Wahlversprechen sind nix wert
Vor der Wahl hatte so ziemlich jede Partei versprochen, eine Brandmauer gegen Rechts zu errichten und keinesfalls mit der FPÖ (oder der FPÖ unter Kickl) zu koalieren. Was diese Versprechen wert sind, sehen wir jetzt. Und das wird wieder zahlreiche Menschen davon überzeugen, dass es nichts bringt, sich mit Politik zu beschäftigen oder auch nur wählen zu gehen, da „die da oben nachher eh machen, was sie wollen“. In letzter Konsequenz haben sie recht. Nur leider meinen sie mit „die da oben“ nicht die, die tatsächlich die Macht in Händen halten und die Politiker*innen wie Marionetten nach Gutdünken an ihren Fäden tanzen lassen.
Das zeigt sich am Bundespräsidenten, der von vielen nur deswegen gewählt wurde, weil sein zentrales Wahlversprechen die Verhinderung eines FPÖ-Kanzlers war. Das zeigt sich an Nehammer, der seinen Wahlkampf mit dem Versprechen „Keine Koalition mit Kickl“ geschlagen hat und diese jetzt durch seinen Rücktritt möglich macht. Das zeigt sich am neuen (Interims?-)Obmann der ÖVP, der immer großspurig gegen die FPÖ gekotzt hat. Sobald die das oben sagen, wo es lang geht, springen sie alle.
Klassenherrschaft
Die da oben, das ist das Kapital. Das sind also die Konzerne, die (Super-)Reichen, die tatsächlich immer bestimmen, wo es lang zu gehen hat. Im Kapitalismus kann das gar nicht anders sein. Wie sollte es in einer Gesellschaft, in einem politischen System, das einzig dazu da ist, den Interessen des Kapitals zu dienen, auch anders sein als das diese seine Interessen tatsächlich regieren?
Wie sollte es in einer Klassengesellschaft anders sein, als dass die Interessen der herrschenden Klasse bestimmen, was die Politik zu tun hat? Mal offener, mal versteckter. Mal mit Samthandschuhen, wenn sie es sich leisten könnten, da permanenter Klassenkampf von oben auch seinen Preis hat, mal mit dem Vorschlaghammer wenn das notwendig ist. Notwendig so wie seit einigen Jahren in Anbetracht der tiefen Wirtschaftskrise, die das System erfasst hat. Notwendig auch, da sich diese mit COVID, der Klimakrise, der immer tieferen Diskreditierung des politischen Systems, der Massenverarmung auch in sog. reichen Ländern, dem Kahlschlag bei unserer sozialen Sicherheit, der Zunahme von Kriegen usw. zu eine Systemkrise ausgewachsen hat.
Demokratur
Manche ehrliche Kapitalist*innen sprechen das auch offen aus. Warren Buffett z.B. mit seinem berühmten „There's class warfare, all right, but it's my class, the rich class, that's making war, and we're winning.” Sollen wir weiterhin auch die andere Backe hinhalten oder uns endlich zur Wehr setzen? Wobei das nur damit beginnen kann, ihrer Scheindemokratie die Maske von der sich dahinter versteckenden Fratze zu reißen, so wie es die Gründer*innen der österreichischen Sozialdemokratie im Hainfelder Programm gemacht haben: „Ohne sich über den Wert des Parlamentarismus, einer Form der modernen Klassenherrschaft, irgendwie zu täuschen ...” haben sie damals ehrlich gesagt.
Dass wir das viel zu lange nicht gesagt haben, fällt uns, vor allem aber der Arbeiter*innenklasse, jetzt auf den Kopf. Nein. Nicht erst jetzt. Tatsächlich schon seit Jahrzehnten. Hätten wir die Illusion, dass ein Kreuzerl alle paar Jahre Demokratie wäre, gar nicht erst zugelassen, was unserer Klasse früher vollkommen klar war, wäre nie die Phantasie entstanden, dass Regierungen im Kapitalismus grundsätzliche Veränderungen herbeiführen könnten. Dann hätten wir das Kämpfen auch nie verlernt. Doch das Kämpfen passt denen halt nicht in den Kram, die ihre Karrieren den Hinterziemmerdeals mit „denen da oben” zu verdanken haben. Der Weg zurück zu den Wurzeln wird lange und hart sein.
Klassenkollaboration
Die Unterwerfung der Führung der Arbeiter*innenorganisationen unter Nationalismus (in Anbetracht des I. Weltkrieges), bürgerliche Klassenherrschaft (Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen statt mit der sich selbst tatsächlich demokratisch organisierende Arbeiter*innenklasse 1918/1919 und Festschreibung dieser Unterwerfung im sog. Linzer Programm), Asozialpartner*innenschaft nach dem II. Weltkrieg und schließlich Neoliberalismus (das berüchtigte Wahlprogramm unter dem Titel „Aufstieg, Leistung, Sicherheit”) haben zu einer fortschreitenden Entsozialdemokratisierung der SPÖ geführt, die uns seit langem auf den Kopf fällt.
Dadurch gibt es tatsächlich keine relevante Partei mehr, die den herrschenen Zuständen etwas entgegensetzen kann und eine echte Alternative zu diesen anbietet. Das alleine macht es der FPÖ möglich, sich als Antisystempartei darzustellen, was falscher nicht sein könnte. Sie ist zutieftst mit der herrschenden Klasse verbandelt und hat noch bei jeder Regierungsbeteiligung deren Wünsche ohne Wenn und Aber umgesetzt.
Tatsächlich brauchen wir aber eine Partei, die unsere Interessen wirklich vertritt – die Interessen der Arbeiter*innenklasse. Und von sonst niemandem. Manche werfen den SPÖ-Verhandler*innen vor, bei den Gesprächen mit Retros – ich weiß auch nicht, warum ich mich bei denen immer verschreibe ... – und ÖVP zu wenig kompromissbereit gewesen zu sein. Tatsächlich ist es genau umgekehrt. Die SPÖ war viel zu kompromissbereit. Und das schon viel zu lange.
Sie hat vor allem auch den Fehler begangen, bei dem dreckigen Spiel intransparenter Hinterzimmerverhandlungen mitzumachen. Demokratisch hingegen wäre es gewesen, öffentlich zu verkünden, was bei diesen Verhandlungen erreicht werden soll. Und nach jedem Gespräch darüber zu berichten, was erreicht werden konnte oder auch nicht. Klar zu sagen, an wem es gescheitert ist und warum. Und die Horrorvorschläge der schwarzpinken Einheitspartei schonunslos zu entlarven.
Zurück zu den Hainfelder Wurzeln
Tatsächlich brauchen wir eine Partei, die für echte Demokratie entritt. Demokratie, die jeden Tag gelebt werden kann und wird. Demokratie, die dort beginnen muss, wo die Basis der Herrschaft des Kapitals zu finden ist – in den Betrieben, in der Wirtschaft wie es volkstümlich von vielen ausgedrückt wird. Solange die Macht des Kapitals dort nicht gebrochen wird, wird dieses immer alles in der Gesellschaft bestimmen können.
Und wir brauchen eine Partei, die nicht für uns, sondern mit uns für unsere Interessen eintritt. Eine Partei, in der die Mitglieder über alles entscheiden dürfen und können, eine Partei, deren Ziel die Überwindung des Kapitalismus ist, was im Gegensatz zu Linksradikalen niemals im Widerspruch zu Kämpfen für Verbesserungen in diesem stehen darf, eine Partei die das tut, wozu Parteien nun mal da sind: Die Interessen einer Klasse vertreten. Der Arbeiter*innenklasse. Und sonst nichts. Auch nicht die des Staates.
Machen wir aus der SPÖ wieder eine Partei, die unsere Interessen vertritt, die nicht staatstragend ist, sondern sich wieder dem ursozialdemokratischen Ziel der Ãœberwindung des bürgerlichen Staates verschreibt. Wer dieses Ziel nicht teilt, mag Mitglied der Partei sein, mag politisch vieles sein – eines aber mit Sicherheit nicht: Sozialdemokrat*in.
Noch ist es für diesen Kurswechsel nicht zu spät. Aber vielleicht schon bald. Noch ist es auch nicht zu spät dafür, nicht erneut tatenlos dabei zuzusehen, wie ein autoritärer Staat errichtet wird, nicht wieder vor jedem rechten Angriff zurückzuweichen wie von den 1920ern bis 1934. Noch kann das, was im Rahmen der bürgerlichen Demokratie (es gibt viele Formen von Demokratie, keinesfalls aber DIE Demokratie, von der viele so gerne sprechen, und dadurch die Illusion säen, dass unser heutiges System bereits demokratisch, vor allem aber das einzig mögliche wäre) erreicht wurde, verteidigt werden.
Und von der Verteidigung zur Offensive übergegangen weren. Alle Kicker*innen selbst in der 17. Liga wissen, dass ohne diese Taktik kein Sieg möglich ist. Die Parteiführung hat das scheinbar vergessen. Eigentlich aber bin ich davon überzeugt, dass viele in der Parteifüahrung gar nicht kämpfen wollen. Dass viele dort Andi Babler, der eigentlich aus einer politischen Tradition in der SJ kommt, in der das selbstverständlich ist, permanent blockieren. Sie sind es, die unsere Zukunft tatsächlich gefährden.
Denn eine Partei, die keine echte Alternative zur derzeitigen Multikrise, deren Ãœberwindung im Kapitalismus nur auf unsere Kosten gehen kann, anbietet, braucht niemand. Eine Partei hingegen, die tatsächlich mit den Vielen – mit der Arbeiter*innenklasse – für ihre Interessen kämpft, kann eine menschenwürdige Zukunft für uns alle erreichen: Ein neue Gesellschaft, eine neue Welt. Ohne Unterdrückung, ohne Ausbeutung, ohne Rassismus, ohne Sexismus, ohne Armut, ohne Zukunftsängste, ohne rechte Regierung.
Solch eine Partei brauchen wir tatsächlich. Dringend! Und das muss heute damit beginnen, dass nicht nur zu jedem einzelnen Protest gegen die FPÖVP-Regierung aufgerufen wird, dass alle Mitglieder, denen das möglich ist, für diese mobilisiert werden, dass die SPÖ sichtbarer Teil der Protestbewegung gegen den Volkskanzler wird, bis dieser Geschichte ist, dass die SPÖ sich mit all ihren Möglichkeiten aktiv in diese Bewegung einbringt und diese mitorganisiert. Wird sie dieser ihrer historischen Aufgabe gerecht werden oder erneut – wie schon so oft – daran scheitern und damit ihr Schicksal besiegeln?
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