Mittwoch, 20. Juli 2005

Sozialabbau im ach so roten Wien: Mehr privat, weniger Staat?!

In den letzten Jahren ist es auch in Wien zu einer rasant fortschreitenden Privatisierung bzw. deren Vorstufe – der Ausgliederung – gekommen. Und diese sind keinesfalls, wie zu erwarten wäre, von SchwarzBlauOrange ausgegangen, sondern von der SPÖ. Im folgenden Artikel wollen wir uns mit den Besonderheiten der Privatisierung im Wiener Sozial- und Gesundheitsbereich beschäftigen.

Geschichte


Ausgliederungen im Wiener Sozialbereich sind nichts Neues. Bereits Ende der 1950er wurde das Kuratorium Wiener PensionistInnenwohnhäuser ausgegliedert.
Die professionelle Betreuung von Jugendlichen wurde in den 1970ern gleich von Anfang an als ausgegliederter Bereich organisiert. Eine Reihe weiterer Sozialeinrichtungen ist zwar formal privat, real aber durch finanzielle Abhängigkeiten und persönliche Verflechtungen (Gemeindebedienstete und/oder -politikerInnen in den leitenden oder Aufsichtsgremien) vollständig unter Kontrolle der Gemeinde Wien. Der größte Brocken im ausgegliederten Bereich ist wohl der Krankenanstaltenverbund, welcher ca. 40.000 Beschäftigte hat. Auch so sensible Bereiche wie die so genannten Gemeindekindergärten werden schon längst als Magistratische Betriebe geführt, was rein rechtlich nichts anderes bedeutet, als dass sie privatwirtschaftliche Betriebe sind, allerdings im Besitz der Gemeinde Wien.
Ein kleiner aber feiner Unterschied, der insbes. im Rahmen der Vergaberichtlinien der EU von Bedeutung sein wird, sobald diese auch auf den Sozial- und Gesundheitsbereich anzuwenden sind. Solange nämlich die öffentliche Hand Sozial- bzw. Gesundheitsleistungen immer selbst erbringt, müssen diese nie ausgeschrieben werden. Sobald diese Leistungen nach Außen vergeben werden, und nach Außen ist in diesem Fall auch ein Betrieb im eigenen Besitz, müssen diese Leistungen immer ausgeschrieben werden, so dass sich alle potenziellen AnbieterInnen um die Erbringung dieser Leistungen bewerben können. Und dann regiert das Geld – mit dementsprechenden Auswirkungen auf die Qualität der Leistungen und die Arbeitsbedingungen.

Fakten


Die jüngste HeldInnentat unserer privatisierungsgeilen Stadtväter und -mütter unter dem Deckmäntelchen der erforderlichen Vorbereitung auf diese EU-Vergaberichtlinien ist die Ausgliederung großer Teile der Wiener Sozialverwaltung in den Fonds Soziales Wien (FSW). Dieser wurde Anfang 2001 gegründet und hatte anfänglich mit dem Arbeitsbereich Suchtkrankenhilfe und einem Budget von runden zehn Millionen Euro sozialpolitisch kaum Bedeutung.
Bis Mitte 2004 hat sich daran trotz geringen Wachstums und Ausweitung der Arbeitsbereiche auf die Gesundheitsförderung auch kaum etwas geändert. Doch dann kam mit der Umsetzung der von der Gemeinderatsmehrheit bereits im ersten Halbjahr 2003 beschlossenen Strukturreform "Soziale Sicherheit in Wien" der dicke Hund: Verzehnfachung des Personals und Verfünfzigfachung des Budgets durch die nahezu vollständige Ausgliederung zweier ehemaliger Magistratsabteilungen in den FSW.
Wo aber liegen die Probleme? 1. Ein Fonds gehört niemandem außer sich selbst. Die politische Kontrolle seiner Tätigkeit durch die Gemeinde Wien ist also mehr oder weniger good will. 2. Dieser Fonds agiert privatwirtschaftlich, wie er selbst auf seiner website schreibt. 3. Die Gemeinde Wien gibt somit die Steuerung eines der zentralen Bereiche öffentlichen Handelns ab. Behindertenarbeit, Wohnungslosenhilfe, Hauskrankenpflege und anderes werden in Zukunft "privatwirtschaftlich", und damit in letzter Konsequenz unter dem Diktat des Geldes, aber nicht entsprechend der Bedürfnisse der Menschen, organisiert.
Bei all dem geht es um ganz schön viel: Eine halbe Milliarde öffentlicher Mittel jährlich ohne Kontrolle durch den Gemeinderat (die einzig mögliche Sanktion wäre es, den Fonds nicht mehr mit Geld zu beglücken), 700 MitarbeiterInnen und ihre Arbeitsbedingungen im Fonds, 300 geförderte Sozialeinrichtungen mit etwa 15.000 Beschäftigten. Ein Gesamtbudget von einer drei Viertel Milliarde. Davon wird der Großteil zur Finanzierung privater Sozialeinrichtungen verwendet. Der Fonds Soziales Wien investiert damit jährlich mehr als die ÖBB. Er hat ein größeres Budget als die Stadt Linz.

Auswirkungen


Hier gilt es drei verschieden Bereich zu unterscheiden: geförderte Sozialeinrichtungen, KlientInnen und Beschäftigte.
Im Bereich der geförderten Einrichtungen kommt es derzeit zu einer Umstellung von Forderungen durch die Gemeinde Wien zu privatrechtlichen Leistungsverträgen mit dem FSW. Genaue Abrechnungen sind nichts schlechtes; wenn in den Verträgen allerdings Bestimmungen enthalten sind, welche zu Verschlechterung der Leistungen und der Arbeitsbedingungen führen müssen, dann sieht die Sache schon wieder ganz anders aus.
In manchen dieser Verträge stehen zum Beispiel Bestimmungen, welche das österreichische Arbeitsrecht brechen. So müssen die Beschäftigten einiger Einrichtungen ihren kompletten Jahresurlaub im jeweiligen Kalenderjahr nehmen, wohingegen im Urlaubsgesetz geregelt ist, dass bis zu drei Jahre Urlaubsanspruch angesammelt werden können. Und damit sind wir schon bei der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen angelangt.
Den in den FSW ausgegliederten Gemeindebediensteten wurde versprochen, dass sich bei ihnen nichts verschlechtern darf. Entsprechend der Salamitaktik kommt aber ein kleiner Nadelstich nach dem anderen: Verschlechterung bei der Abrechung von Dienstfahrten, Druck zum Umstieg in die Gleitzeit und dadurch Verringerung der Einkommen, da Überstundenzuschläge entfallen, deutlich erhöhter Arbeitsdruck usw.
Und die Privatangestellten im Fonds leben/arbeiten ungewollt sowieso im 19. Jahrhundert: Arbeitszeitgesetz gilt nicht, keine Gehaltssprünge, kein Gehaltsschema, eine Betriebsvereinbarung in der praktisch nichts geregelt ist, außer der Gleitzeit, die dem Betrieb viel mehr bringt als den Beschäftigten, … Da kann sich gar nichts verschlechtern!
Auch im Bereich der KlientInnen sind erste Verschlechterungen bereits absehbar. Oh, Verzeihung, falsches Wort. Der FSW hat selbstverständlich keine KlientInnen, sondern nur KundInnen, da er es schließlich nur mit mündigen BürgerInnen zu tun hat. Schön wäre es! Tatsache ist aber, dass der Fonds auch für die Behindertenhilfe zuständig ist oder die Pflege sehr alter Menschen. Und demente oder geistig Behinderte sind halt leider nicht so mündig, wie es der üblichen gesellschaftlichen Vorstellung entspricht. Trotzdem sollen sie jetzt ganz normale Geschäftsbeziehungen (Verträge) mit dem Fonds Soziales Wien eingehen, auf deren Basis dann die sie betreuenden Sozialeinrichtungen finanziert werden, statt in geförderten Einrichtungen Leistungen zu bekommen. Wie das funktionieren soll, mag vielleicht Milton Friedman der Gottvater des Neoliberalismus und des New Public Management (das Mantra auch der Gemeinde Wien) erklären können, sonst aber auch niemand. Tatsache ist und bleibt aber unabhängig davon, dass in Anbetracht politisch gewollter knapper öffentlicher Budgets für den Sozialbereich Leistungskürzungen unausweichlich sind, und diese rollen bereits an. Wir werden darüber in einer künftigen Ausgabe des Funke detaillierter berichten.

Mit den Menschen statt für sie!


Wie viele nationale und internationale Beispiele eindeutig beweisen, können Sozial- und Gesundheitsleistungen nur unter der Kontrolle der öffentlichen Hand halbwegs sinnvoll und hochwertig erbracht werden. Wir sind daher davon überzeugt, dass es in diesem Bereich öffentlicher Leistungen keine Privatisierungen und Ausgliederungen geben darf! Aber auch die seinerzeitige hoheitliche Fürsorge ohne Mitsprache der betroffenen hat nicht funktioniert.
Die Lösung kann daher nur in einem öffentlichen Gesundheits- und Sozialsystem bestehen, das – finanziert aus stark progressiven Steuern für die Reichen, etwa auf Besitz, Kapital und Gewinn – unter Kontrolle der Beschäftigten und LeistungsbezieherInnen jene Leistungen erbringt, die die Menschen wirklich brauchen!

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