Üblicherweise rezensiere ich ja nur Bücher, die etwas mit mir machen. Politisch. Jedenfalls auf diesem meinem Blog. Und die Berge an Belletristik im Urlaub nur in Foren von Bücherfreund*innen. Doch diese Ausnahme muss sein. Denn diese Ausgabe des „Kämpfers“ (eine Neuauflage der historischen Ausgabe 1-3/1964) ist so viel mehr als einfach nur eine von vielen politischen Zeitschriften. Sie ist ein Zeitdokument. Und noch dazu eines, das uns vieles hinterfragen lässt. Es gibt wohl kaum einen besseren Tag als den 79. Jahrestag des Sieges über den Faschismus in Europa, um diesen Text zu veröffentlichen.
Dass in den folgenden Absätzen die Rede von Revolution, Revolutionskämpfen, dem Versagen in „geschichtlicher Stunde“ und Kapitalismus ist, zeigt, dass es den Kämpfer*innen des Februar, die die „historische Ehre des internationalen Sozialismus gerettet“ haben, um so viel mehr gegangen ist als uns heute weisgemacht wird, denn „auf die Dauer werden nicht dreißig Prozent [heute sind es weit unter 10 – Anm. AM] des Volkes über siebzig Prozent, wird nicht das Dorf über die Großstadt, nicht der Klerikalismus über ein zu zwei Dritteln nichtklerikales Volk herrschen können. Die Gelegenheiten für die Wiederaufnahme unseres Kampfes, für unsere Revanche, für unseren Sieg werden kommen. Es gilt nur bereit zu sein, sie auszunützen.“
Nein – es ging den Februarkämpfer*innen um so viel mehr als die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie und der damaligen Verfassung. Es ging ihnen um nichts weniger als den Sturz der Klassenherrschaft, die Überwindung des Kapitalismus, den Aufbau des Sozialismus. Sind wir heute bereit „die Gelegenheiten … auszunützen“? Der Haupttext dieser Ausgabe der AZ schließt schließlich mit den Worten: „Es lebe der internationale revolutionäre Sozialismus!“
Der folgende Text aus der Ausgabe des Kämpfers von 1964 analysiert die Vorgeschichte und den Ablauf der Februarkämpfe detailliert und erinnert dramatisch an das, was wir seit einigen Jahren und aktuell (erneut) erleben. Und erneut nahezu tatenlos zusehen. Muss es wieder so weit kommen, dass „man trauert um die dahingegangene, so überschwänglich geliebte Partei und haderte zugleich mit ihren Fehlern“? Fehlern! Davon hören wir heute wenig, auch wenn die Revolutionären Sozialisten (RS), die „die Partei fortgesetzt hat“, also eine andere Partei war, zahlreiche Analysen dazu hinterlassen haben.
Kein Wunder, muss doch das Märchen von der seit 1889 andauernden Einheit der Partei aufrechterhalten werden, was nicht ginge, wenn zugegeben würde, dass die RS in der Stunde der „Fehler“ die Idee der Sozialdemokratie als Ideologie des Klassenkampfes aufrechterhielten, welche diverse Parteiführungen spätestens 1926 (Linzer Programm) oder gar schon 1914 (Unterordnung der Interessen der Arbeiter*innenklasse unter die der Nation im Interesse der habsburgischen Kriegstreiber) aufgegeben hatten. Nicht umsonst wird in diesem Text auf den Geist von Hainfeld verwiesen, der alle folgenden Parteiprogramme als Abkehr von der ursprünglichen Idee brandmarkt.
Die sich daran anschließenden Berichte mehrerer Schutzbündler geben einen tiefen Einblick in deren emotionale Situation in Anbetracht der Niederlage. Sie enthalten auch Aussagen, die sich heute fast niemand mehr in der SPÖ zu tätigen traut. So wird etwa auf den positiven Aspekt „illegaler Fremdenführungen“ hingewiesen. Die „Spezialisten“ dafür würden heute wohl Schlepper genannt, da sie unsere in die Flucht getriebenen Genoss*innen illegal über Grenzen brachten. Über ihre Ziele waren sich auch die verhafteten Genoss*innen sehr klar: „Wir gelobten, ebenfalls sofort in einer illegalen Gruppe mitzuarbeiten, sobald wir wieder ein Freiheit sein würden, und für ein freies, sozialistisches Österreich weiterzukämpfen.“ Also nicht für die Wiederherstellung des Zustandes von vor 1933, was die neue Parteiführung tat, nachdem sie die RS majorisiert hatten, und schnell vergaßen, was die eigenen „Fehler“ waren, die in die Niederlage des Februar führten.
Den Abschluss dieser Neuauflage bildet ein detaillierter Text über das Leben und die letzten Tage des Koloman Wallisch, der sich unter schwierigsten Bedingungen dazu entschied „für die Arbeiter, für den Sozialismus zu wirken“. „Wo denkende und fühlende erwachte Massen in dieser finsteren Nacht des verwesenden Kapitalismus einer rettenden Zukunft entgegenstreben“ wird er betrauert. Das in einem solchen Text des öfteren vom heute ach so verpönten Klassenkampf die Rede ist und gar geschildert wird, wie Wallisch in seiner Zeit in Ungarn die Versorgung der darbenden Bevölkerung mithilfe von Arbeiter*innenkontrolle sicherstellt, darf nicht weiter verwundern. Selbst im Angesicht der Niederlage, kurz vor seiner Verhaftung mahnte er seine letzten Begleiter*innen noch „die Hoffnung auf den schließlichen Sieg des Sozialismus nicht aufzugeben“.
Dem Bund Sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen gilt ein außerordentlicher Dank, dieses zeithistorische Dokument zur Verfügung gestellt zu haben. Ich kann nur allen empfehlen, dieses zu lesen. Und verbinde eine Warnung damit: Wer das tut, wird nie wieder an das Märchen glauben können, dass Kapital und Arbeit friedlich koexistieren können. Wer es ernst nimmt, kann die Februarkämpfer nie wieder ehren oder auch nur betrauern, ohne lebenslänglich aktiv gegen den Faschismus zu kämpfen und auf die Überwindung seiner Ursache – des Kapitalismus – hinzuwirken. Nicht als ferne Utopie. Sondern im Hier und Jetzt! Denn dafür sind die Märtyrer*innen des Februar gestorben.
Wer sich dieser Gefahr und schönsten aller Formen von Leben und Solidarität stellen will, kann diese wunderbare Ausgabe hier downloaden.
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