Dienstag, 28. April 2009

ArbeiterInnenklasse - gibt's die noch?

Seit Marx und Engels das Kommunistische Manifest verfassten, sind circa 160 Jahre vergangen. Die Sozialdemokratie scheint mittlerweile ihre Klientel in der "neuen Mittelschicht" gefunden zu haben. Was ist unterdessen aus der ArbeiterInnenklasse geworden?

Neuer Kapitalismus?


Für unsere heutige Gesellschaft wurden viele Namen erfunden: Dienstleistungs- oder Informationsgesellschaft, postfordistische, postindustrielle Gesellschaft.
Klar wird heute anders produziert als vor 150 Jahren. Aber die schnelle Veränderung der Art, wie produziert wird, war schon seit jeher ein Kennzeichen des Kapitalismus. So schreiben Marx und Engels im Kommunistischen Manifest: "Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren." Aber noch immer stammen all unsere Konsumgüter aus industrieller Massenproduktion?
Die Tatsache, dass es Wirtschaftssektoren gibt, die sich nicht direkt der Warenproduktion widmen, ändert nichts daran, dass sie der Marktwirtschaft und ihren Gesetzen unterworfen sind. Die Beschäftigten in der (öffentlichen) Infrastruktur etwa arbeiten heute genauso entsprechend der kapitalistischen Logik wie mittlerweile auch der Sozial-, Gesundheits- oder Bildungsbereich. Dementsprechend ist der Kapitalismus schon in fast alle Bereiche der Gesellschaft eingedrungen und hat immer mehr Menschen zu Lohnabhängigen gemacht.
Die ArbeiterInnenklasse ist daher heute weltweit so groß (und folglich potentiell so stark) wie überhaupt noch nie in der Geschichte. Zum Vergleich: In der russischen Revolution gelang es den ArbeiterInnen den Kapitalismus zu stürzen, obwohl das Industrieproletariat nur ungefähr 8% der Gesellschaft ausmachte, was schon deutlich macht, wie falsch es ist die ArbeiterInnenklasse mit dem Industrieproletariat gleichzusetzen. ArbeiterIn ist jedeR, der/die nur von seiner/ihrer Arbeit leben kann und von sonst nichts; damit führt sich auch der Begriff der Dienstleistungsgesellschaft ad absurdum, abgesehen davon, dass der sog. Dienstleistungssektor z.B. in Wien Anfang des 20. Jahrhunderts unter Einberechnung von Dienst- und Kindermädchen ungefähr so groß war wie heute.
Wenn wir die aktuelle Statistik der Haushaltseinkommen in Österreich betrachten, so zeigt diese, dass die Haupteinkommensquelle von rund 5 Millionen Menschen unselbstständige Arbeit ist. Dazu kommen ungefähr 1,75 Millionen PensionistInnen, sowie mehrere Hunderttausend, die von Sozialleistungen leben. Mehr als 7 der 8 Millionen Menschen in Österreich gehören also zur ArbeiterInnenklasse!
Selbstständige Erwerbstätigkeit ist laut Statistik Austria nur für 620.000 die Haupteinkommensquelle. Die meisten davon sind jedoch auch keine KapitalistInnen. Die übergroße Mehrheit davon stellen Ich-AGs, kleine Familienunternehmen, freie DienstnehmerInnen, WerkvertragsnehmerInnen usw. Tatsächlich ist die wachsende Gruppe der sog. neuen Selbständigen finanziell meist schlechter gestellt als jene, die einen fixen Job haben. Es handelt sich hier um jene, die heute die Präkarisierten genannt werden, früher gab es dafür den Begriff Lumpenproletariat, womit nichts anders als ungesicherte Arbeitsverhältnisse gemeint sind.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Klassenzugehörigkeit nichts mit dem Lebensstandard zu tun hat. Dieser unterliegt so wie alles einer historischen Entwicklung und Veränderung. Er ist daher heute als Folge erfolgreicher Klassenkämpfe der ArbeiterInnenbewegung für alle höher als vor 150 Jahren. Wenn sich aber der Lebensstandard für alle verbessert, ändert das noch nichts an den Unterschieden zwischen den Klassen, wobei hier noch immer die beiden gesellschaftlichen Hauptklassen dominieren – die ArbeiterInnenklasse, deren Angehörige nur durch ihre Arbeit leben können, und das Kapital, welches eben nur leben kann, indem es sich die Arbeit anderer aneignet.

Mythos und Realität


Zu Marx Zeiten war die gesellschaftliche Zwischenklasse, welche politisch und wirtschaftlich zwischen den beiden gesellschaftlichen Klassen schwankt(e), des KleinbürgerInnentum bei weitem die größte Klasse – diejenigen, die sowohl Produktionsmittel besaßen als auch für ihr Überleben arbeiten mussten. HandwerkerInnen, BäuerInnen (nach dem 2. Weltkrieg ca. 20%, heute nur mehr 2-3%), Selbständige, kleine Familienbetriebe, ...
Doch wie wir alle wissen, fressen die kleinen Fische die großen. Und so kam es im Zuge der aus der Konkurrenz resultierenden Konzentration des Kapitals dazu, dass diese Schicht zunehmend verschwand. Der Greisler an der Ecke wurde vom Supermarkt verdrängt, die kleine Bäuerin von industrieller Massentierhaltung und maschinellem Gemüsegroßanbau.
Der von SPÖVP so gerne strapazierte Mythos der Mittelschichten löst sich also wie eine Fata Morgana in der Abendkühle zu einem Phantasiegebilde am Rande der gesellschaftlichen Realität auf. Dieser Klasse gehören zwar mit 5-10% in den Industriestaaten mehr Menschen an wie dem Kapital (das über alle wesentlichen gesellschaftlichen Machtinstrumente von Geld über die Kontrolle der Regierung bis hin zu den Massenmedien verfügt), allerdings kann sie sich politisch und wirtschaftlich immer nur an einer der beiden gesellschaftlichen Hauptklassen anhängen. Im Vergleich zu den Lohnabhängigen, den Angehörigen der ArbeiterInnenklasse, welche in der heutigen Zeit über 90% der Gesellschaft ausmachen, ist das aber bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein; insbes. darf in diesem Zusammenhang in Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit auch nicht vergessen werden, dass mensch ja nur hack’nstad werden kann, wenn er/sie zuvor gearbeitet hat, also Teil der ArbeiterInnenklasse war. Und das bleiben folglich auch die Arbeitslosen.
Die gesellschaftliche Macht der ArbeiterInnenklasse kann aber nicht zur Realität werden, solange diese nicht von der "Klasse an sich" zur "Klasse für sich" wird, sich also ihrer gesellschaftlichen Stellung bewusst wird, organisiert und kollektiv damit beginnt, ihre sozialen Interessen umzusetzen. Eine solche Klasse hat vor langer Zeit damit begonnen Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien (wie die SPÖ) ins Leben zu rufen, die seither zahlreiche Verbesserungen erringen konnten. Seit 1945 hat das Kapital aber alles, was es hat, eingesetzt, um uns einzureden, dass wir ja keine ArbeiterInnen mehr sind, sondern Angehörige des Mittelstandes usw. usf. Auf Basis der massiven materiellen Verbesserungen für die breite Masse im Zuge des über ein Viertel Jahrhundert währenden Wirtschaftsaufschwunges nach 1945 fiel dies Propaganda in vielen Köpfen auf fruchtbaren Boden, was sich heute zu unserem Nachteil auswirkt.
Die ArbeiterInnenparteien haben sich in die Mitte bewegt, die Gewerkschaften akzeptieren die Grenzen des Kapitals und von einer aktiven "Klasse für sich" ist weit und breit nichts zu sehen. Vielen Lohnabhängigen ist dies bewusst, doch sie sehen keine Möglichkeit dazu, wieder dafür zu sorgen, dass Realität wird, was einst selbstverständlich war: Eine Klasse, die mittels eigener Partei, für ihre Lebensinteressen eintritt. Doch wenn wir alle, denen die Notwendigkeiten, kämpferischer Klassenpolitik bewusst ist, uns zusammen schließen, dann werden wir ganz schnell wieder nicht nur Angehörige der ArbeiterInnenklasse sein, sondern auch wieder als "Klasse für sich" – nämlich für uns selbst und alle, die unser Schicksal teilen, handeln können.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen