Freitag, 7. Februar 2020

Die geplante Pensionsreform in Frankreich – ein Frontalangriff auf die arbeitenden Menschen

Seit dem 5. Dezember 2019 demonstrieren und streiken Millionen gegen die geplante Pensionsreform in Frankreich. Macrons Verbindungen zum Finanzkapital und insbesondere zum größten Pensionsfonds der Welt (BlackRock mit einem Börsenwert von 7 Billionen US-Dollar) sind allgemein bekannt und zeigen, wohin die Reise gehen soll.

Entstehung


Das französische Pensionssystem garantiert im internationalen Vergleich relativ hohe Pensionen.
Diese sind durch heftige soziale Auseinandersetzungen und massive Klassenkämpfe erkämpft worden. In seiner jetzigen Form entstand dieses System im Zuge der Etablierung des Sozialversicherungssystems als Folge der revolutionären Welle in Frankreich am bzw. nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Während der Befreiung des Landes hatten die ArbeiterInnen (viele von ihnen ehemalige Mitglieder der Resistance) in vielen großen Betrieben die Kontrolle übernommen. Aus Furcht vor einem Sturz des Kapitalismus mussten die Herrschenden zahlreiche Zugeständnisse machen – eines davon war das Pensionssystem.

Seit 1945 verwaltet die Sozialversicherung die Pensionen aller Beschäftigten des privaten Sektors, aber auch  Familienbeihilfen, Arbeitsunfall- und Invaliditätsleistungen, die Gesundheitsversorgung und die Entgeltfortzahlung bei Krankheit. Im Gegensatz zu Österreich werden die Behandlungskosten bei schweren chronischen Erkrankungen wie Krebs oder Diabetes vollkommen übernommen. Bei anderen Krankheiten werden die Kosten für Arztbesuche zu 70% erstattet.

Grundlagen


Hier gilt es zunächst festzuhalten, dass das Budget der Sozialversicherung (von dem die Pensionen mehr als die Hälfte ausmachen) jenes des Staates bei weitem übersteigt. Ähnlich wie in Österreich handelt es sich bei all diesen Leistungen um eine Pflichtversicherung, die im Umlageverfahren aus Lohnnebenkosten finanziert wird. Die Beiträge jener, die jetzt gerade arbeiten, dienen also z.B. zur Finanzierung der laufend ausbezahlten Pensionen.

Ebenso wie in Österreich spielen daher in Frankreich Pensionsfonds und  private Krankenversicherungen eine untergeordnete Rolle, was dem Finanzkapital ein Dorn im Auge ist, entgehen im dadurch doch jährlich Milliarden an Profiten.

Das wiederum machen sogenannten „kapitalgedeckten“ Systeme (beispielsweise in den USA) möglich, bei welchen jedeR für sich selbst anspart, was aber nicht allen möglich ist, weswegen es in Staaten, wo diese Form der Pensionsversicherung angewendet wird, zahlreiche Menschen gibt, die im wahrsten Sinn des Wortes bis zu ihrem Tod arbeiten. Die Beiträge an solche Pensionsfonds werden dann auf den Finanzmärkten platziert und dienen der Spekulation, was auch dazu führen kann, dass sie durch die Pleite des jeweiligen Unternehmens verloren gehen.

Sondersysteme


Bereits vor 1945 bestanden in Frankreich Pensionssysteme für den öffentlichen Dienst, die danach nicht in das allgemeine Sozialversicherungswesen überführt wurden. Beispiele dafür sind etwa das 1910 eingeführte Pensionssystem der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCF, jenes der öffentlichen Elektrizitätsgesellschaft EDF, der BeamtInnen in der Lokalverwaltung oder der Krankenhausbediensteten. Erste Pensionssysteme, etwa für Matrosen oder die TänzerInnen der Pariser Oper (die seit dem 5. Dezember streiken) wurden bereits im 17. Jahrhundert geschaffen. BeamtInnen des Zentralstaates (LehrerInnen, FinanzbeamtInnen, PolizistInnen, SoldatInnen usw.) verfügen über keine Pensionsversicherung, da ihre Pensionen direkt aus dem Staatshaushalt finanziert werden.

Die Höhe der Pensionen beträgt in all diesen Systemen im Durchschnitt mehr als 70% des letzten Gehalts, so dass die Armutsquote unter PensionistInnen in Frankreich eine der niedrigsten der Welt ist. PensionistInnen können oft sogar ihren in prekären Beschäftigungsverhältnissen darbenden oder arbeitslosen Kindern und Enkeln finanziell unter die Arme greifen. Bis 1993 betrug die Pension im Privatsektor 50% des Durchschnittslohns der 10 Jahre, in denen am Besten verdient wurde. Seither bilden die besten 25 Jahre die Berechnungsgrundlage. BeamtInnen bekommen sogar 75% des durchschnittlichen Gehalts der letzten sechs Monate ihres Arbeitslebens.

Hier sehen wir auch den großen Unterschied zu Österreich, wo seit der Pensionsgegenreform von SchwarzBlau I die Pension auf Basis des gesamten Berufslebens berechnet wird. Folglich führt etwa der Einstieg ins Berufsleben, währenddessen der Lohn meistens niedriger ist, nicht zu einer massiven Verringerung der Pension wie hierzulande.

Gegenreformen


Bis 1993 mussten in Frankreich 37,5 Beitragsjahre nachgewiesen werden und das 60. Lebensjahr erreicht sein, um eine Pension beziehen zu können. Millionen von Beschäftigten in Sondersystemen konnten aufgrund besonders harter Arbeitsbedingungen de facto bereits mit 55 (z.B. Pflegepersonal) oder sogar mit 50 (LokführerInnen oder KanalarbeiterInnen) in Pension gehen. Mittlerweile müssen 41,5 Beitragsjahre nachgewiesen werden, was bis 2035 schrittweise auf 43 Beitragsjahre weiter erhöht werden soll. Ebenso wurde 2010 das gesetzliche Pensionsantrittsalter auf 62 Jahre (und das vorzeitige Antrittsalter auf 52 und 57 Jahre) angehoben.

Jede dieser Gegenreformen zog den erbitterten Widerstand der ArbeiterInnenklasse nach sich: 1995, 2003, 2010, 2014. 1995 musste die Regierung ihren Angriff auf die Sondersysteme nach einem dreiwöchigen Streik sogar wieder abblasen. Manche Regelungen, die zahlreiche Regierungen gerne abschaffen wollten, konnten durch diese Arbeitskämpfe bis heute bewahrt werden. Dazu zählen zwei Jahre, die Frauen pro Kind angerechnet werden, die Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit oder des Krankenstandes als Beitragszeiten, die aber nicht für die Berechnung der Pensionshöhe herangezogen werden, oder auch die Übertragung eines Teils des Pensionsanspruchs verstorbener Ehepartner auf Witwen.

Frontalangriff


Macron sagt klar und deutlich, dass er eine Veränderung des Pensionssystems herbeiführen will, wie sie „bisher in Friedenszeiten noch nie möglich war“. Zur Ausarbeitung der konkreten Pläne hat er sich einen ehemaligen Minister als Hochkommissar für die Rentenreform geholt: Jean-Paul Delevoye, der bereits bei früheren Pensionskonterreformen die Fäden gezogen hatte. Als dessen engste Verbindungen zur profitorientierten Versicherungswirtschaft ruchbar wurden, musste er zurücktreten. An seine Stelle trat der ehemaliger Personaldirektor einer der größten Supermarktketten Frankreichs.

Der Angriff auf das Pensionssystem sieht folgende Punkte vor:
  • Ersetzung aller bestehenden Regelungen durch ein „universelles System“ in dem alle Beitragsjahre zur Berechnung der Pensionshöhe herangezogen werden
  • Berechnung der Höhe der Pension nach einem Punktesystem, nach welchem die Pensionsbeiträge jedes Monat in Punkte, deren Wert von der Regierung festgelegt wird, umgerechnet und die bei Pensionsantritt addiert werden. Berechnungen zeigen, dass dieses System zu bis zu 50% geringeren Pensionen führen würde.
  • Abschaffung der Anrechnung beitragsfreier Zeiten für die notwendigen Versicherungsjahre
  • Abschaffung des vorzeitigen Pensionsantrittsalters durch ebenfalls von der Regierung willkürlich festgelegte individuelle „Härtepunkte“ bei besonders harten Arbeitsbedingungen
  • Einführung eines „Gleichgewichtsalters“, welches höher als das bisherige Pensionsantrittsalter von 62 Jahren ist und an die Lebenserwartung gebunden wäre. Für jedes Jahr, das einE BeschäftigteR früher in Pension geht, wird die Pension um 5% gekürt.
All diese Vorschläge zielen indirekt auf die Privatisierung des Pensionssystems ab, was einmal mehr beweist, dass Macron im Gegensatz zu den Illusionen vieler JournalistInnen und SozialdemokratInnen alles andere als fortschrittlich oder gar links ist. Er ist ein knallharter Neoliberaler, der genauso wie Kurz in Österreich nichts anderes tut, als die Wünsche des Großkapitals politisch umzusetzen.

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