichtlich, dass es ein Land ist, in dem solche sehr schnell entstehen können. Und dann fegen sie gleich wie ein Sturm durchs Land. Die Jahre 1918/1919, 1945 und auch die Bewegung gegen die schwarzblaue Regierung sind ein deutliche Beleg dafür. Bisher sind diese Bewegungen immer den letzten entscheidenden Schritt nicht gegangen. Doch das muss nicht immer so bleiben.
Schließlich darf auch die SPÖ nicht vergessen werden. Das Murren an der Parteibasis wir immer lauter. Daran werden auch die Schönrederei der Parteispitze und billige Polemiken in Form von Eulerrollen nichts ändern. Offensichtlich ist die Parteispitze derzeit unfähign die Zeichen der Zeit zu erkennen, und entsprechende politische Schlussfolgerungen zu ziehen. Eine linke Wende wird also nur möglich sein, wenn die Basis sich ihre Partei zurückholt, eine neues Programm, eine neue politische Praxis mit Beteiligung an sozialen Bewegungen und Arbeitskämpfen entwickelt und die Parteispitze ersetzt.
In Anbetracht des Unmuts weiter Teile der Basis über den rotblauen Tabubruch im Burgendland kann derzeit aber auch eine Spaltung der Partei nicht mehr ausgeschlossen werden – gerade wenn es in Wien zu einem Wahldebakel kommt. Und dann gäbe es den Kristallisationskern für eine neue linke Partei, der bisher aufgrund des Fehlens einer zweiten Massenkraft in der ArbeiterInnenbewegung fehlt.
Ob ein neues linkes Projekt Erfolg haben kann wird von mehreren Faktoren abhängen: Es braucht Mut. Es braucht Ehrlichkeit. Es muss von aller Anfang an zutiefst transparent, unbürokratisch und demokratisch sein. Es muss mit dem Vorsitzendenkult brechen – am besten indem es nur mehr kollektive Führungsstrukturen gibt. Es muss Sachzwänge und Notwendigkeiten ablehnen und für die Menschen eintreten. Und schließlich muss es den Kapitalismus in Frage stellen. Das jedoch geht nur, wenn sich ein solches Projekt von Anfang an auf die ArbeiterInnenklasse, und nur diese, stützt. Jeder Versuch, eine linke Alternative zu schaffen, die versucht, es allen recht zu machen, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Denn wer es allen recht machen will, kann es keiner/m recht machen. Und genau das unterscheidet SYRIZA von vielen anderen Parteien – sie macht es der breiten Masse recht, nicht aber der Troika. Das ist für viele andere sich links nennende Parteien ein leuchtendes Vorbild.
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