Donnerstag, 26. Oktober 2017

Privatisierung und Ausgliederung heute: Die Ursachen

Gegen Ende der Regierung Schüssel habe ich mit anderen GenossInnen begonnen, eine Broschüre zum Thema Ausgliederung und Privatisierung zu erstellen. Aus diesem Projekt ist dann nichts geworden. Nachdem unter der voraussichtlich auf uns zukommenden schwarzblauen Bundesregierung eine neue Welle der Privatisierung auf uns zurollen wird, möchte ich euch nun aber die damals von mir erarbeiteten Teile in leicht überarbeiteter Form zur Verfügung stellen.

New Economy?


In den letzten Jahren sind zahlreiche neue Begriffe zur Charakterisierung der heutigen Produktionsweise kreiert worden: New Economy, Neoliberalismus, postindustrielles Zeitalter, Globalisierung, um nur einige zu nennen. Tatsächlich handelt es sich dabei aber um alten Wein in neuen Schläuchen. Die Gesellschaft, in der wir leben, und damit auch die Art und Weise, wie die Arbeitswelt funktioniert, ist noch immer kapitalistisch; genau genommen handelt es sich dabei um "Imperialismus, das höchste (und letzte) Stadium des Kapitalismus", wie es Lenin in seinem gleichnamigen Klassiker von 1917 so treffend bezeichnet hat.

Daran ändert auch das Internet nichts, ebenso wenig wie die zunehmende Verlagerung der Arbeitskraft aus der Produktion in die Dienstleistung oder all die anderen Argumente, welche die ProphetInnen des Endes der Geschichte à la Francis Fukuyama dafür ins Treffen geführt haben, dass der Klassenkampf und mit ihm der Kapitalismus an ihr Ende gelangt seien und die Welt in ein harmonisches Zeitalter für alle eingetreten sei. Die Zunahme von Klassenkämpfen in Österreich und international, die Terroranschläge in New York, Istanbul, London usw., der Krieg gegen den Terror, die sog. Antiglobalisierungsbewegung, die aktuellen Streikwellen in einer Vielzahl von Ländern – sie alle beweisen das Gegenteil.

Sicherlich: Viele der konkreten Entwicklungen des heutigen Kapitalismus konnten von den marxistischen KlassikerInnen nicht vorausgesehen werden. Die Grundtendenzen, welche Lenin in seinem o.g. Klassiker beschreiben hat, bestehen aber noch immer:
  1. Konzentration und Zentralisierung der Produktion bzw. fortschreitende Monopolisierung (vgl. dazu nur die seit Jahren durch die bürgerlichen Massenmedien geisternden Fusionen von Wirtschaftsunternehmen, multinationale Konzerne),
  2. die Verschmelzung von Finanz- und Industriekapital (die zunehmende Beteiligung von Banken an Produktionsbetrieben spricht hier Bände),
  3. der rasant steigende Kapitalexport und die damit zunehmende wirtschaftlicher Unterordnung eines Großteils der Welt unter die Interessen einiger weniger imperialistischer Nationen sowie
  4. die steigende Bedeutung des spekulativen im Verhältnis zum produktiven Kapital.

Internationalisierung der Produktion


Schon sehr früh hat die internationale ArbeiterInnenbewegung erkannt, dass die Internationalisierung des Kapitals eines der Kernelemente seiner Wirtschaftsweise, des Kapitalismus, ist. Bereits im ersten Hauptwerk des Marxismus, im Kommunistischen Manifest von 1847 schrieben Marx und Engels:
"Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. … Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Verhältnisse, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse … werden aufgelöst, … Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen." (MEW 4: 465)
In der Tat war die Weltwirtschaft noch nie so international wie heute; die Formen der Internationalisierung haben sich allerdings stark verändert.

Aber auch jene, welche für die Internationalisierung sorgen, sind nicht mehr die Gleichen wie noch vor einigen Jahrzehnten.
"Die Agenten der wirtschaftlichen Integration haben sich in ihrer Form geändert. In der Ära vor 1914 war der Großteil der überseeischen Investitionen Portfolio-Investitionen (z.B. Anlagen in Wechsel), wo der/die InvestorIn weniger als 10% des ausländischen Unternehmens besaß und wo die Investitionen oft spekulativen Charakter hatten, während Direktinvestitionen vornehmlich im Eisenbahnsektor und im extraktiven und primären Sektor wie Ackerbau und Bergbau stattfanden. Vor 1914 gab es maximal einige hundert transnationale Konzerne. Heute gibt es rund 40.000 und sie investieren in jede vorstellbare Produktions- und Dienstleistungssparte." (Moody, Kim(1997): Workers in a Lean World, 48 – Eigenübersetzung)
Diese Veränderung ging auch mit einer grundlegenden Veränderung der Produktionsorganisation einher. Wie z.B. alle Beschäftigten bei DaimlerChrysler, Volkswagen oder irgend einem anderen multinationalen Konzern wissen, ist auch die Produktion mittlerweile internationalisiert.

Internationalisierung bedeutet heute im Regelfall nämlich nicht mehr den Zukauf einer weiteren Fabrik oder den Aufbau einer zusätzlichen Produktionsanlage zur Erweiterung der Produktionskapazität bzw. der Bedienung des jeweiligen nationalen Marktes, in welchem dies passiert. Vor wenigen Jahrzehnten war das noch so. Dementsprechend wurden damals auch Teile, Vor- und Halbprodukte von nationalen Zulieferfirmen zugekauft. Ein direkter Austausch von Produkten bzw. Produktteilen zwischen den verschiedenen Produktionsstandorten in den unterschiedlichen Ländern hat in der Regel nicht statt gefunden. Jede Ware wurde also mehr oder weniger an einem Ort oder zumindest in einem Land hergestellt.

Das ist heute komplett anders. Ursache dafür sind einerseits Weiterentwicklungen in der Mikroelektronik, welche die technischen Voraussetzung für die Verkürzung von Kommunikations- und Transportwegen waren, und andererseits Veränderungen in der Struktur des Kapitals bzw. der Einzelkapitalien.

Damit gehen massive Veränderungen in der sog. Fertigungstiefe vor sich. Diese wird immer geringer. Ein immer kleinerer Teil der eigentlichen Produktion findet in einem Unternehmen statt, ein immer größerer Teil wird an Zulieferunternehmen ausgelagert. Der formal produzierende Konzern, unter dessen Namen das Produkt auch verkauft wird, konzentriert sich mehr oder weniger auf die Zusammenstellung (assembling) des Endprodukts. Hinzu kommt, dass dieser Prozess auch bei den Zulieferindustrien stattfindet.

Eine solche Auslagerung findet aber nicht nur im Produktionssektor statt, sondern auch unproduktive Arbeiten (Reinigung, Buchhaltung, Verrechnung, Lagerhaltung, usw.) sowie Entwicklungsabteilungen werden ebenfalls ausgelagert. Oft werden zunächst all diese Bereiche zu sogenannten Profitcentern, müssen sich der Konkurrenz externer AnbieterInnen stellen, werden dann ausgelagert bzw. im öffentlichen Bereich privatisiert. Oftmals gibt es auch für dieselbe Aufgabe mehrere solcher Profitcenter innerhalb eines Betriebes, sodass es zu innerbetrieblicher Konkurrenz kommt und die Beschäftigten durch ihre Leistung selbst über die Höhe ihrer Löhne bzw. die (Un-)Sicherheit ihres Arbeitsplatzes 'entscheiden' können.

Letztlich werden sämtliche Konzernteile, Abteilungen usw. in solche Profitcenter umgewandelt, die bestimmte Kostenvorgaben erfüllen müssen. Schaffen sie das nicht, kommt es zu Umstrukturierung oder Verkauf. Überall dort, wo heute von Kostenträgern und Kostenstellen die Rede ist, ist der Weg zu einem solchen Profitcenter nicht mehr weit, auch wenn vielleicht der dafür verwendete Begriff ein anderer sein mag. Und das gilt auch für den öffentlichen Bereich und Non-Profit-Organisationen.

Der Begriff, der heute für die Zusammenfassung eines solchen Konglomerates unterschiedlicher Bestandteile innerhalb eines Unternehmens verwendet wird ist die "modulare Fabrik". In der Praxis können wir uns das folgendermaßen vorstellen:
"In der modernen Fabrik tritt der Unternehmer nur noch auf als Organisator und Koordinator eines Endmontageprozesses. Alle Teilezuliefer- und Dienstleistungsfunktionen kommen von eigenständigen Unternehmen, logistisch optimal auf dem Werksgelände um die 'eigene' Produktion angeordnet." (Tom Alder: Restrukturierungsprozesse in der Automobilindustrie, in: Redaktion Sozialismus/Redaktion express(Hrsg.)(1999): Perspektiven der Gewerkschaftslinken, 30)
Keineswegs darf diese Entwicklung damit verwechselt werden, dass die Betriebe kleiner werden. Im Gegenteil! Die Konzerne werden kontinuierlich größer, erleben einen gigantischen Konzentrations-, vor allem aber Zentralisierungsprozesse im internationalen Maßstab. Dieser Prozess ist mit einer Konzentration auf das Kerngeschäft verbunden, um WeltmarktführerIn in bestimmten Sparten zu bleiben oder zu werden. Gleichzeitig werden andere Unternehmensteile abgestoßen. Für die Beschäftigten am einzelnen Produktionsstandort oder im ausgelagerten Betrieb erscheint es allerdings so, als würden sie in immer kleineren Betrieben arbeiten, die immer noch und noch kleiner werden. Dieser Eindruck wird zusätzlich durch den dramatisch zunehmende Einsatz von Leiharbeitsfirmen oder Scheinselbständigkeit, und damit KollegInnen in unsicheren Arbeitsverhältnissen, verstärkt. Bei vielen Beschäftigten entsteht dadurch der Eindruck, dass kaum noch jemand in derselben Firma arbeitet. Ein konkretes Beispiel dafür in Österreich ist die ÖBB, die mittlerweile aus nahezu hundert Einzelfirmen besteht. Oft geht mensch nur ins nächste Büro ein Zimmer weiter, um die Kollegin was zu fragen, und ist schon in einer anderen Firma …

Diese Verkleinerung der formalrechtlichen Betriebsstrukturen zeigt sich auf der anderen Seite der Medaille durch eine gigantische Zentralisation des Kapitals – und zwar in allen Bereichen der Volkswirtschaft.

Der Konzern als Organisator und Koordinator des Produktionsprozesses ist an sich nichts Neues. In der Tat ist die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit, die in jedem kooperativen Arbeitsprozess zum Tragen kommt, immer schon als Produktivkraft des Kapitals dargestellt worden.

Aber die konkrete Form, in welcher diese Funktion ausgeübt wird, hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert. Was jahrzehntelang innerhalb einer Fabrik stattfand und planmäßig aufeinander abgestimmt war, ohne dass Kauf und Verkauf dazwischen traten, wird nun in einer Fülle unterschiedlicher 'Unternehmen' erledigt, und zwar noch viel planmäßiger als früher, was einmal mehr beweist, dass der Gegensatz von Markt und Planwirtschaft ein künstlich konstruierter, eine ideologische Schimäre des Kapitals ist, die Planwirtschaft immer mehr und mehr zu Realität des modernen Kapitalismus wird, aber eben nur innerhalb eines Konzerns. Anders wäre das bei der heutigen weltweiten Arbeitsteilung auch gar nicht möglich! Neu ist allerdings, dass zwischen den verschiedenen Produktionsschritten, zwischen den einzelnen Profitcentern Handel stattfindet, also ver- und gekauft wird. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass heute über 80% des Welthandels innerhalb von Unternehmen statt findet.

Dass dieser Prozess reibungslos abläuft, Lieferzeiten eingehalten werden und die Produktqualität stimmt, setzt Produktion in enormer Größe in allen Bereichen voraus. Diese Erfordernisse der Organisation der gesamten Produktionsprozesses beschleunigen ihrerseits den weiteren Zentralisationsprozess des Kapitals enorm. Besonders verschärft tritt dieser folglich in jenen Branchen auf, die unter weltweiter Überproduktion leiden. Die Konkurrenz zwischen den Einzelkapitalen wird in diesem Fall in der Form von Preiswettkämpfen ausgetragen, was wiederum die Tendenz zur Übernahme oder Fusion beschleunigt. Zunehmende Monopolisierung ist die Folge.

Für die Lohnabhängigen hat das bedeutende Konsequenzen. Obwohl scheinbar die Betriebe immer kleiner werden, werden in Wirklichkeit die Arbeitsbedingungen an den verschiedenen Standorten immer ähnlicher. Die Standortkonkurrenz zwischen den Profitcentern führt zur Angleichung der Arbeits- und Ausbeutungsbedingungen und zur immer rascheren Restrukturierung des Produktionsprozesses gemäß der profitträchtigsten Organisationsform.

Dadurch wurden Bedingungen geschaffen, die es ermöglichen, die Produktionskosten eines Stücks der Ware X in Österreich, Polen, Südkorea und China zu vergleichen. Die Produktionsbedingungen sind nämlich nahezu überall identisch. In dieser Hinsicht ist der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts tatsächlich internationaler als je zuvor.

Die Internationalisierung des Kapitals ändert aber nichts daran, dass es nach wie vor eine internationale Arbeitsteilung gibt, verbunden mit einer imperialistischen Ausplünderung der Halbkolonien, der sog. Dritten Welt. In diesem Rahmen werden zwar die Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen eines multinationalen Konzerns über die Landes- und Kontinentalgrenzen hinweg angeglichen, keineswegs aber die Löhne und schon gar nicht die Lebensverhältnisse. Schließlich bleiben auch die Unternehmen (fast) immer im Besitz von KapitalistInnen aus imperialistischen Ländern, deren Anteil am Reichtum der Halbkolonien immer mehr und mehr steigt.

Die Veränderungen in der Organisation der Produktion verändern auch Teile der Form künftiger Arbeitskämpfe. Einerseits hat die Lahmlegung der Produktion in einem Glied der Produktionskette raschere und direktere Auswirkungen auf die gesamte restliche Kette, in einem Land und international. Andererseits werden die Beschäftigten in verschiedenen Ländern und an verschiedenen Standorten viel direkter gegeneinander ausgespielt.

Das zeigt sich auch daran, dass die angebliche Veränderung in den Hierarchien, 'neue' Arbeitsformen wie Gruppen- und Teamarbeit zwar noch dem Begriff nach bestehen, in der Praxis aber schon längst wieder zum alten Eisen gehören.
"Es ist auch wert, sich daran zu erinnern, dass die meisten Techniken, die mit dem 'Fordismus' assoziiert werden, insbesondere das arbeitsintensive Fließband, und das damit Hand in Hand gehende 'wissenschaftliche Management' zur genauen Zeit- und Bewegungsmessung für bestimmte Tätigkeiten heute noch immer eingesetzt werden – sei es in Toyota City oder in Eisenach, BRD. Tatsächlich hat sich die einzige wirklich 'postfordistische' Fabrik der Welt, die ausschließlich auf Gruppenarbeit basierende Volvo-Produktionsstätte im schwedischen Uddevalla, als nicht konkurrenzfähig erwiesen und wurde 1993 nach nur vierjähriger Betriebsdauer geschlossen." (Moody, Kim(1997): Workers in a Lean World, 86 – Eigenübersetzung)
An anderer Stelle wird der selbe Autor noch deutlicher:
"Obwohl der Großteil der populärwissenschaftlichen Literatur die Rolle von Teams und die Beteiligung der ArbeiterInnen an Entscheidungsstrukturen hervorhebt, sind die grundlegenden Methoden zur Reduzierung der Zeit jene des klassischen Taylorismus und des 'wissenschaftlichen Managements' – egal ob in Japan, Nordamerika oder Europa. Die Vorstellung, dass Toyota oder sonst jemand die grundlegenden Elemente des Taylorismus abgeschafft hätte, beruht schlichtweg auf einem Missverständnis. In Wirklichkeit werden Arbeitsaufgaben mit denselben Zeit- und Bewegungsmessinstrumenten immer wieder aufs Neue gestoppt, immer wieder neu strukturiert. Die Reduzierung der Arbeitszeit zur Herstellung eines Produkts betrifft nicht nur Tätigkeiten, die keinen Wert zusetzen, sondern auch die Eliminierung der Ruhezeit von ArbeiterInnen, die wertschaffende Arbeit verrichten. So werden Pausen auf das absolute Minimum reduziert und die 'Poren' der Arbeitszeit gestopft. Während die ArbeiterInnen an den alten GM-Fließbändern (wenn sie liefen) 45 Sekunden pro Minute in Bewegung waren, arbeiten die Beschäftigten von NUMMI in Kalifornien heute 57 Sekunden je Minute. Ebenso wenig ist die Tatsache, dass ArbeiterInnen an diesem Prozess zur Verdichtung der Arbeit teilhaben, ein Unterschied zum Taylorismus. Vielmehr hat Taylor selbst im 'wissenschaftlichen Management' auf die Erfordernis hingewiesen, 'dass auf Seite des Managements bewusst die große Masse des traditionellen Wissens gesammelt werden muss, die früher bei den Arbeitenden konzentriert war'." (ebda., 88)
Klar wird damit auch, dass alle Märchen vom Verschwinden der ArbeiterInnenklasse nichts anders sind als Lügen der LakaInnen und Lohnschreiberlinge der Bourgeoisie in Wissenschaft und Massenmedien.

Im Zusammenhang mit der zunehmenden Internationalisierung der Produktion, der Aufteilung verschiedener Produktionsschritte auf unterschiedliche Länder, die auch dazu gedacht ist, nicht nur billiger zu produzieren, sondern auch die Belegschaften auseinander zu dividieren, stellen sich aber auch interessante Fragen: Entstehen hier nicht auch Chancen für eine wirkliche Internationalisierung der Kämpfe? Wenn die Angriffe immer offensichtlicher von den gleichen Zentralen ausgehen, kann das nicht auch den Widerstand stärker zusammenfassen?

Heute allerdings antworten die Gewerkschaftsführungen darauf noch mit Nationalismus Branchen- und Betriebsborniertheit. Dem müssen wir dringend sofort die Forderung nach  einheitlichen Mindeststandards für Löhne, Arbeitszeiten und -bedingungen innerhalb eines Konzerns, aber auch in der EU insgesamt entgegenzustellen. Letztlich braucht es in allen Branchen internationale Kollektivverträge, wie es sie etwa schon für MatrosInnen gibt.

Österreich könnte hier eine wichtige VorreiterInnenrolle spielen, haben doch hierzulande die Betriebsratskörperschaften auf Grund des Arbeitsverfassungsgesetzes Rechte, wie sie in den meisten Ländern der Welt (außer Deutschland und vielleicht noch Skandinavien) nur erträumt werden können. Genau deswegen ist eines der Ziele von Privatisierungen und Ausgliederungen im öffentlichen Bereich auch, die hier sehr starken Personalvertretungen zu schwächen. Diese verhindern nämlich die uneingeschränkte Herrschaft des Unternehmers Staat, Bundeland oder Gemeinde im Betrieb.

Angriff auf die Belegschaftsvertretung


Ein wesentlicher Faktor bei diesen Angriffen auf die Belegschaftsvertretungen sind Ausgliederungen von Betriebsteilen und deren Aufteilung in Einzelbetriebe. Durch diese Maßnahmen wird die Zuständigkeit von Vertretungskörperschaften aufgehoben, neue Betriebsratskörperschaften müssen erst gebildet werden, erreichtes Arbeitsrecht (Kollektivverträge, Betriebsvereinbarungen, …) wird obsolet.

Der Einsatz von Subunternehmen und Fremdfirmen auf dem Betriebsgelände, von LeiharbeiterInnen, von scheinbar privaten Unternehmen im öffentlichen Besitz (z.B. die magistratischen Betriebe in Wien) führen dazu, dass immer mehr Beschäftigte innerhalb eines Betriebs nicht mehr von der (gleichen) Belegschaftsvertretung erfasst und teilweise sogar in andere Gewerkschaften zugeordnet werden. Eine Belegschaft wird damit gespalten, viele Betriebsratskörperschaften werden folglich zuständig und oft auch mehrere Gewerkschaften. So wird die Einheitlichkeit der Interessenvertretung entsprechend des altrömischen Teile und Herrsche verunmöglicht. Dem kann nur die traditionelle Forderung der ArbeiterInnenbewegung entgegen gestellt werden: Ein Betrieb – ein Betriebsrat – eine Gewerkschaft – ein Kollektivvertrag.

Oftmals werden Ausgliederungen oder Privatisierungen auch mit den Erfordernissen neuer Produktionstechnologien und dementsprechend neuer Beschäftigtengruppen argumentiert. In diesen neu entstandenen Bereichen der Wirtschaft waren Gewerkschaften und Betriebsräte zunächst nicht existent. Diese Firmen entstanden aus Kleinfirmen, wurden aus Konzernen ausgegliedert oder orientierten sich als Niederlassungen amerikanischer oder japanischer Konzerne an deren Standards.

Stolz verkündeten die IdeologInnen der Internetökonomie, dass die Arbeitsbedingungen in diesen Betrieben so gut wären, die Karrierechancen so groß seien, dass ja die Beschäftigten selbst weder Gewerkschaften noch Betriebsräte wollen, da sie alle selbst für sich eintreten. Dementsprechend verunsichert reagierten die Gewerkschaftsführungen.

Das Gleiche passierte zunächst auch in jenen Bereichen des (ehemals) öffentlichen Sektors, welche entlang dieser Linien privatwirtschaftlich organisiert und später zumeist ausgegliedert oder gar privatisiert wurden.

Auf der anderen Seite zeigen Beispiele aus den USA, Schottland (Callcenter-Agents) und Frankreich (McDonalds), dass auch diese "neuen Schichten" organisierbar sind, auch wenn die Beschäftigten nicht alle in der gleichen Werkshalle zum gleichen Lohn und zur gleichen Zeit arbeiten. Die UPS-Beschäftigten und jene bei Verizon in den USA haben gezeigt, dass bei den klassischen Themen Arbeitszeit, Lohn und Arbeitsbedingungen auch heute kein Weg an der kollektiven Organisierung der Arbeitskraft und den traditionellen Organisationsformen der ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften) vorbei führt. Noch dazu gibt es heute einen Vorteil, den die BegründerInnen der ArbeiterInnenbewegung nicht hatten: Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen eine bessere und schnellere Koordination von Aktionen. Die Streikaktionen bei der österreichischen AUA etwa wurden großteils über SMS organisiert. Und das Lahmlegen der firmeninternen Kommunikationsnetzwerke trifft die UnternehmerInnen, wo eingesetzt, an einem empfindlichen Punkt. Hier sind sie verwundbarer geworden, genauso wie in der immer ausgeklügelteren Logistik der weltweiten Produktionsverbünde.

Tendenzieller Fall der Profitrate


Durch Fremdvergabe von Tätigkeiten, die zuvor von zum Betrieb gehörenden Beschäftigten ausgeführt wurden, können diese aus dem Rahmen der in der Stammbelegschaft gültigen Arbeitsbedingungen fallen. Dies kann sowohl Dienstleistungen wie Kantine, Transportwesen oder Instandhaltung betreffen, als auch bestimmte Produktionsabläufe und Teilproduktionen, die als nicht mehr zum Kerngeschäft gehörend deklariert werden.

Fremdvergaben, Ausgliederungen und Privatisierungen haben innerhalb der Profitlogik immer ein Ziel: Verbilligung der Produktion. Dadurch soll der Gewinn, oder in klassischer Begrifflichkeit der Profit, gesteigert werden. Schon in seinem Hauptwerk "Das Kapital" hat Karl Marx nachgewiesen, dass zwar das Streben nach immer mehr Profit das eigentliche Ziel der individuellen KapitalistInnen ist, diese Triebfeder aber über die Profitrate vermittelt wird. Nicht also die absolute Höhe zählt, sondern das Verhältnis von Profit zum gesamten eingesetzten Kapital. Die eigentlichen Erfolgsfaktoren für Unternehmen haben sich also in den letzten 150 Jahren in Wirklichkeit nicht geändert.

Die Profitrate ihrerseits hängt im Wesentlichen von der Ausbeutungsrate ab – der sogenannten Mehrwertrate; und dabei handelt es sich um nichts anderes als um das Verhältnis der Kosten für menschliche Arbeit zu den restlichen Produktionskosten (Verhältnis variables zu konstantes Kapital). Selbstverständlich gibt es dabei auch einen Zusammenhang mit der Produktivität, welche v.a. über den Einsatz zusätzlichen konstanten Kapitals (z.B. verstärkter Einsatz neuer Technologien) vermittelt über eine Beschleunigung und Intensivierung der Arbeit die Kosten für Arbeitskraft senken kann.

Und hier beginnt der Teufelskreislauf. Einerseits muss das einzelne Unternehmen die Produktionskosten senken, um mehr Profit machen zu können. Dazu muss relativ gesehen weniger oder billigere Arbeitskraft eingesetzt werden. Dadurch wiederum sinkt der Wert der produzierten Waren, da dieser nur von menschlicher Arbeit geschaffen werden kann. Die Profitrate sinkt folglich. Andere Unternehmen ziehen nach, um in der Konkurrenz nicht zu unterliegen. Um sodann als Einzelunternehmen wiederum in der Konkurrenz mit anderen Firmen bestehen zu können, einen höheren Profit als diese erzielen zu können, ist es erforderlich, erneut Arbeit durch Technologie zu ersetzen und die Spirale dreht sich schon wieder und weiter und weiter und weiter … Die Profitrate sinkt erneut. Und genau darum spricht Karl Marx auch vom Gesetz des tendenziellen Falls der Profitraten, weil nahezu jeder Versuch des Kapitals, diese zu steigern, zu ihrer erneuten Verringerung führt.

Die Profitrate ist heute sogar eher noch wichtiger geworden, da der verschärfte internationale Wettbewerb die verschiedenen KapitalbesitzerInnen dazu zwingt, eine bestimmte Profitrate zu erreichen und nicht nur einfach profitabel zu wirtschaften. Im anderen Fall wird dieses Kapital vernichtet – durch Übernahme, Konkurs oder Schließung. Umgekehrt ist zum Beispiel Flexibilität und der Druck zur Flexibilität eine Tatsache für das Kapital, weil die Unternehmen bei einem flexiblen Einsatz der Arbeitskraft, diese besser ausbeuten können.

Verwertungskrise des Kapitals und der scheinbare Ausweg


Viele Unternehmen können in ihren Kernarbeitsbereichen also keine ausreichende durchschnittliche Profitrate mehr erreichen. Um diese im gesamten Unternehmen zu erhöhen, müssen neue, profitablere Verwertungsmöglichkeiten für das überschüssige Kapital gefunden werden.

Dazu bieten sich zwei Möglichkeiten an. 1. die Übernahme oder Verdrängung von unprofitablen KonkurentInnen zur Erhöhung der durchschnittlichen Profitrate in der jeweiligen Branche oder aber 2. die Investition in andere Branchen, wo höhere Profite möglich sind. Und hier kommen wir zu Lenin zurück. Wie dieser bereits 1917 festgestellt hat, kommt es zu einer zunehmenden Verschmelzung von produktivem und Finanzkapital. Diese kann in zwei Richtungen vor sich gehen. In den Jahren von 1945 bis Ende der 1970er haben wir in der Phase eines nahezu durchgängigen Wirtschaftsaufschwungs die fortgesetzte zunehmende Beteiligung von Banken an Wirtschaftsunternehmen erlebt. Seit dieser Zeit hat aber die Bedeutung des Finanzkapitals enorm zugenommen, was sich an der enormen Zunahme spekulativer Investitionen zeigt.

Seither sehen wir den umgekehrten Prozess, wo sich Industriebetriebe zunehmend an Finanzinstitutionen beteiligen, um die hier möglichen höheren Profitraten lukrieren zu können. Pensionsversicherungen, Fonds, Banken und anderes stehen seither auf dem Speisezettel der multinationalen Konzerne. Aber auch dieser Markt ist nicht unerschöpflich.

Seit den späten 1980ern hat daher das Kapital eine neue Anlagemöglichkeit gefunden. Zuvor öffentliche Bereiche (verstaatlichte Betriebe) wurden als neue Investitionsmöglichkeit innerhalb der Branche entdeckt. Doch dieses Potenzial zur zeitweiligen Erhöhung der Profitrate war schnell ausgeschöpft, gab es doch weltweit nur sehr wenige staatliche Betriebe. Das ist einer der Gründe, warum heute der sog. Non-Profit-Bereich zunehmen dem Profitkriterium unterworfen wird. Wenn etwa Flüchtlingseinrichtungen wie in Traiskirchen (durch die ORS) oder Pflegeeinrichtungen für die EigentümerInnen fette Profite abwerfen, zeigt das, wohin die Reise gehen wird. Teilweise gibt es schon richtig gehende Sozialmultis. Die Senecura mit Sitz in Frankreich etwa betreibt europaweit mittlerweile über 50.000 Pflegebetten!

Und dann kam die neue goldene Ära. Mit dem Fall der bürokratischen Planwirtschaften nach 1989 konnte sich das Kapital einverleiben, auf was es schon lange gierig gestarrt hatte. Lenin hatte bereits davon geschrieben, dass sich der Imperialismus auch dadurch auszeichnet, dass er zunehmend die ganze Welt dem Profitkriterium unterordnet, bis schließlich auch der letzte Winkel der Welt nur mehr der Jagd nach Profit und immer mehr Profit dient. Doch konnte auch diese neue Möglichkeit, v.a. auch da die Staatsbetriebe der sog. degenerierten ArbeiterInnenstaaten nicht besonders modern und damit unprofitabel waren, das rasante Sinken der Profitrate in den letzten Jahrzehnten nicht lange aufhalten. Zwar wurden einige unprofitable Konkurrenzbetriebe aus dem Markt gestoßen, geschlossen, vernichtet, was den Nebeneffekt hatte, die Arbeitslosigkeit enorm zu steigern und neue Migrationsströme zusätzlicher billiger Arbeitskraft in die imperialistischen Zentren auszulösen, wodurch der Druck auf die Lohnabhängigen hier enorm erhöht wurde; doch auch die dadurch erreichte Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und die damit verbundene Verbilligung der Ware Arbeitskraft konnten die unersättliche Profitgier des Kapitals nicht stillen. Sie reichten nicht aus, die Profitrate dauerhaft zu stabilisieren.

Auch die vom Zaun gebrochenen Kriege in Jugoslawien, Afghanistan, Irak usw. waren in Anbetracht der enormen Verwertungskrise des Kapitals nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und in Anbetracht dessen, musste sich das Kapital erneut auf die Suche nach profitablen neuen Anlageformen machen. Ins Visier kamen nun die Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge: Sozialversicherungen, Gesundheitsvorsorge, soziale Dienste, Bildung und Kultur. Und in eben dieser Phase der Erschließung von Neuland für die kapitalistische Profitgier befinden wir uns heute. Selbstverständlich ist diese Darstellung eine idealtypische. In der Realität durchdringen und vermischen sich die hier skizzierten Formen der Erschließung von zuvor für das Kapital unerschlossenen Gebieten für den Profit.

Tatsächlich spiegelt sich diese neue Form aber in einer Fülle bürgerlicher Institutionen wider: Von der Wiener Stadtregierung über die schwarzblau(orang)en Bundesregierungen bis zur EU privatisieren alle. Die geplante Unterordnung all der o.g. Bereiche unter den Markt durch die Welthandelsorganisation (WTO) gibt dabei nicht mehr als den Takt vor. Und sie alle marschieren im Rhythmus, den das Kapital vorgibt, ja selbst von den Zyklen der Entwicklung von Profitrate und Kapitalverwertung vorgegeben bekommt.

Krise des Kapitalismus


Aber auch dieses Neuland wird die Krise des Kapitalismus nicht auf Dauer beheben können. Weitere Möglichkeiten werden gefunden werden müssen, neue Formen der Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse installiert. Eine Entwicklung, die sich gerade nach Ausbruch der bis heute ungelösten Überprodkuktionskrise 2007/8 massiv beschleunigt hat.

Tatsächlich aber wird jede dieser neuen Formen die Krise des Kapitalismus nur noch weiter verschärfen. Der tendenzielle Fall der Profitrate wird weitergehen, die Konkurrenz wird schärfer, der  Kampf eines Kapitals gegen das andere muss und wird immer weitere Opfer finden. All die bereits von Lenin analysierten Merkmale des heutigen Wirtschaftssystems (fortschreitende Monopolisierung, zunehmende Verschmelzung von Finanz- und Industriekapital, zunehmende Unterordnung aller Gesellschaftsbereiche unter das Profitkriterium) werden sich weiterhin beschleunigen; wie in einem Hamsterrad laufen die KapitalistInnen immer schneller in die gleiche Richtung, gleich einem Hamster auf Kokain und Speed zur selben Zeit, der nur eine mögliche Laufrichtung sehen kann. Doch damit kann immer nur eine kurzfristige Erholung erreicht werden. Langfristig wird damit die Todeskrise des Kapitalismus, wie es Lenin genannt hat, nur immer mehr und mehr verschlimmert und verschärft. Immer radikalere Maßnahmen werden erforderlich, um sie zeitweilig zum Stillstand zu bringen.

Doch Todeskrise bedeutet nicht, dass dieses System von selbst zusammenbrechen wird. Dazu gibt es noch immer zu viele Auswege, etwa den Arzt am Totenbett des Kapitalismus, den Reformismus und seine VerteidigerInnen innerhalb der ArbeiterInnenbewegung. Wenn wir Lohnabhängigen wollen, dass diese Welt nicht so bleibt, wie sie ist, dass Privatisierung, Arbeitsplatzvernichtung und Sozialabbau – und damit die permanente Verschlechterung unserer Lebensbedingungen – endgültig gestoppt werden, dann müssen wir selbst dafür sorgen und den Kapitalismus ein für alle mal in die Geschichtsbücher verbannen, ihn durch eine Gesellschaft ersetzen, in der Menschen und nicht Profite zählen.

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