Eine großartige Anthologie über den Februar 1934, seine Vor- und Nachgeschichte haben die Herausgeber*innen da zusammengestellt. Gerade die wechselnden Perspektiven von Teilnehmer*innen, Beobachter*innen aus dem In- und Ausland, Großstadt und Land und auch Orten, die wir üblicherweise nicht mit dem Blutfebruar verbinden, machen das Buch überaus lesenswert.
Ich würde selbst einen Essay schreiben müssen, um die Fülle der Geschichten auch nur ansatzweise wiedergeben zu können. Daher gebe ich nur einige ganz wenige Auszüge wieder, die mir für die heutige Zeit relevant erscheinen, die mich Tag für Tag mehr an die Ereignisse erinnert, die zum Februar 34 geführt haben.
Wenn der Onkel in Margarete Rainers „Vaters Geburtstag“ etwa Dollfuß als „Mann der Mitte“ (S. 83) beschreibt, zeigt das, wie gefährlich dieser Begriff auch heute wieder geworden ist, da alle darum ringen, Mitte zu sein, und diese scheinbar von ganz rechts außen bis linksliberal geht.
Oder wenn Margarete Petrides in „Zwei Schwestern“ die Klassenkämpferin der beiden sagen lässt: „Sorgt nur für eure Kinder, indem ihr kuscht und unter der faschistischen Flagge weiterdient. Das ist schon der beste Weg zum nächsten Krieg, denn wenn der Terror siegt über die Arbeiterschaft, dann siegt der Krieg über den Frieden, je unterdrückter die Arbeiterschaft ist in einem Land, desto eher kann dieses Land hineingerissen werden in eine Katastrophe, je mehr Länder faschistisch sind, desto eher kommt der nächste Krieg ...“ (S. 105) – dann lässt mich das an die Ukraine denken, in der die Rechte arbeitender Menschen längst nicht mehr existieren, was von fast allen konsequent ignoriert wird, an die Spaltung der arbeitenden Menschen durch Rassismus, an die mittlerweile fast allen unausweichlich scheinende Aufrüstung, auch wenn meine Definition von Faschismus wohl eine andere ist.
Dass ein aufgerüstetes Militär immer zuerst gegen die Arbeiter*innenklasse und Protest im eigenen Land eingesetzt wird, wenn das Herrschaftssystem in der Krise steckt, und erst in zweiter Linie der sog. Verteidigung gegen den angeblichen äußeren Feind dient, zeigt Franz Kain in „Begegnung in Holzleithen“ (S. 282-190, insbes. 285) traumatisch auf.
„Die fatale Phrase von der 'heiligen Sache des Vaterlandes' und die geheimnisvolle Kraft dieser Phrase im allgemeinen ist eines der finstersten Schreckgespenster der Geschichte.“ (S. 312) setzt Miroszlav Krleža diesen Gedanken in „Wiener Variationen“ fort, um deren Wirkmächtigkeit lapidar damit zu erklären, dass die damalige SDAPÖ (eine der Vorgängerparteien der heutigen SPÖ) auf die Kräfteverhältnisse außerhalb Wiens vergessen hat (S. 314). In die gleiche Kerbe schlägt Kain im o.g. Text, in dem er feststellt, dass die Arbeiter*innenklasse „schon viel zu lang gewartet“ hat (S. 287). Ein Gedanke, der sich auch in Karl Wiesingers „Bulgari“ (S. 187) wiederholt.
Letztlich handelt es sich bei den Fehlern der Parteiführung um das Generalthema dieser Anthologoie, das auch Hackl in seinem Vorwort mehrmals anspricht, etwa indem er feststellt, dass „die Nachfolgepartei der damaligen Sozialdemokratie ihr Erbe abgestoßen hat“ (S. 12) und auf den Historiker Florian Wenninger verweisend festhält, dass die Beschäftigung mit Demokratie nicht „traditionspflegerischer, sondern grundsätzlicher Natur sei“ (a.a.O.).
Wenn Alois Vogel in „Alles vergessen“ darauf hinweist, zu welch unmenschlichem Handeln Armut führen kann (S. 251) oder Alfred Hirschenberger in „Um eine Hoffnung ärmer“ lapidar ausspricht, woran die Linke heute krankt: „Es scheute sich niemand, utopische Zielvorstellungen zu haben. Gerade diese Träume nach vorwärts einten und sprachen sie an“ (S. 254) – dann zeigt das traurig auf, wie sehr der sog. Neoliberalismus = die seit Jahrzehnten vorherrschende Form der Propaganda des Kapitals sowohl materiell als auch ideologisch gesiegt hat.
Wie ein roter Faden zieht sich die Notwendigkeit des rechtzeitigen Widerstandes, des Arbeitskampfes, des Klassenkampfes, die Notwendigkeit der Utopie einer besseren Gesellschaft, die nur durch die Überwindung der gegenwärtigen erreicht werden kann, durch die in diesem Buch versammelten Geschichten und Auszüge aus längeren Werken.
Es sind bei weitem nicht nur die im Alltäglichen versteckten Analysen, die dieses Buch lesenswert machen, sondern vor allem das Herunterbrachen der großen Geschichte auf die kleinen Geschichten der sog. kleinen Leute. Wer verstehen will, was sich in den Jahren vor dem Februar 1934 zugetragen hat, wer verstehen will, warum wir alle – zumindest fast alle – uns in der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Situation, die ein verzerrtes Spiegelbild dieser Jahre ist, so unwohl fühlen, weil wir spüren, dass da was kommen wird, ja kommen muss, das grausig sein wird, für den ist dieses Buch ein Muss.
Die Zusammenstellung der Texte ist großartig so wie diese selbst. Trotz der Schwere des Themas sind sie alles andere als anstrengend zu lesen. Leicht und locker beschreiben sie eingängig, was die Menschen seinerzeit bewegte. Und treffen damit mitten ins Zentrum unserer Gefühle.
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