Freitag, 10. April 2009

Gewerkschaften und Krise: Kampf oder Kapitulation

Während eine Reihe von Gewerkschaften in Europa seit Längerem massiv gegen die Auswirkungen der Krise kämpft, hat sich der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) dabei bisher nobel zurück gehalten.

Vor einiger Zeit wurde eine europaweiter Aktionstag für den 16. Mai 2009 festgelegt, welcher den Kampf der Lohnabhängigen gegen die Krise zum Ausdruck bringen soll. Im Vorfeld hat es massive Diskussionen unter den nationalen Gewerkschaften gegeben, ob es eine zentrale europäische Demonstration oder aber nationale Massendemonstrationen geben soll. Herausgekommen ist ein typisch bürokratischer Kompromist.
Es soll nämlich in insgesamt vier Städten Demonstrationen des EGB gegen die Krise geben: am 14.5. in Madrid, am 15.5. in Brüssel und schließlich am 16.5. in Prag (an der sich anscheinend der ÖGB beteiligen wird) und Berlin. Die breite Masse der Beschäftigten in Europa ist damit von einer aktiven Teilnahme ausgeschlossen. Wer kann schon als DemotouristIn hunderte oder gar tausende Kilometer fahren und das noch dazu an Arbeitstagen (was bei den ersten beiden Demonstrationen der Fall ist)? Wieder einmal wollen freigestellte GewerkschaftsfunktionärInnen stellvertretend für uns auf unsere Interessen aufmerksam machen. Und genau das ist es: Aufmerksam machen, aber keinesfalls ernsthaft gegen die Krise kämpfen. Dazu ist nämlich 1. viel mehr notwendig als ein einzige Aktionstag. Dazu bräuchte es einen dauerhaften Kampf gegen die Auswirkungen der Krise – beginnend auf der betrieblichen Ebene gegen die kleinsten Angriffe bis hin zu machtvollen europaweiten Aktionstagen, welche sich aus nationalen Großveranstaltungen zusammen setzen. Wirklich nachdenken werden die Bosse aber erst, wenn wir europaweit koordiniert zu streiken beginnen.
Vor allem aber braucht es 2. Aktionsformen, welche der breiten Masse der Beschäftigten in Europa die aktive Beteiligung ermöglichen. Dazu wäre als Auftakt ein Aktionstag, an dem es am gleichen Tag in allen Staaten Europas nationale Massendemonstrationen gibt, durchaus sinnvoll. Dass es dafür auch in Österreich das Potential gibt hat die Demonstration "Eure Krise zahlen wir nicht" am 28.3. in Wien eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Obwohl diese ausschließlich von Klein- und Kleinstorganisationen vorbereitet wurde – die beteiligten Teilgewerkschaften des ÖGB haben sich bei der Mobilisierung zurück gehalten, wenn sie denn überhaupt (und das sehr spät) zur Teilnahme aufgerufen haben -, haben nahezu 20.000 Betroffene daran teilgenommen.

Lehren nicht verstanden!


Aus der konkreten Ausgestaltung des EGB-Aktionstages lassen sich nur zwei mögliche Schlussfolgerungen ziehen: Entweder der EGB (und mit ihm der ÖGB) haben nicht verstanden, welch riesigen Unmut, der sich jederzeit in Massenaktionen umsetzen ließe, wenn eine entschiedene Führung seitens der Gewerkschaften vorhanden wäre, es gibt, oder aber die Spitze der Gewerkschaften will diese Massenstimmung an der Basis bewusst nicht ausnutzen.
Während die erste Schlussfolgerung einmal mehr beweisen würde, wie sehr die SpitzenbürokratInnen unserer Gewerkschaften von der Basis abgehoben sind, indem sie nicht einmal mehr deren Bedürfnisse und Kampfbereitschaft erkennen, würde der zweite Erklärungsansatz nur einmal mehr zeigen, dass diese lieber am Verhandlungstisch Deals mit den Bossen auf unsere Kosten aushandeln, als uns selbst für unsere Interessen kämpfen zu lassen. Beides ist nicht neu, wird sich aber in den nächsten Monaten fatal auswirken, wenn nicht endlich damit begonnen wird, ernsthaft dagegen zu kämpfen, dass wir Lohnabhängigen die Zeche für die Auswirkungen der Krise bezahlen müssen.
Auf der website des ÖGB-Europabüros ist dazu Folgendes zu lesen: "Vor dem Hintergrund des enttäuschenden EU-Gipfels am 19. und 20. März in Brüssel ist es nun besonders wichtig, dass die europäischen Beschäftigten ihre Interessen noch kämpferischer, solidarischer und sichtbarer verteidigen. Daher ruft der Europäische Gewerkschaftsbund zu einer engagierten Teilnahme an den geplanten Kundgebungen auf!"
War es nicht möglich, noch inhaltslosere Formulierungen zu finden. Wo, außer in ganz wenigen Ländern, haben die Beschäftigten ihre Interessen bisher "kämpferisch" verteidigt? Wo überhaupt "solidarisch"? Und wo bitteschön "sichtbar"? Für die Sichtbarkeit müssen wir schon selber sorgen, nachdem die bürgerlichen Massenmedien unsere Kämpfe gegen die Krise gerne als Kleinstaktionen von ein paar linksradikalen SpinnerInnen darstellen. Und genau diesem Bild leistet der EGB Vorschub, indem er zu Aktionen aufruft, an denen im besten Fall Hunderttausende teilnehmen werden, wo es doch Zehnmillionen KollegInnen gibt, die bereit sind, gegen die Krise auf die Straße zu gehen.
Dazu aber bräuchte es die massive Massenmobilisierung der nationalen Gewerkschaften zu Aktionen, an denen 1. die KollegInnen auch wirklich teilnehmen können, und die 2. in Anbetracht der Schwere der Krise nicht vollkommen impotent sind (so wie vier Demonstrationen in ganz Europa). Da passt es dann auch schön ins Bild, wenn zur "engagierten Teilnahme" aufgerufen wird. Was bitte soll in diesem Zusammenhang "engagiert" heißen? Das war doch eines dieser schönen Wörter der gusischen SpindoktorInnen, welches letztlich nur verklausuliert ausgesagt hat, dass die Teilnahme der Basis nicht erwünscht ist, die FunktionärInnen sich in deren Stellvertretung aber um so mehr ins Zeug hauen sollen. Warum bitte sagen ÖGB und EGB nicht, was wirklich erforderlich ist – die Teilnahme aller bewussten GewerkschafterInnen in ganz Europa!

Schöne Worte


In einer Aussendung an BetriebsrätInnen und FunktionärInnen ist wenigstens die GPA-djp sehr ehrlich: "In Anbetracht der drohenden Abwälzung der Krise auf Arbeiternehmer/innen, fordert der EGB einen 'New Social Deal' für Europa." Dass wir Beschäftigten die Krise bezahlen sollen, streitet mittlerweile nicht einmal mehr die bürgerliche Presse ab. Zentral an dieser Aussage ist aber der "New Social Deal". Schon im New Deal der USA in den 1930ern waren es überwiegend die Lohnabhängigen, welche für die damalige große Wirtschaftskrise gezahlt haben. Wenn nun heute der EGB einen solchen fordert, dann ist das eine gefährliche Drohung!
Es bedeutet nämlich nichts anderes, als das unsere oberste europäische Interessenvertretung fordert, dass wir Beschäftigten die Krise zahlen müssen. Solange die Gewerkschaftsspitzen aber die Bedingungen dafür im Rahmen eines "Deals" mitbestimmen dürfen, ist nach ihrer Logik OK. Doch das Wörtchen "Deal" ist die eigentliche Gefahr! Warum sollen wir heute mit den KapitalistInnen irgendeine Vereinbarung treffen. Sie haben die Krise verursacht. Also sollen sie diese gefälligst auch bezahlen!
Das aber wollen ÖGB und EGB nicht, würde dies doch schließlich den entschiedenen Kampf gegen die Interessen der Reichen und Superreichen erfordern, was die künftige Position unserer GewerkschaftsführerInnen am Verhandlungstisch in Frage stellen würde. Lieber die eigenen Schäfchen ins Trockene bringen, statt ohne Wenn und Aber für die Interessen der Lohnabhängigen einzustehen, scheint einmal mehr das Motto der SpitzenbürokratInnen in den Gewerkschaften zu lauten, was sich auch deutlich in den fünf "Aktionsschwerpunkten" für den neuen "sozialen Deal" widerspiegelt:
  • "Ein umfangreiches Konjunkturprogramm, das EU-weit mehr und qualitativ bessere Beschäftigung schafft
  • Höhere Löhne und Pensionen sowie großzügigere staatliche Sozialleistungen, insbesondere Arbeitslosenunterstützung, die die Kaufkraft sichern
  • Ein Ende den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die die Binnenmarktfreiheit über die fundamentalen gewerkschaftlichen Grundrechte (wie beispielsweise das Streikrecht) stellen. Gleiche Arbeitsbedingungen für entsandte ArbeitnehmerInnen!
  • Eine wirksame Reglementierung der Finanzmärkte wie eine gerechtere Verteilung der Reichtümer. Keine Rückkehr zum 'Casino-Kapitalismus'!
  • Eine Europäische Zentralbank, die dem Wachstum und der Beschäftigung in Europa verpflichtet ist und nicht ausschließlich der Preisstabilität"

Nicht weit genug!


Wieder einmal gehen die Gewerkschaften von den richtigen Problemen aus, sind aber auf Grund ihrer zutiefst im Kapitalismus verwurzelten reformistischen Logik nicht dazu im Stande, die entscheidenden Schritte zu gehen. Wieder einmal suchen sie das Unmögliche: Den Kapitalismus ohne seine negativen Auswirkungen. Aber sehen wir uns die fünf Aktionsschwerpunkte etwas genauer an.
  1. Das Kapital ist immer nur so lange bereit, Konjunkturprogramme zu finanzieren, solange damit die eigenen Profite abgesichert werden. Konjunkturprogramme, die mehr und bessere Beschäftigung nicht nur als Nebenprodukt der Interessen des Kapitals gebracht haben, hat es noch nie gegeben und wird es im Rahmen einer auf den Profit statt auf die Menschen ausgerichteten Wirtschaftsordnung auch nie geben.
  2. Auch für höhere Löhne, Pensionen, Sozialleistungen und insbes. Arbeitslosenunterstützung gilt, dass das Kapital nur bereit ist, diese zu finanzieren, solange damit die Nachfrage und in deren Folge die eigenen Profite gesichert werden.
  3. Der Europäische Gerichtshof – so wie jedes bürgerliche Gericht – wird niemals die Hand beißen, die ihn füttert. Schon der alte Marx schrieb einst: "Das herrschende Recht ist stets das Recht der herrschenden Klasse". Solange sich daran aber nichts ändert (und das wird im Kapitalismus nie der Fall sein), wird jedes Gericht dieser Welt immer Entscheidungen gegen die Lohnabhängigen und für die Bosse treffen. Ein Schritt aus diesem Dilemma wäre die Wahl und jederzeitige Abwählbarkeit von RichterInnen auf allen Ebenen.
  4. Finanzmärkte haben sich noch nie dauerhaft reglementieren lassen und das wird auch nie der Fall sein. Das Wesen des Marktes ist es, immer wieder die sich ergebenden Grenzen zu überschreiten, weil jenes Unternahmen, das als erstes neue Möglichkeiten entdeckt, für einen begrenzten Zeitraum einen Vorteil hat. Jede Reglementierung wird als recht bald wieder untergraben oder umgangen werden. Daher gilt es den Markt als solchen abzuschaffen. Sonst mag es vielleicht keinen Casino-Kapitalismus mehr geben, morgen aber dafür den Lotto-, Haifisch- oder XY-Kapitalismus. Das Wesen des Kapitals liegt darin, immer neue Verwertungs- und damit Profitmöglichkeiten zu suchen und zu finden. Sobald dem nicht mehr so ist, wird es auch kein Kapitalismus mehr sein. Warum also nicht gleich sagen, was notwendig ist, um die Reichtümer gerechter zu verteilen, nämlich die Abschaffung des Kapitalismus. Oder aber sind die Gewerkschaftsspitzen so sehr in diesen eingebunden, dass sie das vielleicht gar nicht wollen?
  5. Für die Europäische Zentralbank (EZB) gilt auch, dass sie – so wie jede Bank und jede andere bürgerliche Institution – zunächst dem Kapital verpflichtet ist. Wachstum und Beschäftigung interessieren diese daher ebenso wie die Preisstabilität nur solange, solange diese der Profitmaximierung dienen. Eine EZB, die unseren Interessen als Beschäftigte dient, ist nichts anderes als eine Illusion. Sollen die vom EGB formulierten Ziele erreicht werden, wird es notwendig sein, das gesamte Finanzwesen inklusive der nationalen und der Europäischen Zentralbank unter der demokratischen Kontrolle der Beschäftigten und der gesamten ArbeiterInnenbewegung zu verstaatlichen.
Wir sehen also: Wenn wir unsere Arbeits- und Lebensbedingungen wirklich gegen die Krise verteidigen wollen, so reichen die Ziele des EGB dafür nicht aus. Der EGB kann heute nicht weiter gehen, solange er 1. ein machtloser Dachverband nationaler Gewerkschaften statt einer wirklich einheitlichen europäische Gewerkschaft und damit permanent zu sinnlosen Kompromissen (wie jenem zum genannten Aktionstag) gezwungen ist und 2. seine Logik nicht über die Grenzen des Kapitalismus hinaus verschiebt. Die aktuelle Krise zeigt einmal mehr, dass diese ungerechte Gesellschaftsordnung ihre historische Daseinsberechtigung längst verloren hat.
Diese existiert aber immer noch, da die Gewerkschaften ihrer geschichtlichen Aufgabe, antikapitalistische Kampforganisationen zu sein, nicht nachkommen. Die aktuelle Wirtschaftskrise ist eine enorme Chance hier einen Umdenkprozess einzuleiten. Wenn dieser nicht bald zu massiven Veränderungen in den Gewerkschaften führt, dann werden wir alle tatsächlich noch unser restliches Leben lang die Kosten der gegenwärtigen Krise bezahlen, während sich die KapitalistInnen ins Fäustchen lachen und weiterhin Cocktails in den Steuerparadiesen dieser Welt schlürfen.

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