Daran gibt es nichts Schönzureden. Wer heute noch immer versucht, die Fülle von Problemen und Herausforderungen, vor denen wir stehen, kleinzureden, wird zum/r TotengräberIn unserer Bewegung. Dabei muss aber auch festgestellt werden, dass die Wiener Partei noch deutlich besser dasteht als der Rest der SPÖ.
Viele der Probleme, vor denen wir heute stehen, sind hausgemacht. Zu lange haben wir uns von den Interpretationen sog. MeinungsforscherInnen abhängig gemacht statt offensiv unsere eigenen Politik zu machen. Zu sehr verschwinden die eigenen Positionen hinter den Aktivitäten der Regierung. Zu sehr haben wir uns von scheinbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen leiten lassen, statt uns an unseren Prinzipien zu orientieren. Doch diese und unsere Beschlüsse müssen wieder zum Leitfaden unseres politischen Handelns werden. Wer dies als nebensächlich oder unwichtig empfindet (wie etwa der Beschluss, dass es auf keiner Ebene Koalitionen mit der FPÖ geben darf) dem/der steht es frei, eine eigene Partei zu gründen. Prinzipien müssen wieder wichtiger werden als Wahlerfolge. Koalitionen, in denen die Werte der Sozialdemokratie keinen Platz haben, sind abzulehnen. Lieber Opposition als weiter den sozialen Ausverkauf mitgestalten! Und zu sehr haben wir vergessen, warum die Sozialdemokratie einst ins Leben gerufen wurde: Um eine Welt zu schaffen, die für alle lebenswert ist – eine Welt jenseits des Kapitalismus!
Neben dem über 20 Jahre andauernden Nachgeben gegenüber rechten Ideologien und Forderungen etwa in der Asylfrage ist v.a. die Akzeptanz von sog. Sachzwängen ein Grundübel. Sog. Sachzwänge sind immer der Ausfluss der bestehenden Ordnung. Sie können heute also nur gegen die arbeitenden Menschen gerichtet sein. Die Aufgabe von Politik ist es, Sachzwänge zu überwinden, statt sich ihnen unterzuordnen. Sonst wird Politik zur Verwaltung. Den Preis für diese defensive Ausrichtung bezahlen wir heute; der Aufstieg der Rechten ist (auch historisch betrachtet) immer die Folge des Versagens der ArbeiterInnenbewegung. Rechte Parteien können nur mit linker Politik gestoppt werden!
Zurück zu den Wurzeln
Die Auseinandersetzung mit den Rechten erfordert es heute wieder, sich insbes. der sozialen Frage (die in Wirklichkeit hinter der Scheinfrage von Zuwanderung und Asyl steht) zu stellen: gute Wohnungen und sichere Arbeitsplätze, faire Arbeitsbedingungen, Löhne, von denen auch gelebt werden kann, eine Zukunft für die Kinder, kostenlose qualitativ hochwertige Bildung für alle, der Kampf gegen die Armut, Umverteilung – das sind die Themen der Zeit und die Bedürfnisse der Menschen. Große Forderungen machen groß – kleine Themen machen klein. Wir sind wieder klein geworden. Die großen Themen von einst – das allgemeine Wahlrecht und der 8-Stunden-Tag – würden heute als unrealistisch abgetan. Doch nur mit solch großen Themen (etwa einem ernsthaften Kampf um echte Vermögenssteuern) können wir auch die Herzen der Menschen erreichen, die wir verloren haben.
Es beginnt mit Ehrlichkeit. Ja, wir haben eine Fülle von Fehlern gemacht. Wir haben privatisiert, ausgegliedert und PPPs forciert, wir haben zugeschaut, wie die Löhne zahlreicher Beschäftigter unter die Armutsgrenze gerutscht sind, auch in Bereichen, für die wir politisch verantwortlich sind, wie etwa im Sozial- und Gesundheitsbereich. Wir ignorierten die Forderungen der dort beschäftigten. Wir haben viel zu lange keine Gemeindewohnungen gebaut. Wir selbst haben zahlreiche vermögensbezogene Steuern abgeschafft und dem Rassismus der FPÖ&Co viel zu lange tatenlos zugeschaut, statt den rechten HetzerInnen und ihrer spalterischen Politik entschieden entgegenzutreten. Wir selbst haben immer wieder den Sozialabbau verwaltet.
Jetzt müssen wir beginnen, diese Fehler offen und ehrlich einzugestehen und zu beheben. Das wird nicht von heute auf morgen gehen, aber solange wir nachvollziehbar mit all unserer Kraft für unsere Themen kämpfen, werden die Menschen das respektieren – sie erwarten sich keine Wunder, die die bestehenden Probleme sofort lösen. Aber sie erwarten sich Ehrlichkeit und harte Arbeit – und die haben sie auch verdient!
Konkret könnte ein solcher Politikwechsel etwa mit den folgenden Maßnahmen beginnen:
- Wir werden in der Bundespolitik und der Bundespartei für eine echte Vermögenssteuer eintreten, deren Ziel es entsprechend unserer Parteitagsbeschlüsse in Wien sein muss, jährlich zehn Milliarden Euro einzunehmen.
- Wir werden bis Jahresende einen Plan ausarbeiten, wie die Löhne der Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitsbereich innerhalb von maximal drei Jahren real um 30% erhöht werden können.
- Wir werden ab 2017 die gesamten Wohnbaumittel für neue Gemeindewohnungen einsetzen.
- Wir werden alle ausgegliederten, ausgegründeten und privatisierten Betriebe bis Ende 2017 in den öffentlichen Dienst wiedereingliedern. Wir werden alle Public-Private-Partnerships so schnell wie möglich beenden und keine neuen starten. Dabei wird es weder zu Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen noch zum Verlust von Arbeitsplätzen kommen. Die Gehälter von ManagerInnen werden dabei mit dem fünffachen des Medianeinkommens der jeweiligen Belegschaft begrenzt.
Wir müssen aber auch so ehrlich sein, dass wir sagen, dass die Umsetzung dieser Ziele davon abhängt, ob wir stark genug sind. In einer Koalition mit bürgerlichen Parteien wird vieles davon nicht umsetzbar sein. Wir werden aber in jedem Fall dafür kämpfen, diese Ziele so schnell wie möglich zu erreichen und konkrete Pläne dafür ausarbeiten und in die Öffentlichkeit tragen, auch wenn wir keine Mehrheiten haben, die deren Umsetzung ermöglichen. Selbstverständlich müssen wir auch dafür kämpfen, solche Mehrheiten so schnell wie möglich zu erringen. Schwierig kann das nicht sein, wenn wir die Interessen der arbeitenden Menschen, die den Großteil der Bevölkerung stellen, wirklich vertreten.
Wir müssen aber nicht nur unsere politische Praxis ändern, sondern auch die Wurzeln unserer Bewegung in Hainfeld oder auch das Linzer Programm von 1926 zum Ausgangspunkt unserer Debatte um ein neues Parteiprogramm nehmen.
Ohne Demokratie kommen wir nicht weiter!
Demokratie kann nur von unten nach oben funktionieren. Bei grundsätzlichen Veränderungen der Positionierung der Partei wie z.B. der Frage der Wehrpflicht braucht es also zuvor einen Parteitagbeschluss. Daher ist es auch erforderlich, dass jene, die politischen Funktionen (inklusive öffentlicher Ämter) haben, sich einer jederzeitigen Abwählbarkeit unterwerfen. Demokratie kann nämlich nur funktionieren, solange die Gewählten die Interessen und Meinungen der Mehrheit ihrer WählerInnen vertreten und sich nicht von Sachzwängen dazu zwingen lassen, anders zu handeln.
Demokratie erfordert aber auch, dass die Gewählten die materielle Lebensrealität jener, die sie vertreten, verstehen können. Und das geht nur, wenn sie nicht besser leben, als ihre WählerInnen. Wir treten daher dafür ein, dass all jene, die politische Funktionen ausüben (politische MandatarInnen, leitende SekretärInnen, GeschäftsführerInnen, Vorsitzende usw. in SPÖ, Fraktion und Gewerkschaften) einer Einkommensbegrenzung unterworfen werden. Ein brauchbarer Ansatz dafür erscheint uns die Beschäftigungsgruppe H für die Angestellten des Metallbereiches. In dieser werden viele Tätigkeiten, die auch GenossInnen in politischen Führungspositionen erfüllen müssen, gut dargestellt: „ArbeitnehmerInnen, die selbstständig schwierige und verantwortungsvolle Tätigkeiten mit beträchtlichem Entscheidungsspielraum verrichten, die besondere Fachkenntnisse und praktische Erfahrung erfordern […], die in beträchtlichem Ausmaß mit der Leitung von Projekten betraut sind […], die regelmäßig und dauernd mit der selbstständigen Führung, Unterweisung und Beaufsichtigung von zumindest 4 ArbeitnehmerInnen […] beauftragt sind.“ In der seit 01. November 2015 gültigen Version dieses Kollektivvertrages ergäbe diese Regelung ein Bruttogehalt je nach Vordienstzeiten (wobei hier selbstverständlich auch solche in früheren Tätigkeiten anzurechnen sind) zwischen € 3.349,74 und € 3.806,80 brutto. Sollte dies mit bestehenden gesetzlichen Regelungen nicht vereinbar sein, etwa bei MinisterInnen, Abgeordneten, BezirksvorsteherInnen usw., welche ihr Gehalt nicht direkt von Organisationen der ArbeiterInnenbewegung beziehen, so ist die Differenz an jene Organisation abzuführen, welche für die Delegierung in das jeweilige Mandat zuständig war.
Die Wahl von Jeremy Corbyn zum Vorsitzenden der Labour Party hat zuletzt gezeigt, wie wichtig Demokratie in einer Mitgliederpartei wie der SPÖ ist. Nur dadurch war es möglich, dass sich die Mitgliederzahl der Labour Party seit der Wahlschlappe im Mai 2015 praktisch verdoppelt hat.
- Wir werden alle innerparteilichen Wahlen vom sog. Streichen hin zu echten Wahlen weiterentwickeln. Das inkludiert die Wahl aller FunktionärInnen bis hin zu den Vorsitzenden durch die jeweiligen Mitglieder. Streichen führt nur zur Reproduktion jener Gremien, die die Partei seit langem von Niederlage zu Niederlage führen. Wenn es zwei oder mehr KandidatInnen gibt, ist das ein Ausdruck von lebendiger innerparteilicher Demokratie! Demokratie kann nicht funktionieren, wenn sie auf Misstrauen basiert – genau das heißt es aber, wenn ich jemanden von einer Liste streiche: Ich will dich nicht (in dieser Funktion haben), ich misstraue dir. Eine Wahl durch Ankreuzen hingegen bedeutet: Ich will dich, ich vertraue dir, ich wähle dich.
- Die Antragskommissionen werden in Zukunft keine Abstimmungsvorschläge mehr machen. Es bleibt ihre Aufgabe, Anträge auf deren Übereinstimmung mit dem Programm und den Prinzipien der Partei zu überprüfen und Anträge, die ähnlich sind, wenn möglich, zusammenzuführen. Dies ist in manchen Wiener Bezirkskonferenzen übrigens gelebte Praxis.
- Eine inhaltlich tiefschürfende Diskussion erfordert mehr Vorbereitungszeit für die Delegierten. Die antragsberechtigten Strukturen müssen daher ihre Anträge fristgerecht einbringen; die Anträge müssen den Delegierten spätestens 2 Wochen vor dem Landesparteitag zur Verfügung stehen.
- Auch in der Bundespartei werden wir uns für dementsprechende Statutenreformen einsetzen.
- Das zu erarbeitende neue Parteiprogramm muss einer Abstimmung unter allen Mitgliedern unterzogen werden – in Zukunft muss dies für alle Novellierungen des Parteiprogramms gelten.
Geheimzirkel sind im Zeitalter des Internet weder demokratisch noch zukunftsweisend. Die gesamte Arbeit aller Parteigremien muss daher für die parteiinterne Öffentlichkeit vollkommen transparent erfolgen. Nur so kann die SPÖ auch wieder zu einer echten Mitgliederpartei werden, in der alle Mitglieder aktiv sind und neue Schichten aktiv werden WOLLEN!
In Bewegung kommen
Wer nicht aus der Vergangenheit lernt, hat kein Recht auf die Zukunft. Die Geschichte unserer Partei zeigt uns klar und deutlich, was wirklich zählt. 1. eine Orientierung an den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen egal aus welchem Land – Politik für diese ohne Wenn und Aber. Wer sich dieser entgegenstellt, ist GegnerIn. 2. ein permanenter Kampf gegen die Auswirkungen des kapitalistischen Systems, der darauf abzielt, dieses Geschichte werden zu lassen. Programmatische Klarheit statt Personenkult ist die Losung der Zukunft.
Weiters muss die Partei wieder ein Stück weit Bewegung werden. Sie muss überall dort sein, wo die Kämpfe der Menschen um eine gerechtere Welt stattfinden: In den Betrieben, den Wohnvierteln, den Schulen und Unis, bei Arbeitskämpfen und Demonstrationen. Überall dort muss die Partei wieder präsent sein. Dazu ist es erforderlich, zu erkennen, wo die Politik der arbeitenden Menschen wirklich gemacht wird. Nicht in den Parlamenten und parteiinternen Sitzungsräumlichkeiten, sondern dort wo die Menschen arbeiten, leben und selbst politisch aktiv sind.
Wer das Ohr bei den Menschen hat, der/die hört immer wieder: Armut muss offensiv bekämpft werden. Dazu braucht es auch einen massiven Ausbau des öffentlichen Wohnbaus etwa in Form von Gemeindewohnungen, aber auch aller anderen Formen der Daseinsvorsorge. Mit einer echten Vermögenssteuer kann all das locker finanziert werden. Überhaupt ist die Verteilungsfrage DAS Thema für die übergroße Mehrheit der arbeitenden Menschen.
Wir müssen uns von der Politik des Möglichen und der Sachzwänge verabschieden. Wir müssen uns von Konstrukten der bürgerlichen Wissenschaft und Meinungsforschung verabschieden. Wenn wir die soziale Realität dieser Gesellschaft betrachten, so führt sich die Definition eines Mittelstandes ad adsurdum. Es gibt Menschen, die haben so viel, dass sie davon leben können. Das sind wenige. Und es gibt sehr viele, die müssen arbeiten, um leben zu können. Das war traditionell die Gruppe, für welche die Sozialdemokratie da war. Und das müssen wir wieder werden.
Ohne diese und zahlreiche weitere Reformen, wird sich die Partei weiterhin rasend schnell dem Abgrund nähern. Die Uhr tickt rasend schnell. Wir haben keine Zeit mehr, wollen wir den Totalabsturz noch verhindern. Doch das müssen wir. Es steht zu viel auf dem Spiel: Die Zukunft der arbeitenden Menschen. Mit dem Ergebnis der Wiener Wahl, die wir verloren haben, auch wenn wir Erster geblieben sind, ist uns wichtige Zeit geschenkt worden. Diese gilt es zu nutzen – sonst ist es vorbei, sonst wird die Sozialdemokratie so wie in Polen, Italien oder Griechenland auch in Österreich Geschichte sein. Das gilt es mit aller Konsequenz zu verhindern!
Diesen Text habe ich gemeinsam mit zahlreichen GenossInnen aus mehreren Bezirksgruppen der FSG Wien verfasst. Wie nicht anders zu erwarten, wurde er schon von verschiedenen Organisationsstrukturen abgelehnt, also nicht zur Weiterleitung an die Landeskonferenz der FSG Wien oder diverse Bezirkskonferenzen der SPÖ Wien beschlossen. Das ist aber auch gar nicht wichtig. Viel wichtiger ist es, dass endlich eine Diskussion um die Zukunft dieser Partei beginnen muss! Sonst hat sie keine Zukunft!
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