Ein Büchlein, das gerade in Zeiten des Gaza-Krieges erhellen kann, warum es in Gaza, im Westjordanland und in der palästinensischen Diaspora keine relevanten linken Kräfte mehr gibt, die den religiösen Fundis einerseits und der zunehmend autoritär und konservativ gewordenen Führung der PLO Paroli bieten können. Und dadurch auch Denkansätze anstößt, die das Grauen in der Region rational verständlich machen können.
Meine Zusammenfassung lautet: Top. Das Buch tut, was es tun soll. Es gibt wie der Titel schon sagt, eine Einführung. Und vermeidet dabei, was bei solchen Büchern allzu oft der Fall ist – die Autor*innen protzen mit ihrem allumfassenden Wissen, das jene, die einen groben Einblick, eine oft erste Beschäftigung mit einem Thema, eben eine Einführung wollen, eben nicht haben wollen. Dem mandelbaum-Verlag ist es hoch anzurechnen, dass die Reihe „Die Linke in ...“ ins Leben gerufen wurde, welche auch andere interessante Einblicke für jene bietet, die mal schnell was über die Linke im Land oder dem Gebiet X wissen wollen, ohne allzu tief eintauchen zu wollen.
Die große Stärke des Buches besteht darin, dass es tatsächlich am Anfang beginnt. Mit den ersten linken Organisationen in Palästina im weiteren Sinn des Wortes, welches heute Israel, den Gazastreifen, des Westjordanland, aber auch Teile des heutigen Jordanien und Syrien umfasst. Die Darstellung beginnt also noch zu Zeiten des osmanischen Reiches und reicht über die Zeit des britischen Mandatsgebietes und die Gründung des Staates Israel bis hin zu den Folgen der Tragödie des 7. Oktober 2023.
Für viele mag es erstaunlich sein, dass gerade am Anfang Jüd*innen oder als solche gelesene Menschen eine entscheidende Rolle bei der Gründung linker Organisationen spielten. Einerseits handelte es sich dabei um Menschen, die dort geboren wurden und andererseits um solche, die ihre Theorien, ihre Ideologie als Migrant*innen zumeist aus Europa mitbrachten. Aus heutiger Perspektive mag es verwundern, dass es fast die ganze Bandbreite linker Tendenzen gab: Linkszionismus, Trotzkismus, Stalinismus, Sozialdemokratie, Anarchismus und sogar Maoismus.
All diese Organisationen waren zumindest während der ersten Periode säkular und internationalistische ausgerichtet. Weder Religion noch Nationalität spielten eine Rolle. Auch linke Jüd*innen verstanden sich damals als Palästinenser*innen. Und sie alle traten für einen gemeinsamen, säkularen, später auch einen binationalen Staat auf dem gesamten Gebiet dessen ein, was zur jeweiligen Zeit unter Palästina verstanden wurde.
Mit der weltweiten Welle antikolonialer Kämpfe rund um die 1960er hielt auch hier der Linksnationalismus Einzug. Und der individuelle Terror, der zuvor eher Sache der anderen gewesen war. Das was heute als Islamismus verstanden werden muss, spielte über lange Zeit keine Rolle und konnte erst zu einer dominanten Kraft werden als die Linke zunehmend darin versagte, den Menschen der Region eine (gemeinsame und friedliche) Perspektive, zumindest aber die Möglichkeit einer Koexistenz anzubieten.
Erst das Versagen der Linken war es, das den Rechten – und als solche müssen Hamas und Co meiner Meinung nach definiert werden – ihre derzeitige Hegemonie ermöglichte. Dieses Versagen bestand insbesondere darin, die sog. soziale Frage – den Klassenkampf, die gemeinsame (ab 1948 auch grenzüberschreitende) Organisierung der Arbeiter*innenklasse, die Frauenunterdrückung usw. – zunehmend der nationalen Frage unterzuordnen. Nicht weiter erstaunen darf daher, dass auch sich als links wahrnehmende Organisationen zunehmend religiöse Versatzstücke in ihre Ideologie einbauten und somit nach meiner Definition über Bord warfen, was „links“ ist. Auch Nationalismus ist ein Widerspruch dazu. Mit einem Wort: Es gibt heute keine (relevante) Linke mehr in Palästina. Und das ist ihr eigenes Verschulden.
Ein lesenswertes Buch für alle, die verstehen wollen, wie es dazukommen konnte, dass eine einst relativ säkulare und bis heute multireligiöse Gesellschaft – zumindest in unserer eurozentrischen Wahrnehmung – von religiösen Fundis dominiert werden kann. Und ein Buch, das selbst mich, der ich mich aus familiären Gründen seit Jahrzehnten zuerst mit Israel, dann mit Palästina und damit einhergehend notwendigerweise dem scheinbar unlösbaren Konflikt zwischen den beiden Seiten beschäftige, mit gar nicht so wenig neue Informationen versorgt hat und mich dazu zwingt, über das eine oder andere (neu) nachzudenken.
Das auf S. 117 wiedergegebenen Zitat einer Gruppe von Jugendlichen, welche sowohl die israelische Politik als auch den Islamismus ablehnen, erwrmt mir jedenfalls das Herz: „Fuck Israel. Fuck Hamas. Fuck Fatah. Fuck UN. Fuck UNRWA. Fuck USA!“ So wie viele andere sinnlose Kriege und Konflikte kann möglicherweise auch dieser wohl erst dann aus der Welt geschaffen werden, wenn wir das auch mit den historisch überaus jungen 'Erfindungen' Nationalstaat, Nation und dem Staat selbst tun.
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