Mittwoch, 15. Januar 2025

Von Euros und Prozenten: Die Lohnentwicklung in Österreich zwischen 2022 und 2024

Kurz vor Weihnachten hat die Statistik Austria den allgemeinen Einkommensbericht 2024 veröffentlicht. Dessen Vergleich mit dem vorherigen ermöglicht es uns, die Lohnentwicklung in Österreich genauer zu betrachten und insbesondere auch die Entwicklungen der Branchen miteinander zu vergleichen. Am Beispiel der Metaller*innen, die oft als Referenzpunkt für andere Kollektivvertragsverhandlungen herangezogen werden und der Sozialwirtschaft – der mittlerweile von der Anzahl der Beschäftigten her größten Branche – stelle ich dar, warum Prozente nicht alles sind.

Die Basis

Basis für die folgende Darstellung ist der sog. allgemeine Einkommensbericht 2024. Dieser findet sich hier. Das dafür herangezogene Zahlenmaterial stammt aus 2023.

In der Tabelle "Mittlere Bruttojahreseinkommen (in Euro), Frauenanteil und Vollzeitanteil (in Prozent) der unselbständig Erwerbstätigen nach Branchen 2023" werden alle Beschäftigten nach dem wirtschaftlichen Schwerpunkt des Unternehmens, in dem sie arbeiten, aufgegliedert. Diese Klassifikation der Wirtschaftstätigkeiten heißt in Österreich ÖNACE 2008. Details zu dieser Einteilung in Branchen, wie ich diese der Einfachheit halber in der Folge nennen werden, finden sich hier. Mittlerweile gibt es zwar die neuere ÖNACE 2025, welche aber für den genannten Bericht noch nicht herangezogen werden konnte.

Selbstverständlich spielen nicht nur die prozentuellen Lohn- bzw. Gehalterhöhungen eine Rolle für unsere Bezahlung, sondern auch die Gültigkeitsdauer des jeweiligen Kollektivvertrages, Mindesterhöhungen, Sockelbeträge, Maximalerhöhungen, Fixbeträge usw. Im Regelfall verstärken diese die positiven oder negativen Auswirkungen der prozentuellen Erhöhungen allerdings nur. Arbeiten wir daher das zentrale Argument anhand von zwei Beispielen heraus.

Produktion versus Systemerhalter*innen

Die Löhne in der ÖNACE C (Herstellung von Waren), zu welcher die Metaller*innen – eine sog. Männerbranche – gehören, betrugen 2021 laut Einkommensbericht 2022 41.810 Euro. Jene der Beschäftigten in der ÖNACE Q (Gesundheits- und Sozialwesen – eine sog. Frauenbranche), zu der große Teile der Sozialwirtschaft und der namensgleiche Leitkollektivvertrag der Branche, aber zB nicht die Elementarpädagogik, gehören, beliefen sich im gleichen Jahr auf 26.682.

Dabei handelt es sich um Medianeinkommen, also jene Einkommenshöhe, unter und über der jeweils 50% der Beschäftigten in der jeweiligen Branche verdienen. Der Vergleichbarkeit halber wird hier mit Bruttoeinkommen gerechnet.


Mittlere Bruttojahreseinkommen prozentuelle Erhöhung zum vorherigen absolute Erhöhung zum vorherigen
Herstellung von Waren (FMTI) 2022 41.810,00 €    
Gesundheits- und Sozialwesen (SWÖ) 2022 26.682,00 €    
Herstellung von Waren (FMTI) 2024 46.950,00 € 12,29 5.140,00 €
Gesundheits- und Sozialwesen (SWÖ) 2024 30.811,00 € 15,47 4.129,00 €



Wenn wir uns die prozentuellen Lohn- bzw. Gehaltserhöhungen ansehen, scheint das Ergebnis eindeutig zu sein. Die Löhne im Bereich der Herstellung von Waren haben 2022-23 „nur“ um 12,29% zugelegt, während jene im Gesundheits- und Sozialwesen um 15,47% gesteigert werden konnten. Das Medianeinkommen quer über alle Branchen hat in diesen beiden Jahren übrigens um 12,44% zugenommen.

Prozente oder Euros

Eine Darstellung der Lohnentwicklung alleine in Prozenten blendet allerdings die unterschiedliche Ausgangssituation aus und würde nur dann ein zutreffendes Bild abgeben, wenn die Beschäftigten in beiden Branchen vor den Lohnerhöhungen ein Einkommen in der gleichen Höhe gehabt hätten. Tatsächlich war dem nicht so, was in der obenstehenden Tabelle nachvollzogen werden kann.

Diese einfache Tatsache macht für die Bewertung von Lohnerhöhungen einen massiven Unterschied. Wie die rechte Spalte der Tabelle zeigt, sind die Löhne im Bereich der Herstellung von Waren trotz prozentuell niedrigerer Abschluss in absoluten Zahlen, also in Euro, deutlich stärker angestiegen, nämlich um 5.140 € pro Jahr, während die Systemerhalter*innen im Gesundheits- und Sozialbereich gerade einmal 4.129 € mehr verdienen als zwei Jahre zuvor. Das Medianeinkommen aller Lohnabhängigen hat in diesen beiden Jahren übrigens um € 3.907 zugenommen.

Die Gehaltsdifferenz zwischen diesen beiden Branchen ist als weiter angewachsen – von 15.128 € auf 16.139 €. Damit die Differenz nur gleich geblieben wäre, hätten die Lohnerhöhungen bei uns Systemerhalter*innen in diesen beiden Jahren 19,26% betragen müssen. Um diesen Pay Gap zwischen den beiden Branchen zu verringern oder gar zu schließen, wären noch deutlich höhere Abschlüsse nötig gewesen.

Höhere prozentuelle Abschlüsse führen also nicht unbedingt dazu, dass die davon betroffenen Kolleg*innen vergleichsweise mehr Geld am Konto haben! Höhere prozentuelle Abschlüsse können sogar dazu führen, dass der Abstand zu schon zuvor besserverdienenden Branchen, in denen die Lohnerhöhung prozentuell geringer ausfällt, noch größer wird.

Lohnerhöhgungen in diesen beiden Branchen haben also eine entscheidende Auswirkung auf den Gender Pay und Pension Gap. Jeder Kollektivvertragsabschluss, der dazu führt, dass diese beiden zentralen Treiber von Frauenarmut, materieller und sozialer Benachteiligung von Frauen und der Unmöglichkeit, aus Gewaltbeziehungen zu fliehen, nicht kleiner werden, ist ein schlechter Kollektivvertragsabschluss.

Mit was zahlst du?

Ich jedenfalls zahle jede meiner Rechnungen mit Geld. Selbstverständlich ist für die Summe, über die ich verfügen kann, entscheidend, wie hoch der Abschluss des Kollektivvertrages, der für mich gilt, in Prozenten ausfällt. Allerdings nur indirekt. Direkt ist für mich einzig entscheidend, wie viel Geld ich mehr bekomme. Es geht also darum, wie viel der jeweilige Kollektivvertragsabschluss für dich und mich in Euro ausmacht.

Manche werden das als Plädoyer für eine ehrlichere Darstellung von Kollektivvertragsabschlüssen verstehen. Das hoffe ich.

Noch wichtiger ist für mich allerdings, dass künftig bei jedem Kollektivvertragsabschluss berücksichtigt wird, wie sich dieser auf die Gehaltsunterschiede zwischen den Branchen, den Geschlechtern sowie die Gehaltsdifferenz zwischen hohen und niedrigen Gehältern auswirkt. Für mich als überzeugten Gewerkschafter ist jeder Kollektivvertragsabschluss, der nicht zu deren Verringerung beiträgt, ein schlechter Abschluss. Darum trete ich seit längerem für Fixbeträge statt prozentuelle Erhöhungen ein. Denn jede und jeder von uns muss mit Euros zahlen.

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