Mittwoch, 22. Juni 2016

Die SPÖ und Hainfeld

Der bald neue Vorsitzende der SPÖ Christian Kern hat mittlerweile öfters positiv Bezug auf das Hainfelder Programm genommen. Sinngemäß meinte er, dass darin bereits alles angelegt ist, was die Sozialdemokratie braucht, was von der Tendenz her stimmt. Daher ist diese Aussage auch bei vielen GenossInnen mehr als positiv angekommen – so auch bei mir.

In der Folge setze ich mich daher mit jenen Aspekten dieser sozialdemokratischen Prinzipienerklärung auseinander, die heute noch von Bedeutung sind. Tatsächlich müssen wir dabei in einigen Bereichen hart mit uns selbst ins Gericht gehen, weil die SPÖ in einer Vielzahl von Bereichen Hainfeld alles andere als gerecht wird. Gleichzeitig sind das jene politischen Aspekte, wo es dringend Änderungen in unserer Politik braucht, damit die Sozialdemokratie wieder sozialdemokratisch wird.

Ohne Solidarität und Internationalismus keine Sozialdemokratie!

Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Österreich erstrebt für das gesamte Volk ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechtes die Befreiung aus den Fesseln der ökonomischen Abhängigkeit, die Beseitigung der politischen Rechtlosigkeit und die Erhebung aus der geistigen Verkümmerung.
Gleich der erste Absatz lässt allen prinzipientreuen SozialdemokratInnen das Herz höher schlage. Solidarität, Internationalismus und Antirassismus bekommen eine besondere Bedeutung, indem sie gleich ganz am Anfang erwähnt werden.

Übrigens wird dieses Prinzip später in Grundsatz 1 anderes formuliert wiederholt, was seine besondere Bedeutung unterstreicht.
Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Österreich ist eine internationale Partei, sie verurteilt die Vorrechte der Nationen ebenso wie die der Geburt, des Besitzes und der Abstammung und erklärt, dass der Kampf gegen die Ausbeutung international sein muss wie die Ausbeutung selbst.
Leider sieht die Praxis ganz anders aus. Geschlossene Grenzen, Obergrenzen, Richtwerte oder wie auch immer es formuliert wird, sind mit diesem Prinzip absolut unvereinbar, ebenso wie der Ausschluss von MigrantInnen vom Wahlrecht. Weiters lässt sich aus dieser Formulierung ableiten, dass die politischen Zusammenarbeit mit Parteien, die in diesen Fragen andere Positionen vertreten, keine Option ist. Das gilt heute in Österreich nicht nur für die FPÖ, sondern für alle bürgerlichen Parteien!

Ohne Antikapitalismus keine Sozialdemokratie!

Die Ursache dieses unwürdigen Zustandes ist nicht in einzelnen politischen Einrichtungen zu suchen, sondern in der das Wesen des ganzen Gesellschaftszustandes bedingenden und beherrschenden Tatsache, dass die Arbeitsmittel in den Händen einzelner Besitzender monopolisiert sind. Der Besitzer der Arbeitskraft, die Arbeiterklasse, wird dadurch zum Sklaven der Besitzer der Arbeitsmittel, der Kapitalistenklasse, deren politische und ökonomische Herrschaft im heutigen Staate Ausdruck findet. Der Einzelbesitz an Produktionsmitteln, wie er also politisch den Klassenstaat bedeutet, bedeutet ökonomisch steigende Massenarmut und wachsende Verelendung immer breiterer Volksschichten.
Auch die nächsten beiden Absätze zeigen, wie weit sich die Sozialdemokratie von ihren Wurzeln entfernt hat. Hier wird klar gemacht, dass die Wurzel aller Unterdrückung und Ausbeutung, aller Ungerechtigkeit im Privatbesitz an Produktionsmitteln liegt. Tatsächlich war die SPÖ in den letzten Jahrzehnten immer wieder an Privatisierungen und Ausgliederungen beteiligt bzw. sogar für diese verantwortlich, statt dafür zu sorgen, dass der Anteil des Privateigentums an den Produktionsmitteln immer geringer wird. Gerade aktuell wird auf die besondere Bedeutung von Start ups und Einpersonenunternehmen für die Wirtschaft hingewiesen, obwohl es zahlreiche Belege gibt, dass hier die schlechtesten Arbeitsbedingungen herrschen. Es gibt wohl keinen anderen Bereich, in dem sich die SPÖ weiter von Hainfeld entfernt hat! Nun gilt es eine Trendwende einzuleiten und das herrschende Wirtschafts- bzw. Gesellschaftssystem wieder grundsätzlich in Frage zu stellen.

Ohne ArbeiterInnenklasse keine Sozialdemokratie!

Der Übergang der Arbeitsmittel in den gemeinschaftlichen Besitz der Gesamtheit des arbeitenden Volkes bedeutet also nicht nur die Befreiung der Arbeiterklasse, sondern auch die Erfüllung einer geschichtlich notwendigen Entwicklung. Der Träger dieser Entwicklung kann nur das klassenbewusste und als politische Partei organisierte Proletariat sein.
Während viele in der SPÖ tagein, tagaus vom Mittelstand phantasieren, hat Hainfeld klar gemacht, wer die Basis der Sozialdemokratie ist und für wen diese Politik machen muss: Die arbeitenden Menschen, die Lohnabhängigen, die Armen, Alten, Kranken, Bedürftigen, die Jugend, die MigrantInnen usw. Stattdessen verlieren wir uns darin, zu versuchen, Politik für alle zu machen. Das muss scheitern. Wer es allen recht machen will, wird es niemandem recht machen. Insbesondere wenn der Ausgangspunkt der Überlegungen etwas ist, das es nicht gibt. Was bitte soll der Mittelstand sein? Es gibt viele Menschen, die müssen arbeiten, um leben zu können oder sie sind (insbesondere in Anbetracht der massiv steigenden Arbeitslosigkeit) von Sozialleistungen abhängig, und es gibt einige wenige, die haben genug Geld, um davon leben zu können. Dazwischen gibt es: Nichts!

Das wird später auch in Grundsatz 7 deutlich gemacht, der auch die politischen Schlussfolgerungen daraus zieht.
Die sozialdemokratische Arbeiterpartei wird gegenüber allen wichtigen politischen und ökonomischen Fragen Stellung nehmen, das Klasseninteresse des Proletariats jederzeit vertreten und aller Verdunkelung und Verhüllung der Klassengegensätze sowie der Ausnützung der Arbeiter zu Gunsten von herrschenden Parteien energisch entgegenwirken.
Ohne die Erkenntnis, dass sozialdemokratische Politik parteilich im Sinne der arbeitenden Menschen sein muss, gibt es keine Zukunft für die SPÖ. Wir müssen daher auch die Illusion bekämpfen, dass z.B. Angestellte, neue Selbständige und viele andere Gruppen nicht Teil der ArbeiterInnenklasse sind, bloß weil sie sozialversicherungsrechtlich anders bezeichnet werden. Wer arbeiten muss, um leben zu können – und das müssen all diese Gruppen, ist Teil der ArbeiterInnenklasse!

Ohne freie Meinungsäußerung in der Partei und der gesamten Gesellschaft keine Sozialdemokratie!


Grundsatz 2 macht deutlich, warum wir die aktuelle Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes ebenso wie jede andere Form von Überwachungsstaat ablehnen müssen, da wir genau wissen, dass all das, was heute vorgeblich zur Abwehr des Terrors eingeführt wird, sich morgen gegen die Organisationen der ArbeiterInnnenbewegung wenden kann und wird.
Zur Verbreitung der sozialistischen Ideen wird sie alle Mitteln der Öffentlichen Presse, Vereine, Versammlungen, voll ausnützen und für die Beseitigung aller Fesseln der freien Meinungsäußerung (Ausnahmegesetze, Preß-, Vereins- und Versammlungsgesetze) eintreten.

Ohne Kampf für soziale Verbesserungen und Ausbau der Demokratie keine Sozialdemokratie!

Soll noch innerhalb des Rahmens der heutigen Wirtschaftsordnung das Sinken der Lebenshaltung der Arbeiterklasse, ihre wachsende Verelendung einigermaßen gehemmt werden, so muss eine lückenlose und ehrliche Arbeiterschutzgesetzgebung (weitestgehende Beschränkung der Arbeitszeit, Aufhebung der Kinderarbeit u.s.f.), deren Durchführung unter der Mitkontrolle der Arbeiterschaft, sowie die ungehinderte Organisation der Arbeiter in Fachvereinen, somit volle Koalitionsfreiheit angestrebt werden.
In den letzten Jahren ist es in zahlreichen Branchen zu einer Verlängerung oder Flexibilisierung der Arbeitszeit gekommen, ohne dass wir als Partei etwas dagegen unternommen haben. Beim Sozialabbau machen Mitglieder der SPÖ in Regierungsverantwortung munter mit, wie der sog. Pensionspfad, die de facto Abschaffung der Invaliditätspension oder auch die beschämenden Arbeitsbedingungen im Sozial- und Gesundheitsbereich, der von der öffentlichen Hand bei weitem nicht ausreichend finanziert wird, zeigen. Auf die kompromisslose Ablehnung der Forderungen von Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und diverser angeblicher Forschungsinstitute nach weiterem Sozialabbau, einer Schwächung der Arbeiterkammer und der Abschaffung gewerkschaftlicher bzw. betriebsrätlicher Rechte warten wir vergeblich! Auch daran werden wir gemessen! Und derzeit für zu leicht befunden!

Außerdem verweist dieser Grundsatz gleich zu Anfang darauf, dass es das Ziel der Sozialdemokratie sein muss „diese Wirtschaftsordnung“ – also den Kapitalismus – zu überwerwinden. Auch das ein Prinzip von Hainfeld, das in der politischen Arbeit der Partei nicht mehr vorkommt.

Ohne Ehrlichkeit und klare Worte keine Sozialdemokratie!


In den folgenden beiden Grundsätzen wird kostenlose Bildung für alle, die Trennung von Staat und Kirche, sowie die Abschaffung des Bundesheeres gefordert. Dass diese Forderungen noch nicht umgesetzt sind, liegt an der politischen Dominanz der Bürgerlichen. Das wirkliche Problem der SPÖ besteht aber darin, dass wir diese Forderungen gar nicht mehr erheben, was uns unglaubwürdig macht; und wie in vielen anderen Bereichen schönzureden versuchen, was nicht schöngeredet werden kann. Dadurch verliert die Sozialdemokratie zunehmend an Glaubwürdigkeit.

Ohne Kampf für die Umverteilung von oben nach unten keine Sozialdemokratie!


Grundsatz 8 rückt die Verteilungsfrage, die immer eine Kernthematik der Sozialdemokratie war, in den Mittelpunkt.
Da die indirekten, auf die notwendigen Lebensbedürfnisse gelegten Steuern die Bevölkerung umso stärker belasten, je ärmer sie ist, da sie ein Mittel der Ausbeutung und der Täuschung des arbeitenden Volkes sind, verlangen wir die Beseitigung aller indirekten Steuern und Einführung einer einzigen, direkten, progressiven Einkommenssteuer.
Tatsächlich ist die Mehrwertsteuer die ungerechteste aller Steuern, da sie geringe Einkommen überdurchschnittlich belastet. Weg damit! Her mit echten Vermögenssteuern! Diese Forderung hören wir zwar in leisen Tönen am 1. Mai und auf Parteitagen, in der praktischen Politik sind aber beide abwesend, obwohl zahlreiche Meinungsumfragen eindeutig belegen, dass deutliche Mehrheiten für eine echte und progressive Besteuerung von großem Besitz und Vermögen sind. Hören wir doch endlich wieder auf die Menschen statt auf selbsternannte ExpertInnen im Dienste des Kapitals.

Ohne Hainfeld keine Zukunft für die Sozialdemokratie!


Wir sehen also, dass uns das Hainfelder Programm tatsächlich auch heute noch vieles zu sagen hat. Die Lösungen für viele aktuelle Probleme, sind darin angelegt. Damit hat Genosse Kern also vollkommen recht. Jetzt gilt es dafür zu sorgen, dass die Sozialdemokratie auch tatsächlich wieder für die Umsetzung dieser Forderungen kämpft. Wenn es der neue Bundesparteivorsitzenden mit seinem Bezug auf Hainfeld ernst meint, wird er in der Partei Mehrheiten für diese Positionen finden und so dafür sorgen, dass die SPÖ wieder sozialdemokratisch wird. Daran wird sein Vorsitz gemessen werden! Wenn nicht, wird die Partei wie etwa die PASOK in Griechenland zu einer kleinen Sekte verkommen. Den Preis dafür bezahlen dann aber nicht die SpitzenfunktionärInnen und Mandats- bzw. AmtsträgerInnen der Partei, die es verbockt haben, sondern die arbeitenden Menschen, die Asylsuchenden, die PensionistInnen und viele andere Benachteiligte, die die Unterstützung einer Partei brauchen, die ohne Wenn und Aber auf ihrer Seite steht.

Das gesamte Hainfelder Programm findet sich unter: https://rotbewegt.at/epoche/einst-jetzt/artikel/das-programm-von-hainfeld-1888-1889

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